Kultur- und Strukturwandel durch Freiräume zum Experimentieren

Kultur- und Strukturwandel durch Freiräume zum Experimentieren

08.10.18

Übertragung

Dieser Blogbeitrag erscheint in unserer Serie von Beiträgen zur Nachbereitung der Strategiekonferenz während der Themenwoche „Shaping the Digital Turn“. Er wurde zuerst bei Digitalisierung der Bildung veröffentlicht.

In ihrem Blogbeitrag rekapituliert Dr. Berit Baeßler vom mmb Institut die Themen-Session „Strukturen und Formate zum Experimentieren in digitalen Zeiten an Hochschulen“ von Dr. Tina Ladwig, Projektleiterin der Hamburg Open Online University HOOU@TUHH, Technische Universität Hamburg (TUHH), und Ann-Kathrin Watolla, Wissenschaftliche Mitarbeiterin (TUHH).

Die bisherigen Beiträge in diesem, die Strategiekonferenz „Shaping the Digital Turn – Hochschullehre im digitalen Zeitalter gestalten“ begleitenden, Blog haben gezeigt, dass für die Strategiebildung von Hochschulen in der digital geprägten Welt ein breiter Blick notwendig ist, der von (neuen) Zielgruppen über die Motivation und Mobilisierung von Lehrenden bis hin zur Auslotung individualisierter Lern- und Lehrpotentiale reicht. Ein ähnlich multiperspektivischer Blick ist auch für die Umsetzung nötig, bei der man im Sinne von Change 2.0 alle Beteiligten auf die gemeinsamen Veränderungsziele hin orientieren und durch die Schaffung entsprechender Rahmenbedingungen Nachhaltigkeit sichern sollte. 

Ein Mittel, um solche ganzheitlichen Entwicklungsprozesse zu fördern, sind Freiräume zum Experimentieren. Diesen Ansatz verfolgt die Hamburg Open Online University (HOOU). Dr. Tina Ladwig, Projektleiterin HOOU@TUHH, Technische Universität Hamburg (TUHH) und Ann-Kathrin Watolla, Wissenschaftliche Mitarbeiterin (TUHH), präsentierten in ihrer Session „Strukturen und Formate zum Experimentieren in digitalen Zeiten an Hochschulen“ innovative Formate der institutionellen Entwicklung, die besonders zum Austausch und Kulturwandel an der HOOU beigetragen haben und ließen die Workshop-Teilnehmer/innen anschließend diskutieren, welche Strukturen und welche Kultur sie sich für ihre Hochschulen wünschen und wie dies erreicht werden kann. 

Weißes Papier und Stift

Da die Veranstalterinnen zum Verlauf und zu den Ergebnissen des bereits mehrmals durchgeführten Workshops (siehe hier) einen eigenen Blogbeitrag verfassen werden, sollen an dieser Stelle exemplarisch einige der an der HOOU praktizierten (erfolgreichen) „Formate zum Experimentieren in digitalen Zeiten an Hochschulen“ vorgestellt werden.

Zu einem grundlegenden Wandel in Werten und Einstellungen der TUHH haben laut Ladwig neben vielen anderen Projekten die folgenden drei an der TUHH entstandenen Lernprojekte geführt:

Kniffelix

Kniffelix ist ein Mitmach-Experimentier-Angebot der Kinderforscher an der TUHH. Es regt in Form eines interaktiven Blogs zur praktischen Auseinandersetzung mit alltäglichen Naturphänomenen an. Kleine und große Forscher/innen gehen z.B. im Kniffelix Ketchup-Rätsel der Frage nach, warum Ketchup häufig mit einem einzigen großen Schwall aus der Flasche kommt und erfahren dabei etwas über das Fließverhalten von Flüssigkeiten. Dem Angebot sind Experimentieranleitungen, Arbeitsblätter sowie Lehrerbegleitmaterialien zum Ketchup-Rätsel beigefügt. Kniffelix ist für Einsteiger/innen in die Naturwissenschaften mit geringem Vorwissen konzipiert und kann sowohl von dem einzelnen Kind Zuhause als auch von einer Schulklasse bearbeitet werden.

RUVIVAL:

Trockenheit, Wasserknappheit, Bodenerosion, Rückgang der Vegetation und Erntebeiträgen – Was sind die Ursachen hierfür und welche Maßnahmen können ergriffen werden, um unfruchtbares, degradiertes Land wieder zu regenerieren? Mit diesen Fragen beschäftigt sich das Bauingenieursprojekt RUVIVAL. Im Fokus stehen die nachhaltige ländliche Entwicklung und Ressourcennutzung insbesondere in Entwicklungsländern. In Zusammenarbeit mit Studierenden, NGOs und Schulen wurden 180 OER-Materialien (darunter 64 Videos, 19 interaktive Vorlesungen, 3 Buch- und Schriftenreihen) erstellt und ein Ökodorf-Planspiel entwickelt. Die im Projekt entwickelten Tools werden durch die HOOU-Plattform den Ländern vor Ort zur Verfügung gestellt. Der weltweite Praxisaustausch spiegelt sich in bisher mehr als 45.000 Webseitenaufrufe aus 134 Ländern und 15.762 Aufrufen der RUVIVAL YouTube Videos wider. An dem Ökodorf-Planspiel nahmen in bisher drei Durchläufen 300 Teilnehmer/innen auch aus nicht-universitären Zusammenhängen teil.  

Hop-on:

Hop-on ist ein Kooperationsprojekt der TU Hamburg und der INBAS GmbH, Kiron Open Higher Education gGmbH und der DQG mbh. Ziel ist die Unterstützung von erwachsenen Geflüchteten in der Gestaltung ihrer beruflichen Zukunft. Kernstück von Hop-on ist der Fahrplan, eine Art Fragebogen zu Zielen und mitgebrachten Voraussetzungen der Nutzer/innen. Nach der Beantwortung der Fragen werden die Schritte zum Berufs- und Studienabschluss in Deutschland aufgezeigt und kurze Informationen und Empfehlungen zu diesen Wegen gegeben. Die Plattform kann auf Deutsch, Arabisch, Persisch und Englisch genutzt werden. Bisher gab es mehr als 30.000 Seitenaufrufe aus 105 Ländern. Mehr Informationen finden Sie auch im HFD-Blog: https://hochschulforumdigitalisierung.de/de/news/erweiterung-von-hop-on-studieninteressierte

Diesen drei Projekten wie allen anderen Projekten an der HOOU liegen vier Kernziele zugrunde:

  1. Lernendenorientierung und Kollaboration,
  2. Wissenschaftlichkeit,
  3. Öffnung für neue Zielgruppen und zivilgesellschaftliche Relevanz sowie
  4. Openness / OER.

Realisiert werden diese Ziele durch ein besonderes Merkmal der Plattform: Neben dem eigentlichen Portal und der dahinterliegenden Datenbankstruktur mit OER-Elementen und Lernangeboten gibt es ein weltöffentliches technisches Experimentierfeld: Hier werden entsprechend den Kernzielen jeweils individuelle technische Lösungen aufgebaut (z.B. eine moodle Installation, oder eine GitBook-Lösung), mit denen dann die Lernangebote präsentiert werden. Sämtliche Inhalte stehen als offene Quell-Dateien zur Verfügung. Wenn eine individuelle Lösung im Experimentierfeld gut funktioniert und erfolgreich ist, dann wird sie in das Portal eingebaut. Das bewusste Experimentieren ist damit ein zentraler Bestandteil der HOOU. Die Lernenden werden explizit in den Prozess der Materialerstellung einbezogen und lernen somit nicht nur, sich ihren eigenen Lernprozess zu strukturieren, sondern auch essentielle Digitalkompetenzen, wie z.B. kollaborative Arbeitsweisen, das Analysieren und Reflektieren von und über Inhalte aber auch problem- und vielmehr auch lösungsorientiertes Handeln.

Vor dem Hintergrund dieses Zusammenspiels von Strategie (Markenkern), Struktur (Experimentierfeld) und Kultur (Lernendenorientierung, Openess) haben sich weitere Austauschformate an der TUHH entwickelt. So wurde beispielsweise eine neue Arbeitsgruppe openTUHH gegründet unter der Schirmherrschaft des Vizepräsidenten Forschung mit dem Vizepräsidenten Lehre, dem Rechenzentrumsleiter, der Leiterin der TU Bibliothek sowie engagierten Akteurinnen und Akteuren der HOOU. Aus dieser Gruppe heraus sind wiederum neue interne Strukturen wie der wöchentliche Hackerspace an der TUHH und – extern – die Kooperation mit den Bücherhallen Hamburg entstanden.

„Natürlich sind wir mit diesen Projekten noch nicht am Ende der Entwicklung angekommen“, resümiert Ladwig. Die Projekterfahrungen sollen verstärkt auf strategischer Ebene verdichtet werden. „Aus diesem Grund befassen wir uns aktuell auch mit Themen der Lerncommunities und der Gestaltung von Lernräumen. Das heißt zum einen mit der Gestaltung von Räumen – virtuell und physisch – in Lehr- und Lernprozessen, zum anderen aber auch in Forschungsprozessen.“

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