Smart Learning Platform 4.0
Smart Learning Platform 4.0
20.04.18Das Projekt „Industrie 4.0 – Smart Learning Platform 4.0“ von der Hochschule für Technik in Stuttgart gehört zu den zwölf Gewinnern des Förderprogramms Curriculum 4.0 von Carl-Zeiss-Stiftung und Stifterverband. Das Projektteam Prof. Dr. Dieter Uckelmann, Dipl.-Päd. Anke Pfeiffer und Kevin Kutzner stellt die Smart Learning Platform 4.0 sowie den dazugehörigen Lernparkour in ihrem Blogbeitrag vor. Ziel des Projektes ist es, Studierende zu befähigen, kollaborativer in interdisziplinären, interprofessionellen, branchenübergreifenden und internationalen Kontexten zu arbeiten.
Einführung
Der Studiengang Informationslogistik der Hochschule für Technik Stuttgart hat sich, aufgrund der geänderten Anforderungen einer digitalisierten Arbeitswelt das Ziel gesetzt, den Studierenden realitätsnahe Industrieumgebungen anzubieten und hierfür ein Industrie 4.0-Labor mit mobilen, stationären und virtuellen Bestandteilen einzurichten. Den künftigen Hochschulabsolventinnen und -absolventen soll somit die Möglichkeit bereitet werden, grundlegende Anwendungen praktisch zu erforschen, um sich vielseitige Kenntnisse über bestehende und neue Technologien aneignen und infolgedessen auch ihren Lernerfolg maximieren zu können. Denn je besser Studierende an den Hochschulen auf ihre Tätigkeiten vorbereitet werden, desto einfacher erfolgt der Einstieg in die Industrie.
Der Industriestandort Deutschland und die einhergehende Wirtschaft erwarten von Nachwuchsingenieurinnen und -ingenieuren neue Impulse aus der Forschung, die über den bisherigen Stand der Technik hinausgehen. Dies setzt fundiertes theoretisches und praktisches Wissen über das Zusammenspiel von Hardware (inklusive Cyber-Physischer Systeme, CPS), Software (inklusive Programmierung) und Telekommunikation (inklusive drahtloser Übertragungstechniken) voraus. Obwohl heutige Studierende mit Computern und dem Internet groß geworden sind, fehlt ihnen dennoch häufig der Bezug zu grundlegenden Technologien. Dieser soll nun durch eine noch praxisnähere Lehre und die Möglichkeit, eigenständig im privaten Umfeld zu experimentieren, erreicht werden. Die Smart Learning Platform 4.0 stellt ein Lösungsmodell dar, dass die Studierenden dazu befähigt, weitaus kollaborativer in interdisziplinären, interprofessionellen, branchenübergreifenden und internationalen Kontexten arbeiten zu können. Dazu soll im Laufe eines zweijährigen geförderten Projekts ein Lernparkour erstellt werden, den die Studierenden innerhalb von sieben Semestern durchlaufen.
Das Projekt „Industrie 4.0 – Smart Learning Platform 4.0“ gehört zu den zwölf Gewinnern des Förderprogramms „Curriculum 4.0“, welches aus knapp 150 Anträgen von der Carl-Zeiss-Stiftung und dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft e.V. ausgewählt wurde, um notwendige Studiengangsreformen an deutschen Hochschulen aufgrund der bereits stattfindenden Digitalisierung der Arbeitswelt zu unterstützen.
Aufbau der Smart Learning Plattform
Damit die strategische Konzepterstellung, modellhafte Erprobung und finale Implementierung des multimedialen und technologiebasierten Lernangebots verwirklicht werden kann, werden vier Hauptkomponenten erarbeitet, um das arbeitsrelevante Anwendungswissen im Verlauf des Studiums sukzessive aufzubauen und dementsprechend zu stärken. Es werden sowohl inhaltlich als auch praktisch Themengebiete aus Industrie 4.0 und dem Internet der Dinge (engl. Internet of Things, IoT) aufgenommen, um kreative Experimentiermöglichkeiten, aktive Partizipation und gemeinsames Lernen durch reale Erfahrungen an technischen Systemen in der Hochschule, sowie auch im privaten Umfeld zu erzielen. Sie ist hierbei als verbindendes Element mehrerer Lehrveranstaltungen zu verstehen. Hierzu gehören bislang bereits Vorlesungen zu Grundlagen der Informationslogistik, Sensoren, Telematik, ein Softwareprojekt, Seminar und praktisches Projekt, Technische Logistik und Analyse raumbezogener Daten – gegebenenfalls auch darüber hinaus, beispielsweise bei der Durchführung und Unterstützung von Bachelorarbeiten. Durch die Vermittlung theoretischen Wissens und das Erfahren praxisnaher und problemorientierter Anwendungen findet eine Schärfung der informationstechnologischen Orientierung und Reflexionsfähigkeit statt. Eine Übersicht der Smart Learning Platform wird in Abbildung 1 skizziert:
Der entwickelte Lernparkour fokussiert demnach vier Hauptkomponenten, welche mit dem Kern, einer vernetzten Cloud-Lösung im Zusammenspiel mit einem Learning Management System (LMS, hier Moodle) interagieren. Die Nutzung vorhandener Cloud-Anwendungen, für die Verbindung von Sensorboards und des Internets (hier u.a. mittels Thing-Speak) soll das Konzept des IoT verdeutlichen. Sensordaten können auf diese Weise im Internet verfügbar gemacht werden, verteilte Sensoranwendungen werden ermöglicht und die Zusammenarbeit der Studierenden gefördert. Zugleich werden über das LMS die virtuellen Lernphasen durch begleitende Dokumentationen unterstützt und die einzelnen Lernstationen miteinander verknüpft. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass die Lerninhalte unabhängig von Zeit und Ort zur Verfügung stehen. Diskussionsforen, Wikis und weitere soziale Netzwerkstrukturen können über das LMS ebenfalls von den Studierenden genutzt werden. Diese und andere öffentlich zugängliche soziale Plattformen mit zusätzlichen Inhalten (u.a. YouTube) werden aufgrund ihres enormen Wissensspeichers genutzt und sollen die Smart Learning Platform ergänzen.
Mobile Testumgebungen
Mit mobilen Systemen, welche die Studierenden auch im heimischen Umfeld erproben können sind Sensorboards (hier Arduino) gemeint. Das Sensorboard ermöglicht ein aktives forschendes Lernen, sowie den Umgang mit den Themen Sensoren, Aktoren und Netzwerkverbindungen, welche Hauptbestandteil der Lehrveranstaltungen Sensoren und Telematik darstellen. Die Stärkung des Theorie-Praxis-Transfers sowie der elementare Praxisbezug durch den Einbezug informationstechnischer Experimente wird mit elektronischen Sensorboards sichergestellt. Die aus Soft- und Hardware bestehenden Physical-Computing-Plattformen umfassen neben dem Mikrocontroller auch analoge sowie digitale Ein- und Ausgänge und zum Teil integrierte serielle Wireless-Transceiver-Module, zur drahtlosen Übertragung von Daten. Die im Rahmen der Vorlesung zu Sensoren eingesetzten Sensorboards ermöglichen den Studierenden eigenständige interaktive Objekte zu steuern und gewonnene Sensordaten mit Hilfe von Cloud-Anwendungen sammeln, speichern, verarbeiten und beispielsweise in Diagrammen veranschaulichen zu können.
Stationäre Testumgebungen
Reale und industrienahe Lernstationen ermöglichen es den Studierenden, innerhalb der Hochschulräumlichkeiten einen hohen Praxisbezug zu erfahren. Der Studiengang Informationslogistik hat in den vergangenen Jahren bereits eine Reihe von Investitionen für die technische Ausstattung und Einrichtung eines Labors zum Thema Industrie 4.0 getätigt. Dazu zählen eine Messkammer für RFID-Transponder, Barcode und RFID-Lese- und Schreibsysteme sowie verschiedene Vision-Sensoren. Aufgrund der gestiegenen Studierendenzahlen ist die räumliche Situation jedoch an vielen Hochschulen angespannt. Laborflächen sind rar und begehrt. Die Smart Learning Platform kombiniert daher zwei verschiedene Ansätze der Raumnutzung. Zum einen werden „Stand-Alone“-Lösungen, wie beispielsweise ein intelligenter Kommissionierarbeitsplatz (hier „Schlauer Klaus“) aufgebaut und genutzt. Für die Umsetzung und Präsentation von realitätsnahen Studien- und Bachelorarbeiten wird zum zweiten die Zentralwerkstatt der Hochschule für den praxisnahen Einsatz ubiquitärer Technologien in industriellen Szenarien genutzt.
Virtuelle Übungsumgebungen
Durch die praktische Anwendung von 3D-Fabriksimulationen (hier Plant-Simulation) lernen die Studierenden innerhalb der Lehrveranstaltung Technische Logistik den Nutzen von industrienahen Simulationen kennen. Diese bietet den Studierenden eine einfach anwendbare und flexible Software zur Erstellung von Computermodellen komplexer Produktions- und Logistiksystemen und zeigt ihnen, dass Materialfluss, Ressourcenauslastung und Logistikketten auf allen Ebenen eines Unternehmens simuliert und optimiert werden können.
Thematische Einordnungskonzepte werden in der Vorlesung „Analyse raumbezogener Daten“ vermittelt und durch praktische Übungen mit Softwaresimulationen (hier Regio-Graph) gefestigt. Unter Einhaltung der richtigen Sicherheitsbestimmungen lernen die Studierenden beispielhaft entlang der Wertschöpfungskette das richtige Produkt (Identifikation), in der richtigen Menge, zur richtigen Zeit, am richtigen Ort (Raumbezug), im richtigen Zustand (Sensorik) zu den richtigen Kosten zu gewährleisten. Die Kombination von Rauminformationen (digitale Karten) und Sachinformationen (tabelliert in Datenbanken) ist hierbei ein wichtiges zu erlernendes Werkzeug. Ziel ist es, den Studierenden gleichermaßen fundamentales Wissen über Datenfindung und -aufbereitung praktisch zu vermitteln und dass diese lernen, ein Bewusstsein für die Verknüpfung und Zuordnung der verwendeten Daten zu entwickeln.
Co-Creation
Im Fokus der kooperativen Entwicklung soll zum einen die Kreativität der Studierenden gefördert werden und zum anderen „studierendennahe“ Lernumgebungen – von Studierenden für Studierende – entstehen. In den projektorientierten Modulen können Studierende entsprechende Systeme entwickeln und durch ihre Kommilitoninnen und Kommilitonen bewerten lassen. In dem Modul Seminar und praktisches Projekt im Sommersemester 2017 wurden Studierende in Kleingruppen aufgefordert, Lernübungen mit Bezug zu Industrie 4.0 oder dem IoT zu erarbeiten. So wurden unter anderem praktische Übungen für das „Erleben“ von Kanban-Steuerungen, Füllstandsmessungen auf Basis von RFID und der funkbasierten Anwesenheitserkennung erstellt. Die Bewertung erfolgte auf Basis einer Peer-Review unter den Studierenden. Die besten Übungen fließen zukünftig in den Lernparkour mit ein.
Umsetzung der Übungsinhalte anhand agiler Methoden
In Zusammenhang mit Industrie 4.0 wird zudem immer wieder der Einsatz agiler Methoden genannt. Mit der zunehmenden Bedeutung der Informationstechnologie im Industrie 4.0-Umfeld kommen somit agile Methoden in klassischen Industrien mehr und mehr für die entwicklungsnahen Prozessabschnitte zum Einsatz. Gegenwärtig stellt Scrum eine der bekanntesten agilen Methoden dar. Dies lässt sich hauptsächlich auf seine einfache Struktur und die klar definierten Rollen zurückführen. Die Vorteile von Agilität im Projektmanagement lassen sich mit Hilfe von Scrum schnell um- und produktiv einsetzen. Charakteristisch für Agiles Projektmanagement ist die Fokussierung auf das zu liefernde Produkt und die sehr dynamische und flexible Steuerung von Prozessen, denn neue Ideen oder Anforderungen, Feedback durch Kunden oder fehlerhafte Testfälle können rasch Änderungen im Verfahren erzwingen und sind infolgedessen im Verlauf eines Projekts nicht planbar.
Anwendung für die Smart Learning Platform
Für den Aufbau der Smart Learning Platform werden in zweiwöchigen Abschnitten (Sprints) Industrie 4.0-Themen ausgearbeitet und Übungseinheiten im Umfang von zwei bis vier Stunden erstellt. Es werden eine Reihe von Anforderungen mit Bezug zu Industrie 4.0 und der jeweiligen Vorlesung definiert und im Product-Backlog festgehalten. Dieses beinhaltet somit aktuelle und zukunftsorientierte Übungsinhalte. Die Anforderungen können gegebenenfalls getauscht oder neu priorisiert werden, damit sichergestellt wird, dass auf Änderungen, beispielsweise die Vermittlung von bedeutsameren Technologien oder Vorgehensweisen in kürzester Zeit reagiert werden kann. Der jeweilige Professor oder Lehrbeauftragte fungiert hierbei als Produkt-Owner und verfügt über die Entscheidungskraft Änderungen zu veranlassen. Die einzelnen Anforderungen werden innerhalb des Sprints vom Entwicklerteam in kleinere Aufgaben geteilt, priorisiert und nacheinander abgearbeitet. Dem Entwicklerteam können hierbei – je nach Bedarf – auch Mitarbeiter(innen) des Didaktikzentrums angehören, um beispielsweise Learning Analytics besser integrieren zu können. Zudem werden Studierende selbst im Sinne der Co-Creation aktiv an der Gestaltung von Übungseinheiten beteiligt sein. In Abbildung 2 wird beispielhaft der Ablauf einer Übung zur sensorbasierten Temperaturüberwachung skizziert.
Anhand der Evaluation zum Semesterende und des Sammelns von Erfahrungen währenddessen werden die Anforderungen durch iterative Verbesserungsmaßnahmen jedes Semester angepasst und erweitert. Der Praxisbezug zur jeweiligen Vorlesung wird somit noch einmal in kleine Teilschritte zerlegt, damit in jeder Iteration neue Anforderungen und zeitgemäße Technologien einfließen können.
Ausblick und weiteres Vorgehen
Um Inhalte der Vorlesung selbstständig vertiefen zu können, sollen zukünftig weitere Übungsszenarien kreiert werden und zudem soll eine stärkere Einbeziehung der Studierenden in Forschungsprojekte erfolgen. Denn im Umfeld von Industrie 4.0 und der allgegenwärtigen Digitalisierung der Arbeitswelt müssen die Hochschulabsolventinnen und -absolventen sich ständig ändernden Anforderungen stellen und entsprechend neue Fähigkeiten aneignen. Hierfür müssen die bestehenden Curricula demzufolge ergänzt werden. Die Hochschulen müssen zwar unabhängig von der Wirtschaft agieren, dennoch dürfen diese sich technischen Erneuerungen nicht verweigern.
Das Projekt Smart Learning Platform 4.0 will hierbei einen Beitrag leisten und neue Studieninhalte aufgreifen, sowie Studien- und Lernformen an eine zunehmend durch Digitalisierung geprägte Arbeitswelt anpassen. Zugleich soll das vorgestellte Modell übertragbar auf weitere Studiengänge sein, um die vorgestellten Lösungsansätze vollumfänglich auszuschöpfen. Zukünftig soll darüber hinaus eine personalisierte Unterstützung des einzelnen Lernenden umgesetzt werden, indem die Ergebnisse der Bewertung von Lernerfolgen zurückgespiegelt werden und die Studierenden somit selbst mehr über ihr eigenes Lernverhalten erfahren können. Hierzu sollen Methoden der Learning Analytics in das Konzept der Smart Learning Platform integriert werden, um die Lernbedürfnisse der jeweiligen Studierenden besser analysieren zu können.