„Universitäten sind nicht besonders flexibel – das ist ihre Stärke und Schwäche“

„Universitäten sind nicht besonders flexibel – das ist ihre Stärke und Schwäche“

05.07.17

Armin Rubner von der Ludwig-Maximilians-Universität München im Gespräch über Künstliche Intelligenz, Veränderungen im Hochschulbereich und die Frage, welche Fähigkeiten Studierende in Zukunft brauchen. 

Vom 27. bis 30. Juni hatte das Hochschulforum Studierende aus ganz Europa für den Workshop „Reinventing education in the digital era“ sowie den GLC Summit eingeladen. Eine Reihe von Studierenden führte in diesem Rahmen Interviews mit Besuchern des Summits. Michael Intelmann sprach mit Armin Rubner.

Intelmann: Herr Rubner, bitte vervollständigen Sie folgenden Satz: Künstliche Intelligenz in Bildungssystemen…

Rubner: …kann eine adaptive, intelligente und flexible Lern-Umgebung für jeden einzelnen Lernenden schaffen, die sich optimal an individuelle Vorkenntnisse und Bedürfnisse anpasst. Das wird vor allem mithilfe von Big Data und der hohen Zahl der Lernenden und ihres Lernverhaltens in diversen Systemen ermöglicht: je mehr Lernende Daten diesbezüglich in anonymisierter Form teilen, desto besser kann sich die Lernumgebung an jeden weiteren Lernenden anpassen und sie bei der Optimierung interessengetriebener Lernerfahrungen unterstützen.

Künstliche Intelligenz wird ebenfalls helfen, den Inhalt der Bildung besser an die individuellen Ziele anzupassen. So können zum Beispiel Studierende einen Test vor, während und nach dem Studium machen, wobei die Daten darüber gesammelt und gebündelt werden, wie zufrieden sie mit dem ausgewählten Studium vor, während und nach demselben sind. So werden die Entscheidungswege analysiert und beispielsweise zukünftige Fehler der nächsten Generation bestenfalls vermieden. Dies könnte helfen, kontinuierlich eine Reduzierung der Drop-Outs an Universitäten herbeizuführen und gleichermaßen zu einer höheren Studienzufriedenheit führen.

Künstliche Intelligenz kann zudem dazu beitragen, das Lernen an die heterogenen Lernerfahrungen anzupassen, um möglichst nachhaltig und individuell den Stoff den einzelnen Lernenden anzubieten und deren Behaltensleistung zu optimieren und ihre Lernerfahrung nachhaltig zu verankern.

In unserem Workshop haben wir viel über „Future Skills“ gesprochen. Welche Fähigkeiten sind aus Ihrer Sicht wichtig?

Neugierde, Flexibilität und kritisches Reflektieren, sowie in zunehmendem Maß Ambiguitätstoleranz. Man muss also mit Unsicherheit umgehen können, denn zukünftige Berufe werden noch mehr Volatilität und Ungewissheit durch eine wachsende Informationsfülle mit sich bringen. Das heißt, die Ausbildung sollte einerseits die Interessen des Individuums unterstützen, um einen hohen motivationalen Aspekt in deren Lernerfahrungen zu verankern, andererseits aber auch Neugier wecken, um individuelle Horizonte zu erweitern, was die Auseinandersetzung mit unbekannten Ideen und Fakten darstellt und immer eine Herausforderung ist – Lernen ist ja ganz allgemein formuliert, das sich Erarbeiten und Aneignen von zunächst unvertrauten Informationen und Fakten. Denn, so viel ist sicher, man wird in jedem zukünftigen Job flexibel auf Herausforderungen reagieren müssen, die vermutlich nicht immer mit dem vertrauten, in der Hochschule erworbenen Wissenskanon gemeistert werden können – abgesehen von der Notwendigkeit mit seinem einmal erworbenen Wissen nicht stehen bleiben zu können.

Wie werden sich Universitäten in den kommenden 20 Jahren verändern?

Universitäten werden sich kaum radikal wandeln, wenn es um die Art der Wissenserzeugung in prinzipieller Hinsicht geht – wenn auch die Werkzeuge durch digitale Formen ergänzt oder in Teilen abgelöst werden können. 20 Jahre im Kontext der Entstehungsgeschichte der Universitäten ist ein sehr kurzer Zeitraum und so werden klassische Universitäten weder schnell verschwinden, noch sich in dieser Zeit drastisch verändern. In ihren Anfängen waren die Vorläufer der Universitäten, die Klöster für das Teilen und Bewahren des Wissens zuständig und viele noch heute gebräuchliche Formate der Wissensvermittlung hatten ihren Ursprung dort und sind in ihrer Entwicklung besonderen Rahmenbedingungen geschuldet. So waren zum Beispiel Bücher ein knappes und daher sehr kostbares Gut – Stichwort (Präsenz-)Vorlesung. Heute trifft es zwar zu, dass das Wissen leichter (digital), rascher (Internet) und vergleichsweise günstig verfügbar gemacht werden kann. Hier liegt die Herausforderung, die digitalen Möglichkeiten mit den tradierten und möglicherweise nicht mehr ganz zeitgemäßen, da unflexibel gewordenen, Vermittlungsformaten zu kombinieren, um solchen ehemals bewährten Formaten neues Potential zu schenken.

Ganz abgesehen davon, sind in unserer heutigen, äußerst hektischen und manchmal auch oberflächlichen Zeit, vielleicht gerade die Universitäten und ihre Stabilität gefragt und sie werden in erster Linie an dieser Tradition, weil sie Stabilität und Zuverlässigkeit bedeutet, auch festhalten. Wenn es ihnen gelingt, die digitalen Werkzeuge klug und mit Weitsicht zu implementieren, um zum Beispiel mit dem so genannten Flipped Classroom-Modell das Vorwissen von Lernenden etwas mehr zu homogenisieren im Hinblick auf die anschließende Präsenzphase, dann könnte mehr Zeit in der Präsenz für die Lehrenden zur Verfügung stehen, in die Tiefe des Lernmaterials zu gehen.

Universitäten könnten noch aufgeschlossener im Hinblick auf neue (technische) Trends sein, ohne die traditionellen Methoden abzuwerten. Man hätte zwar die Vorlesungen schneller modularisieren und früher die digitalen Werkzeuge einführen können, als es tatsächlich der Fall war. Andererseits, sollte man auch nicht jedem (technischen / digitalen) Trend blindlings nachlaufen, wenn man auch mit traditionellen Lehrmethoden Erfolg hat. Das heißt, Universitäten sind in diesem Sinne auf den ersten Blick nicht besonders flexibel und das ist ihre Stärke und Schwäche gleichermaßen.

Viele kritisieren heutige Bewertungsmethoden als inadäquat. Wie sollten sich Bewertungen von Studierenden ändern?

Bewertungen sollten sich mehr an längerfristigen Bildungszielen orientieren. Diese müssen natürlich immer wieder neu definiert werden, um dann anhand solcher Ziele adäquate Bewertungskriterien zu entwickeln. Ich denke, dass sie sich nach und nach verändern werden. Noten sind ursprünglich „erfunden“ worden, als der Souverän die besten Kandidaten für seinen Staatsdienst auswählen musste. Heute muss man sich überlegen, auf welche Herausforderungen es gilt eine Antwort zu finden und was dies für die Ausbildung von Studierenden im Speziellen bedeutet.

Ein aktueller Ansatz in dieser Hinsicht wäre das so genannte Peer-Review-Verfahren, das bereits in einigen MOOCs seine Anwendung findet. So lernen die Studierenden bereits früh in Teams zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig konstruktiv zu bewerten, aber auch, wie sie selbst von anderen – nach einem allen gemeinsam zugänglichen Bewertungsschema – bewertet werden. Das ist schon ein guter erster Schritt, wobei dieses Konzept noch weitergedacht werden sollte und sich bestenfalls evolutionär und nicht, wie häufig effektheischend verkündet, revolutionär entwickeln wird. Denn an solche Konzepte müssen sich alle Beteiligten erst einmal langsam herantasten und gewöhnen: Einerseits die Lehrenden, weil sie dann stärker Begleiter und Coaches von Bildungsprozessen werden, und andererseits die Lernenden, die Erfahrung sammeln müssen wie kritische Bewertungen konstruktiv zu vermitteln sind und wie es sich anfühlt, solcher Art von anderen „peers“ bewertet zu werden.

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