Wie der Einsatz von (digitalen) kollaborativen Lernformen in der Hochschullehre gelingt – Einblicke in die aktuelle Forschung

Wie der Einsatz von (digitalen) kollaborativen Lernformen in der Hochschullehre gelingt – Einblicke in die aktuelle Forschung

05.09.22

Auf petrolfarbenden Hintergrund mit wellenartigen Lichteffekten steht auf der rechten Seite: Blogbeitrag Einblicke in die aktuelle Forschung –  ein Gastbeitrag von  Prof. Dr. Elisabeth Mayweg,  Theresa Ruwe und Dr. Rüdiger Rhein (digitale) kollaborative Lernformen in der Hochschullehre, Das HFD-Logo befindet sich in der unteren rechten Ecke.

Wann lohnt sich der Einsatz digitaler kollaborativer Lernformate bei der Gestaltung von Hochschullehre? Die Pandemie hat uns ins kalte Wasser geworfen – auch im Hinblick auf die Einbindung digitaler kollaborativer Lernformen in die Hochschullehre. In den letzten Jahren wurden in diesem Bereich viele Erfahrungen gesammelt: Studierende haben in Breakout-Sessions zusammengearbeitet, virtuelle Whiteboards oder Padlets genutzt und sich in Diskussionsforen ausgetauscht. Wie können solche kollaborativen Formate nachhaltig lernwirksam umgesetzt werden? Neben persönlichen Erfahrungen liefert auch die Lehr-Lern-Forschung wichtige Erkenntnisse, die bei der Gestaltung kollaborativen Lernens (im digitalen Raum) berücksichtigt werden sollten. In diesem Blogbeitrag stellen Prof. Dr. Elisabeth Mayweg, Theresa Ruwe und Dr. Rüdiger Rhein, als Teilgruppe der dghd Arbeitsgruppe „Psychologie und Lehr-Lern-Forschung“, einige konkrete Handlungsempfehlungen für die Gestaltung digitaler Kollaboration vor. 

Auf petrolfarbenden Hintergrund mit wellenartigen Lichteffekten steht auf der rechten Seite: Blogbeitrag Einblicke in die aktuelle Forschung –  ein Gastbeitrag von  Prof. Dr. Elisabeth Mayweg,  Theresa Ruwe und Dr. Rüdiger Rhein (digitale) kollaborative Lernformen in der Hochschullehre, Das HFD-Logo befindet sich in der unteren rechten Ecke.

Wann lohnt sich der Einsatz digitaler kollaborativer Lernformate bei der Gestaltung von Hochschullehre?

Bevor man sich die Frage nach der Umsetzung kollaborativer Lernformate im Digitalen stellt, sollte man sich Gedanken darüber machen, wann sich ihr Einsatz in der Hochschullehre überhaupt lohnt. Die aktuelle Forschung zeigt, dass das Lernen in der Interaktion mit anderen eine äußerst konstruktive Form des Wissenserwerbs ist. Durch das Einbeziehen anderer Perspektiven in das eigene Denken und die Anknüpfung an das bereits bestehende Wissen, wird eine tiefe kognitive Auseinandersetzung mit den jeweiligen Inhalten gefördert. Der Prozess dieses gegenseitigen Austauschs von Informationen, des Gebens und Aufnehmens neuer Anregungen, wird als transaktive Kommunikation bezeichnet. Genau in dieser Transaktivität liegt der Vorteil des kollaborativen Lernens im Vergleich zu individuellen Lernformen: Die Berücksichtigung zusätzlicher Informationen und alternativer Ideen, und damit auch von Anregungen, sowie das Teilen eigener Gedanken, sind in individuellen Lernformen nicht ohne weiteres möglich. In transaktiver Kommunikation zeigen kollaborative Lernformen positive Effekte auf folgenden unterschiedlichen Ebenen: 

  • Individueller Wissenserwerb
  • Gruppenleistung
  • Soziale Interaktion im Lernprozess
  • Erwerb von Fähigkeiten (z.B. Problemlösefähigkeit)
  • Affektive Wahrnehmungen (z. B. emotionale und motivationale Aspekte des Lernens) 

Gibt es in Bezug auf die Wirksamkeit einen Unterschied zwischen analogen und digitalen Kollaborationen? Ja, denn bezogen auf digitale Lernsettings lässt sich feststellen, dass diese insgesamt stärkere Effekte auf die genannten Lernziele zeigen. Digitale Lernsettings bieten andere Möglichkeiten der Gestaltung der Transaktivität, beispielsweise durch interaktive, strukturierte und motivierende Lernumgebungen. Auch die zeitliche Flexibilität, die es Lernenden erleichtert, sich vorzubereiten, zu reflektieren und die Inhalte zu verstehen, wird als Vorteil genannt. Außerdem bieten digitale Lernformen für unterschiedliche Lernstile eine Chance, sich einzubringen (z. B. haben passive Lernende digital mehr Selbstbewusstsein, sich zu äußern). 

 

FAZIT: Transaktivität fördern!

Es reicht nicht, Lernende in Gruppen zusammenzubringen, damit kollaboratives Lernen erfolgreich ist. Vielmehr müssen bestimmte Gestaltungsmerkmale berücksichtigt werden, die die Transaktivität fördern. 

 

​Was muss bei der Gestaltung kollaborativer Lernformen berücksichtigt werden? 

  • Zeitliche Synchronizität: Diese gilt als entscheidende Voraussetzung für die Entstehung von Transaktivität. Synchrone Settings sollten also immer dann gewählt werden, wenn eine Tiefenverarbeitung der Lerninhalte angestrebt wird. Asynchrone Formate (z. B. Diskussionsforen) eignen sich besonders beim Umgang mit vielen und komplexen Informationen, da so genügend Zeit zum Vorbereiten und Planen zur Verfügung steht. Die bisherige Forschung (insbesondere vor der Pandemie) bezieht sich überwiegend auf asynchrone, schriftliche und synchrone Formate.
  • Individuelle Kommunikationsfähigkeiten: Die Fähigkeit, transaktiv zu kommunizieren (z.B. aktiv zuhören, andere Perspektiven erkunden, Argumente bilden) ist erlernbar. Spezifische Trainings zur Förderung sozialer und kommunikativer Kompetenz können in die Lehre integriert werden. Dabei müssen aber die unterschiedlichen Kompetenzniveaus der Lernenden berücksichtigt werden. 
  • Gruppenzusammensetzung: Der Lernerfolg hängt vom kognitiven Niveau und vom Vorwissen der Mitglieder einer Gruppe ab, aber auch von Aspekten wie Empathie, Sympathie und Vertrauen. Es kann sich also insbesondere bei länger zusammenarbeitenden Gruppen lohnen, freundschaftliche Beziehungen zu berücksichtigen.
  • Aufgabenstellung: Transaktive Kommunikation (z. B. im argumentativen Diskurs) und Synergien von Wissen und Fähigkeiten (z. B. durch Aufteilung der Lerninhalte über die Lernenden), sollten durch die Aufgabenstellung angeregt werden. Komplexe, offene Aufgabenstellungen sind für Kollaboration vielversprechender als einfache Aufgaben.
  • Einsatz von Tools: Bedeutsam ist der Einsatz von passenden didaktischen Ansätzen und unterstützenden Tools, denn diese können die Effekte von digitalem kollaborativem Lernen erhöhen. Allerdings sollte dies gut geplant werden, da zu viele unterschiedliche Tools die Lernenden leicht ablenken und überfordern können. Worauf man dabei achten sollte, wird im nächsten Abschnitt erläutert.

 

FAZIT: Lernsetting entsprechend den Lernzielen gestalten!

Neben der Planung zeitlicher Aspekte, der Formulierung der Aufgabenstellung sowie dem gezielten Einsatz von Tools und didaktischen Ansätzen sollten auch soziale Aspekte berücksichtigt werden (z.B. Gesprächsregeln), um digitale kollaborative Lernsettings effektiv zu gestalten.

 

Wie und wann kann man Tools und didaktische Ansätze zielführend einsetzen? 

Der Einsatz von Tools kann Kollaboration in digitalen Lernumgebungen fördern. Aber was genau ist mit „Tools“ gemeint? In der Forschung wird zumeist zwischen Tools und didaktischen Ansätzen unterschieden. Unter Tools versteht man beispielsweise Group Awareness Tools, Graphen und Multimedia, Adaptive und intelligente Systeme, Virtuelle Lernumgebungen, (erweiterte) Diskussionsforen oder Visuelle Repräsentationstools. Didaktische Ansätze sind beispielsweise Instruktionen und Guidance, Peer Feedback und Assessment oder Rollenzuweisungen. Bei der Umsetzung kollaborativer Lernformen können Tools und didaktische Ansätze eine wichtige Rolle einnehmen, dabei gilt es ihre spezifische Wirkung für die unterschiedlichen Lernziele zu bedenken und bei der Planung zu berücksichtigen:  

 

So zeigen sich Group Awareness Tools am vielversprechendsten über mehrere Lernziele (z. B. für den individuellen Wissenserwerb, die Gruppenleistung und auch die soziale Interaktion) hinweg. Group Awareness Tools sammeln Informationen über die Gruppenmitglieder (z.B. über das Engagement, die Interessen, das Vorwissen, das kommunikative Verhalten), um diese dann den anderen Lernenden zur Verfügung zu stellen. So wird sukzessive ein Modell jedes Gruppenmitglieds erstellt, an dem sich die anderen beim kollaborativen Lernen orientieren können. Insofern ist es wichtig, dass die Lernenden individuelle Beiträge leisten können und sich dabei über das Wissen und die Fähigkeiten sowie die Social Presence der Gruppenmitglieder bewusst sind. Entsprechend zeigen sich visuelle Repräsentationstools (z. B. für die Gruppenleistung) als effektiv, wobei auch hier nicht nur die kognitive Leistung im Vordergrund steht, sondern insbesondere auch die Interaktion in der Gruppe. Durch den Einsatz virtueller Lernumgebungen können ebenfalls mehrere Lernziele adressiert werden, wobei der Effekt auf den Erwerb von Fähigkeiten am stärksten ist. Bei den didaktischen Ansätzen sind vor allem Instruktionen und Guidance (wie Kollaborationsskripte zur Instruktion sozialer, motivationaler und kognitiver Aspekte) über mehrere Lernziele hinweg wirksam (z. B. Erwerb von Fähigkeiten, Wissenserwerb, soziale Interaktion). (Allerdings ist diese Form der didaktischen Unterstützung auch am umfangreichsten beforscht, was bei der Interpretation der Effekte berücksichtigt werden muss.) Darüber hinaus spielen noch weitere Faktoren, wie die Gruppengröße, die verfügbare Zeit sowie die Kombination aus Tool und didaktischem Ansatz eine Rolle für die Effektivität kollaborativer Lernformen im Digitalen.

 

FAZIT: Unterstützung sozialer sowie kognitiver Prozesse am vielversprechendsten für vielfältige Lernziele!

Sowohl Lernziele als auch das Lernsetting müssen mitgedacht werden und sollten den Ausgangspunkt für den geplanten Einsatz von Tools und didaktischen Ansätzen bilden. Dabei gilt es eine überlegte Auswahl zu treffen und kollaborative Lernsettings nicht mit zu vielen Tools zu überfrachten.   

 

Der Beitrag wurde basierend auf einer Sichtung verschiedener Metaanalysen zum kollaborativen Lernen geschrieben.
Weiterführende Informationen können Sie in der zugrundeliegenden Literatur nachlesen: 

Chen, J., Wang, M., Kirschner, P. A., & Tsai, C. C. (2018). The role of collaboration, computer use, learning environments, and supporting strategies in CSCL: A meta-analysis. Review of Educational Research, 88(6), 799-843. https://doi.org/10.3102/0034654318791584  

Chi, M. T. H. & Wylie, R. (2014) The ICAP framework: Linking cognitive engagement to active learning outcomes. Educational Psychologist, 49 (4), 219 – 243. https://doi.org/10.1080/00461520.2014.965823

Hänze, M., & Jurkowski, S. (2021). Das Potenzial kooperativen Lernens ausschöpfen: Die Bedeutung der transaktiven Kommunikation für eine lernwirksame Zusammenarbeit. Zeitschrift für Pädagogische Psychologie, 1-12. https://doi.org/10.1024/1010-0652/a000335

Jeong, H., Hmelo-Silver, C. E., & Jo, K. (2019). Ten years of computer-supported collaborative learning: A meta-analysis of CSCL in STEM education during 2005–2014. Educational research review, 28, 100284.

Kyndt, E., Raes, E., Lismont, B., Timmers, F., Cascallar, E., & Dochy, F. (2013). A meta-analysis of the effects of face-to-face cooperative learning. Do recent studies falsify or verify earlier findings? Educational Research Review, 10, 133–149.

Popov, V., van Leeuwen, A., & Buis, S. C. A. (2017). Are you with me or not? Temporal synchronicity and transactivity during CSCL. Journal of Computer Assisted Learning, 33(5), 424 – 442. https://doi.org/10.1111/jcal.12185

Vogel, F., Kollar, I., Ufer, S., Reichersdorfer, E., Reiss, K. & Fischer, F. (2016). Developing argumentation skills in mathematics through computer-supported collaborative learning: The role of transactivity. Instructional Science, 44, 477 – 500. https://doi.org/10.1007/s11251-016-9380-2

 

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