Wie verändern sich Lehrerbildung und Schulunterricht durch die Digitalisierung? – ein Bericht über die EARLI SIG 11 Konferenz 2022

Wie verändern sich Lehrerbildung und Schulunterricht durch die Digitalisierung? – ein Bericht über die EARLI SIG 11 Konferenz 2022

24.02.23

Bild des Kulturzentrums PFL in Oldenburg

Der digitale Wandel und die damit einhergehenden tiefgreifenden Veränderungen für das Lernen und Lehren in Schule und Lehrer:innenbildung waren das zentrale Thema der Konferenz “Digital Transformation in Teaching and Teacher Education” die im Rahmen der Special Interestgroup (SIG) 11 („Teacher and Teacher Education“) der EARLI (European Association for Research on Learning and Instruction) im Sommer 2022 stattfand. Initiiert wurde die Konferenz von Prof. Dr. Barbara Moschner und Frau Prof. Maja Brückmann. Im Blog stellt Laura Ohmes die Ergebnisse der Konferenz vor.

Titelbild zum Gastbeitrag von Laura Ohmes: WIE VERÄNDERN SICH  LEHRERBILDUNG UND SCHUL-UNTERRICHT DURCH DIE DIGITALISIERUNG? Ein Bericht über die EARLI SIG 11 Konferenz 2022. Logo: Hochschulforum Digitalisierung.

 

JURE Poster Award: Einblicke in aktuelle Promotionsprojekte

Die JURE bildete den ersten Konferenztag, der es Doktorand:innen und Postdocs ermöglichte, erste eigene Forschungsprojekte zu präsentieren. Insbesondere die lernwirksame Verwendung von digitalen Technologien in der Lehrerbildung sowie die Förderung der digitalen Kompetenzen von angehenden Lehrkräften standen im Fokus der JURE: So wurde beispielsweise in einer Studie von Lynn Dittrich (University of South-Estern Norway) deutlich, dass sich Simulationstechnologien wie „TeachLivE“, in denen Lehramtsstudierende die Möglichkeit erhalten in einem virtuellen Klassenzimmer Unterrichtserfahrungen zu sammeln, in Verbindung mit anschließenden Reflexionsgesprächen positiv auf das berufliche Lernen und die Entwicklung der Studierenden auswirken können.

Dokumentationsbild von der JURE

Der JURE Poster Award für die beste Poster-Präsentation wurde Tatjana Vogel (TU Dortmund) verliehen, für ihre herausragende Forschungsarbeit zur Zusammenarbeit von Bibliotheken und Schulen hinsichtlich digitaler Lernangebote während der Corona-Pandemie – ein Thema das bisher wenig Aufmerksamkeit in der Forschung erhielt.

Johanna Arndt (Universität Oldenburg) und Bettina Gautel (Universität Hannover) präsentierten im Rahmen einer abschließenden Roundtable-Diskussion ihre Forschungsprojekte zum ICT-bezogenen Fachwissen und beruflichen Handlungskompetenzen von angehenden BiologielehrerInnen sowie Mentorengesprächen in der Lehramtsausbildung. Die Diskussion profitierte dabei insbesondere von dem lebendigen Austausch mit den Professor:innen Patricia Alexander (University of Maryland, USA), Kari Smith (Norwegian University of Science and Technology) und Barbara Moschner (Universität Oldenburg), die ihr Wissen und ihre Erfahrung mit den DoktorandInnen und Postdocs teilten. Die wichtigsten Ergebnisse der Vorträge und Diskussion wurden in einem Graphic Recording von Laura Ohmes zusammengefasst:

Die wichtigsten Ergebnisse der Vorträge und Diskussion wurden in einem Graphic Recording von Laura Ohmes zusammengefasst.

 

Online-Unterricht, Simulations- und Videotechnik in der Lehrerbildung

Die Konferenz wurde insbesondere durch den intensiven Austausch zwischen Wissenschaflter:Innen bereichert, die nicht nur aus Deutschland sondern insgesamt 12 Ländern angereist waren (darunter Norwegen, UK, Nigeria und USA), um ihre Forschungsarbeiten zu präsentieren.

Dokumentationsbilder der Haupttagung

Ein zentrales Ergebnis der Konferenz war, dass digitale Medien und Lernangebote lernwirksam sein können, wenn diese zielorientiert in den Unterricht eingebunden werden. Bei dem Einsatz von digitalen Technologien allein der Digitalisierung wegen, besteht die Gefahr, dass Lehr-Lernprozesse erschwert und beeinträchtigt werden. So wurde in verschiedenen Forschungsprojekten untersucht, wie Lehrkräfte digitale Lernaktivitäten in den Schulunterricht einbinden und unterstützen. Thamar Voss (Universität Freiburg) und KollegInnen gaben dazu im Rahmen eines Symposiums von Mareike Kunter interessante Einblicke in die Lehrprozesse während der Corona-Pandemie. Das Team untersuchte Lernmaterial von Mathematiklehrkräften, das während der Schulschließungen im online Unterricht eingesetzt wurde. Erste Ergebnisse deuten auf eine große Materialvielfalt hin, die von Scans von handschriftlichem Material bis hin zu hochgradig interaktiven Aufgaben reichte. Dabei wurde u.a. deutlich, dass Lehrpersonen höherer Schulformen das Potenzial ihres Materials für die kognitive Aktivierung der Lernenden höher einschätzten als Lehrkräfte aus anderen Schulformen, die wiederum eine höhere organisatorische Unterstützung angaben. Anne Lohr (Universität München) und Kolleg:innen konnten darüber hinaus in ihrer Studie zeigen, dass Lehrkräfte der Primar- und Sekundarstufen Schüler:Innen beim aktiven digitalen Lernen auf zwei verschiedene Weise unterstützen: Zum einen wurde allein der Erwerb von deklarativem Wissen gefördert, zum anderen zusätzlich auch komplexe Fähigkeiten. Für Letzteres scheinen insbesondere die technologiebezogene Lehrkompetenzen wesentlich zu sein. Schulbezogene Faktoren und die digitalen Grundkenntnisse der Lehrkräfte scheinen hingegen keinen Unterschied zu machen, wohl aber die Schulform. So boten Lehrkräfte der Sekundarstufe ein breiteres Spektrum an digitalen Lernaktivitäten an, vermutlich aufgrund des höheren Alters und der besseren Selbstregulierungsfähigkeiten der Schüler:innen.

 

Digitale Kompetenzen von Lehrkräften stärken

Daneben waren auch auf der Haupttagung die Förderung von digitalen Kompetenzen von angehenden Lehrkräften und die Verwendung von digitalen Technologien in der Lehrerbildung zur Förderung didaktischer Kompetenzen ein wichtiges Thema. Insbesondere die Verwendung von Unterrichtssimulationen und Videotechnik spielten dabei eine wichtige Rolle. So konnten Kerstin Göbel (Universität Duisburg-Essen) und Kolleg:Innen zeigen, dass Lehramtsanwärter:innen, die eine videogestützte Reflexion mit Feedback zur Unterrichtsgestaltung erhielten, danach eine positive Einstellung gegenüber dieser Reflexionsmethode hatten. Die Ergebnisse einer Studie von Robert Klassen (University of York, UK) und Kolleg:innen deuten zudem darauf hin, dass „Scenario-based Learning“ in Verbindung mit Selbstreflexion und Feedback das Potential hat, das Selbstvertrauen von angehenden Lehrkräften zu erhöhen, ihr erstes Unterrichtspraktikum zu absolvieren.

 

Keynote-Vorträge: Erkenntnisse aus den USA und Norwegen

Ein besonderes Highlight der Haupttagung waren die inspirierenden Keynotes von Prof. Dr. Patricia Alexander (University of Maryland), Prof. Dr. Kari Smith (Norwegian University of Science and Technology) und Dr. Christopher Prilop (Leuphana University Lüneburg / University of Hamburg).

Bild von Prof. Dr. Patricia Alexander während ihres Vortrags auf der Bühne

Patricia Alexander wies in ihrem Vortrag „Teaching and Learning in Today’s Hyperconnected World: A Critical Cost- Benefit Analysis“ auf wichtige Vor- und Nachteile des technologischen Fortschritts für Schüler:innen und Lehrkräfte hin: Der online-Unterricht ermöglicht es beispielsweise mit Hilfe verschiedener digitaler Technologien, den unterschiedlichen Interessen, Fähigkeiten und Bedürfnissen der Lernenden nachzukommen und flexibel Unterstützung anzubieten, wenn diese notwendig ist. Zudem haben Lehrkräfte heutzutage einfacheren Zugriff auf eine immense Vielfalt an (multimedialen) Lernangeboten, die den Unterricht stark bereichern können. Lehrpersonen sollten sich jedoch bewusst machen, dass Jugendliche oftmals denken, dass sie bereits über Digital Literacy verfügen, dem aber oft nicht so ist.

Auch beim digitalen Lernen sollten Lehrpersonen darauf achten, Lernen vor Leistung zu priorisieren und die Bedeutung von individualisierten Lernangeboten, Selbstbestimmung und Feedback sowie des Verknüpfens von Vorwissen mit neuen Wissensinhalten für den Lernerfolg von Schüler:innen nicht unterschätzen. Patricia Alexander betonte zudem, dass SchülerInnen Freiräume brauchen, um ihre Ideen zu formulieren, und Gewissheit, dass ihre Stimme wahrgenommen und wertgeschätzt wird. Daher ist es u.a. von zentraler Bedeutung, die Namen der Schüler:innen zu kennen, und ihnen damit das Gefühl zu geben: Ich sehe dich!

Darüber hinaus ist es wichtig, dass Lehrer:innen wissen, wie es den Schüler:innen geht und was sie beschäftigt. „Patterns“ können in diesem Zusammenhang hilfreich sein, um auffälliges Verhalten zu erkennen und z.B. Mobbing und sozialer Isolation rechtzeitig vorbeugen zu können.

Kari Smith präsentierte in ihrem Vortrag „What did the COVID-19 lockdown teach us about education in a future perspective?“ Ergebnisse aus Studien der letzten zwei Jahre, in denen Schüler:innen der Sekundarstufe II, Lehrer:innen und Entscheidungsträger:innen befragt wurden, und berichtete von ihren Erfahrungen aus der Zusammenarbeit mit einer internationalen Gruppe von Personen, die in der Lehrerbildung tätig sind. Dabei standen nicht nur die Herausforderungen, sondern mehr noch die Erkenntnisse im Vordergrund, die aus der Corona-Pandemie und des Online-Unterrichtens gewonnen werden können. So ermutigte sie dazu, keine Angst vor der Ungewissheit zu haben, die mit den neuen technischen Möglichkeiten beim Unterrichten einhergehen und durch diese entstehen, und den Veränderungen offen, aber auch kritisch-konstruktiv gegenüber zu treten. Zudem betonte sie, dass Informations – und Computertechnologie nicht unsere Vision von Lehren und Lernen ersetzen (kann), aber die Wege verändert, wie wir diese tagtäglich umsetzen. Bevor digitale Technologien beim Unterrichten eingesetzt werden, sollten sich Lehrkräfte daher immer die Frage stellen, ob und in welcher Weise diese hilfreich sind, um die angestrebten Ziele zu erreichen, und den Einsatz reflektieren.Gruppenbild des Organisationsteams der EARLI SIG 11 Konferenz 2022

Christopher Prilop erklärte in seinem Vortrag „Fostering pre-service teachers’ professional competence with digital practicum environments“, dass videobasierte Reflexions- und Feedbackmethoden während des Schulpraktikums die Entwicklung beruflicher Kompetenz von angehenden Lehrkräften wirksamer fördern können als persönliche Feedback- und Reflexionsgespräche oder auch digitale textbasierte Angebote. Darüber hinaus wurde deutlich, dass damit verbundenes Expertenfeedback den angehenden Lehrkräften helfen kann, kritische Unterrichtssituationen wahrzunehmen, die sonst unbemerkt geblieben wären.

 

Fazit

Alles in allem hat die Konferenz gezeigt, welches Potential digitale Technologien für das Lehren und Lernen bieten können, aber auch welche Voraussetzungen notwendig sind, damit sie Lernende und Lehrpersonen unterstützen. Dadurch dass die Konferenz in Präsenz und nicht online stattfand, wurde zudem spürbar, welch immense Bedeutung persönliche Kontakte für das mit – und voneinander Lernen haben und dass diese durch virtuelle Zusammenkünfte nicht vollständig zu ersetzen sind. Dies zeigten nicht nur die angeregten und intensiven Gespräche nach den Präsentationen, sondern auch der Vortrag von Patricia Alexander, der durch ihre Live-Performance und lebendige Vortragsweise besonders mitreißend, motivierend und inspirierend war.

Bild des Kulturzentrums PFL in Oldenburg

 

Verweise

  • Die EARLI (“European Association for Research on Learning and Instruction”) ist ein internationaler Verbund von Wissenschaftler:innen, die zu Lehr-Lernprozessen forschen. Die Organisation ist in verschiedene Untergruppen [Special Interest Groups (SIGs)] gegliedert, darunter die SIG 11 “Teaching and Teacher Education”. Link zur Website der EARLI
  • Die JURE ist ein Netzwerk für Junior-Wissenschafter:innen der EARLI.

 

Förderer

Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – Projektnummer 444858746

Gefördert durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) – Projektnummer 444858746 – Logos: DFG, EWE Stiftung, Earl, JGO, Maxqda, Waxmann

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