Was ich mir als Studentin von heute für die digitalisierte Hochschule von morgen wünsche – Teil 2

Was ich mir als Studentin von heute für die digitalisierte Hochschule von morgen wünsche – Teil 2

18.05.20

Wird sich Künstliche Intelligenz an der Hochschule der Zukunft als Studienberaterin und Lernhelferin durchsetzen?

Welche Rolle könnte K.I. als „Study Coach“ spielen? Wie viel Orientierung und Freiräume muss die Hochschule der Zukunft Studierenden bieten? Anfang März haben wir zur Beteiligung an der Blogparade Lernwelten 2030 „Wie sieht die digitalisierte Hochschule der Zukunft aus?“ aufgerufen. Einen Beitrag dazu leisten die Studentinnen Sandra Nungeß und Elisa Rink. Wir freuen uns, ihren Beitrag und ihre studentische Sicht auf eine digitalisierte Hochschule und die Lernwelten 2030 in Form eines Selbstinterviews auf unserem Blog zu teilen. Dies ist der zweite Teil des Interviews, der erste ist hier nachzulesen.

Die Bildungsbiografie lieber selbst planen oder vorgegebenen Strukturen folgen?

Als Studentinnen an der Technischen Universität Kaiserslautern (TUK) beteiligen sich Sandra Nungeß und Elisa Rink mit einem Selbstinterview an der dort durchgeführten Blogparade zum Thema „digitalisierte Hochschule im Jahr 2030”, bei der die Science-Fiction-Kurzgeschichte „Lernwelten 2030” Impulsgeber ist.

Frage 3: Überfordert es Dich, wenn Du in Zukunft nur noch selbstgesteuert lernen und Dein „à la carte”-Studium und Deine Bildungsbiografie selbst planen muss? Welche Mentor*innen und (Peer-)Coaches wünschst Du Dir?

In „Lernwelten 2030” werden verschiedene Arten von Studienberatung kontrastiert: Die verunsicherte Studentin Fiona sucht Rat für ihren Bildungsweg bei einer lebensweisen Professorin (s. Kapitel 5). Daneben wird auch die K.I. Micky Mentor als Studienberater eingesetzt (s. Kapitel 7). Der Student Kibe sucht in seinem Dozenten und potenziellen Arbeitgeber einen Mentor (s. Kapitel 6). 

Elisa Rink: Um selbstgesteuert zu lernen, brauche ich als Studentin ausgeprägte Kompetenzen, um beispielsweise meine Aufgaben eigenverantwortlich zu organisieren, mir passende Lerntechniken anzueignen und mein gesamtes Studium diszipliniert und engagiert durchzuziehen. Diese Schlüsselkompetenzen sind jedoch bei vielen Studierenden zum Zeitpunkt des Studienbeginns wenig ausgeprägt, weil sie in der Schule nicht genug eingeübt wurden. Ich denke, dass ich in den ersten Semestern mit ausschließlich selbstgesteuertem Lernen und der Planung meines Studienweges überfordert gewesen wäre. Auch jetzt in meinem sechsten Semester finde ich es hilfreich, dass es für meine Studienplanung gewisse Vorstrukturierungen und Hilfestellungen gibt.
In meinem Wunschszenario für die Hochschule der Zukunft spielen Studierende als Tutor*innen, Mentor*innen und Peer-Coaches eine wichtige Rolle. Die Studierenden können sich auf Augenhöhe in fachlichen und überfachlichen Dingen weiterhelfen und Erfahrene können eine Vorbildrolle für „Neulinge” einnehmen. Auch die Lehrenden sehe ich in der Zukunft verstärkt als Wegbegleitende und Beratende.
Diese Idee zur Weiterentwicklung der Rollenbilder von Lehrenden und Studierenden hin zu Interaktionspartnern auf Augenhöhe deckt sich mit These 8 im HFD Arbeitspapier Nr. 44 „Zukunftsfähige Lernraumgestaltung im digitalen Zeitalter” (Günther et al. 2019).
Wichtig finde ich dabei auch die Zielsetzung, dass Studierende künftig verstärkt zu Mitgestaltenden an ihrer Hochschule werden. Dazu gehört auch das eigenverantwortliche Gestalten individueller Lernprozesse. Dabei möchte ich als Studentin aber nicht alleine gelassen werden, sondern wünsche mir fachkundige Beratung durch Lehrende oder Peers.

Elisa Rink (links) hat sich als Peer-Coach weitergebildet und berät Mitstudierende an der TU Kaiserslautern

 

Sandra Nungeß: Ich denke, dass diese aktive Rolle und Aufgabe der Mitgestaltung für viele Studierende im ersten Augenblick überfordernd ist. Ich finde es aber durchaus reizvoll, wenn ich ein personalisiertes Studium für mich gestalten kann. Wie auch im HFD Arbeitspapier Nr. 44 diskutiert wird, kann bzw. müsste die Hochschule den Studierenden Raum und Unterstützung geben, gezielt die persönlichen Kompetenzen weiterzuentwickeln. Das hat viele Vorteile für die Lernenden, erfordert jedoch auch flexibel „zusammenbaubare“ Studienleistungen und Studiengänge, eine unterstützende studentische Peer-Community und ein aufeinander Zugehen der Lehrenden und Lernenden.
Ich finde außerdem, dass Akteure aus der Arbeitswelt eine aktivere Rolle als Lehrende und Beratende einnehmen sollten. Mein Studiengang Toxikologie an der TUK steht in engem Kontakt mit der Industrie. Wir haben organisierte Praktika, die in Industrieunternehmen stattfinden, und auch viele Vorlesungen werden von Dozentinnen und Dozenten aus der Industrie gehalten. Das hat mir bereits zahlreiche interessante Einblicke gegeben. Zum Beispiel habe ich eine konkrete Vorstellung von den Arbeitsabläufen bekommen und konnte entscheiden, dass diese Arbeitsweise zu mir passt und mir Freude bereitet. Somit habe ich bereits vor dem Einstieg in die Arbeitswelt von dieser Kooperation profitieren können.

Frage 4: Hilft es dir im Studium, wenn sich Künstliche Intelligenz (K.I.) künftig verstärkt als Helfer „einmischen” wird?

In der Kurzgeschichte „Lernwelten 2030” hat Fiona auf ihrem Smartphone ständig die künstlich intelligente Assistentin KIM dabei, die alles mithört, Ratschläge für jede Lebenslage gibt und als strenger „Study Coach” (sprechende App am Smartphone) z.B. Lern-/Arbeitsaufgaben organisiert, Termine koordiniert und auch erfüllte Aufgaben und Lernfortschritte überprüft, Aufschiebeverhalten feststellt und Motivationsboosts gibt (s. Kapitel 2, Kapitel 3). Die K.I. Wizard hilft bei der wissenschaftlichen Literatursuche, ist aber kommerziell manipulierbar (s. Kapitel 4). Der humanoide K.I. Roboter Micky Mentor soll als Studienberater bald den Menschen ersetzen (s. Kapitel 7).

Sandra Nungeß: In der Studienberatung kann ich mir eine Unterstützung durch K.I.-Anwendungen gut vorstellen. Dadurch kann eine auf den eigenen Lebenslauf gut angepasste Beratung erfolgen. Einem persönlichen K.I. Assistenten und „Study Coach” stehe ich allerdings kritisch gegenüber. Ich kann mir zwar gut vorstellen, dass es für manche Personen motivierend sein kann und die Produktivität steigert, wenn der eigene Lern- und Arbeitsfortschritt und die anstehenden Tasks überprüft werden und die K.I. anspornende Impulse gibt. Aber wenn ich an meine Studienerfahrungen denke, würde solch ein rigides „Coaching” durch eine K.I. den Druck und das Stresslevel wahrscheinlich drastisch steigern. Ob eine K.I. auf meine Prioritäten und meinen persönlichen Lernrhythmus Rücksicht nehmen würde? Ich möchte mir ohne Bevormundung meine Zeit selbst einteilen und entscheiden können, wie viel Aufwand ich in die jeweiligen Aufgaben stecke. Meiner Meinung nach gehört das Erlernen dieser Selbstorganisationsfähigkeit mit zu den wichtigsten Aspekten, die man im Studium erlernt.
Außerdem finde ich es bedenklich, wenn eine K.I. fast jeden Aspekt meines Lebens mitverfolgt. Das ist die vollkommene Überwachung.
Einer meiner Mitbewohner hat kürzlich einen Google-Assistenten in unsere WG mitgebracht und in der Küche aufgebaut. Auf Ansprache hat dieser Musik abgespielt, etwas gegoogelt, das Wetter vorhergesagt oder anstehende Termine vorgelesen. Doch spätestens seit ich den Film „Snowden” gesehen habe, gehe ich davon aus, dass all unsere Geräte jederzeit von Dritten abgehört werden (können). Insbesondere bedenklich finde ich den Stand-By Modus, bei dem die Spracherkennung permanent aktiv ist, aber laut Google nur auf ausgewählte Befehle reagiert. Mein anderer Mitbewohner und ich haben uns dadurch stets abgehört und in unserer Privatsphäre eingeschränkt gefühlt. Wir haben immer den Stecker gezogen, wenn wir uns in der Küche aufgehalten haben, bis wir die K.I. endlich aus der Küche verbannen konnten.

Wird sich Künstliche Intelligenz an der Hochschule der Zukunft als Studienberaterin und Lernhelferin durchsetzen?

Elisa Rink: Eine K.I. als Studienberater*in kann ich mir nicht vorstellen, da für mich die menschliche Komponente bei einer guten Studienberatung eine besonders große Rolle spielt. Einfühlungsvermögen, Lebenserfahrung und die Vorbildfunktion der beratenden Person haben aus meiner Sicht einen entscheidenden Einfluss auf die Qualität des Beratungsgesprächs.
Dennoch muss ich der K.I. auch Pluspunkte zugestehen, beispielsweise ist sie immer und überall verfügbar und kann große Datenmengen verarbeiten und in den Beratungsprozess einbringen. Dadurch hat die K.I. durchaus eine Daseinsberechtigung, ich würde sie jedoch nur als Ergänzung zur persönlichen Beratung durch einen Menschen einsetzen.
Bei einer K.I. als „Study Coach” (persönlicher Lernassistent und -motivator) sehe ich ebenfalls Vor- und Nachteile. Einerseits teile ich Sandras Bedenken in Bezug auf Überwachung und das Erlernen der Selbstorganisationskompetenz, andererseits ist solch ein persönlicher Assistent sicherlich für viele Studierende ein hilfreiches Tool, das zum Lernen motiviert und bei Aufschiebeverhalten und Bummelei „ermahnt”.
Ich selbst würde Studienhelfer in Form von Künstlicher Intelligenz eher nicht nutzen, da ich ständig Bedenken hätte, welche Daten ich preisgebe, in welchem Umfang ich „überwacht” werde oder dass Unternehmen, wie z.B. Google, meine Daten kommerziell nutzen. Einen „Study Coach“, der mich ständig zum Lernen auffordert oder sich mit Ratschlägen einmischt, würde ich mit Sicherheit eher als nervig statt nützlich empfinden.

 

Literatur

Günther, D., Kirschbaum, M., Kruse, R., Ladwig, T., Prill, A., Stang, R., Wertz, I. (2019). Zukunftsfähige Lernraumgestaltung im digitalen Zeitalter. Thesen und Empfehlungen der Ad-hoc Arbeitsgruppe Lernarchitekturen des Hochschulforum Digitalisierung. Arbeitspapier Nr. 44. Berlin: Hochschulforum Digitalisierung. Download

Günther, U. & Günther, D. (2020). Lernwelten 2030. Eine Kurzgeschichte über die digitalisierte Hochschule der Zukunft. Kaiserslautern. Erstveröffentlichung im Blog und als ePaper.

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