Interview zum Studi-Gipfel Baden-Württemberg
Interview zum Studi-Gipfel Baden-Württemberg
06.07.21Ende Mai hatte die Landesregierung Baden-Württemberg zum virtuellen Studi-Gipfel eingeladen. Im Anschluss an den Gipfel hat Digital ChangeMaker Adrian Bidlingmaier die Ministerin für Wissenschaft, Forschung und Kunst Theresia Bauer zur Digitalisierung der Hochschulen sowie den Perspektiven für Studierende befragt. Außerdem haben wir die Ministerin natürlich gefragt, wann Präsenzlehre wieder ermöglicht wird und die Hochschulen wieder öffnen können.
Frau Bauer, mittlerweile befinden wir uns mitten im dritten Digitalsemester. In der Diskussionsrunde beim Studi-Gipfel am 20. Mai haben sie die Umstellung der Hochschulen auf den digitalen Lehrbetrieb zum einen als, so wörtlich: “unmöglichen Kraftakt” und gleichzeitig auch als “gut gelungen” bewertet. Daher die Frage: Was hat gut funktioniert und was sind die Punkte, die weniger gut funktioniert haben?
Zunächst war es eine enorme Herausforderung, mit den Hochschulen den Betrieb komplett auf Online-Lehre umzustellen. Es gibt viele unterschiedlichen Formate, die da zu regeln sind. Und es ist uns gelungen, innerhalb kürzester Zeit diese Umstellung vorzunehmen. Wir wissen heute, dass wir 99 Prozent der vorgesehenen Lehrangebote im vergangenen Semester ordnungsgemäß in den Hochschulen anbieten konnten. Davon waren fast 90 Prozent reine Onlineformate, sieben Prozent Präsenzveranstaltungen und fünf Prozent Hybridveranstaltungen. Nur ein Prozent musste verschoben werden. Das ist ein Kraftakt organisatorischer und auch technischer Art. Aber auch das Know-How der Studierenden war gefragt, und sie mussten sich umstellen. Von daher: Ich habe großen Respekt davor, dass das gelungen ist.
Natürlich läuft nicht alles glatt; interaktive Elemente in der Online-Lehre sind schwierig zu gestalten und mit Leben zu füllen. Selbst wenn es technisch gut klappt und man Räume schafft für Austausch, Begegnung und interaktive Komponenten, dann bleibt eben dennoch übrig, dass das Lernen und auch Wissenschaft als sozialer Prozess digital nicht komplett übertragbar ist. Da sind Dinge, die fehlen: Erfahrungen, Austausch, Begegnungen. Auch das, was studentisches Leben jenseits eines Seminars und einer Vorlesung ausmacht. Das studentische Leben ist ja viel umfassender. Das bleibt auf der Strecke.
Von verschiedenen Seiten, unter anderem von Ministerpräsident Kretschmann, wurde angesprochen, dass die Studierenden bisweilen vergessen wurden und im Schatten standen und die Studierenden auch mit Blick auf die aktuellen Öffnungsstrategien wieder hintanstehen. Welche konkreten Ideen gibt es, um den Studierenden jetzt entgegen zu kommen und welche Perspektive gibt es für das Wintersemester? Und natürlich noch die Frage, die am meisten unter den Nägeln brennt: Wann können wir zurück in die Hörsäle, wann können wir zurück in die Seminarräume?
Also zunächst einmal: Die Studierenden habe ich keinen Moment vergessen. Auch unser Ministerium nicht. Wir haben permanent zusammen mit den Hochschulen und im Kontakt mit den Studierenden geschaut, wo es hakt und wo wir nachsteuern müssen. Und dennoch stimmt: Bei der Frage “Wo wird zuerst geöffnet?”, wo man sich fragen muss, von wem man die größte Solidarität erwartet, mussten Studierende einen großen Teil der Last tragen. Sie sind eben nicht so klein und abhängig wie Kinder, sie sind nicht so vulnerabel wie die älteren Menschen, deren Leben wir geschützt haben. Deswegen wurde von den Studierenden in der Tat viel Solidarität, Disziplin und Zurückstehen vor den anderen Anliegen der Gesellschaft verlangt. Wir haben immer dafür gesorgt, dass zumindest weitestgehend die Bibliotheken offen bleiben, dass einzelne Formate in Präsenz auch möglich sind und dass das Studium eben bewältigbar ist.
Jetzt sind wir dran, die Möglichkeiten punktuell zu verbessern. Wir haben neben den Bibliotheken als Lernräume die Option eröffnet, dass Hochschulen weitere Lernräume schaffen können. Das hilft, wenn man Zuhause oder in der WG oder im Wohnheimzimmer nicht gut arbeiten und lernen kann. Wir haben aufgrund der sinkenden Inzidenzen jetzt schon Möglichkeiten, Veranstaltungen durchzuführen – im Freien, oder angesichts anhaltend niedriger Inzidenz auch in Innenräumen mit bis zu 100 Teilnehmern.
Dennoch: Das Sommersemester ist in vollem Gange und viele Studierende sind gar nicht angereist zu ihren Studienorten. Es macht also keinen Sinn, das Sommersemester jetzt grundsätzlich umzustellen auf Präsenz.
Und für das Wintersemester gilt: Wir wollen zurück in eine andere oder vielleicht auch neue Qualität. Zurück an die Hochschulen, zurück zur Präsenz. Nicht in den alten Zustand, sondern die Präsenz angereichert um die neuen, guten Lektionen, die wir durch Online-Lehre gelernt haben. Sicher wird die Pandemie nicht komplett überstanden und überwunden sein. Deswegen werden die Hygieneregeln auch im Wintersemester eine Rolle spielen.
Sie haben es ja schon erwähnt, dass die Studierenden vor allem auch auf sozialer Ebene stark betroffen waren. Die psychosozialen Beratungsstellen der Hochschulen schlagen seit Wochen Alarm. Einige Studierende hatten durch die Einschränkungen des öffentlichen Lebens teilweise über Monate praktisch keine sozialen Kontakte. Viele Studierende, die in Wohngemeinschaften oder alleine in einer fremden Stadt wohnen, fanden ihre Lebensrealität in den bisherigen Regelungen nicht widergespiegelt. Wie können diese jungen Leute künftig in der Politikgestaltung besser berücksichtigt werden?
Diese Situation hält man ein paar Monate aus. Man kann sie ertragen für eine bestimmte Zeit. Aber je länger dieser Zustand dauert, desto bedrückender und beschwerender ist er eben. Insbesondere für die jüngeren Semester, die noch niemanden kennen, die womöglich noch kein Netzwerk haben in der neuen Stadt. Aber auch für die älteren Semester gilt, dass man ohne seine sozialen Kontakte einen Teil seiner Existenz geraubt bekommt – gerade in einer Phase, in der man sich eigentlich neu entdeckt, in dieser ersten Phase unabhängig vom Elternhaus, wo soziale Kontakte unheimlich wichtig sind.
Wir haben deshalb die Möglichkeiten für Lerngruppen schon für das Sommersemester erweitert. Wir ermutigen zudem die Studierenden, sich zusammen zu tun, auch Rückmeldung zu geben, sich bei uns zu melden mit ihren Sorgen, Anliegen und Ideen. Es gibt eine studentische Initiative PISIC (Projektinitiative Studieren in Corona), die eine Plattform eröffnet hat, bei der man online diskutieren und miteinander in den Austausch treten kann über das Studieren und das studentische Leben in Pandemiezeiten. Die stehen in engem Kontakt zu unserem Haus, sodass Fragen geklärt werden können und wir direkte Rückmeldungen bekommen über die Bedarfe der Studierenden.
Darüber hinaus haben wir uns vorgenommen, jetzt für die neue Legislaturperiode einen großen Dialogprozess zu eröffnen, zu dem wir alle Hochschulgruppen und -mitglieder einladen, sich zu beteiligen. Wir wollen über Hochschule in der digitalen Welt reden – über das, was Hochschule leisten muss. Wir werden alle Interessierten einladen, sich zu beteiligen, ein Stück weit auch ihre eigene Hochschule neu zu erfinden.
Während der digitalen Semester haben viele Universitäten und Bibliotheken enorme Kraftanstrengungen vollbracht, um den Studierenden digitales Lernen so gut wie möglich zu ermöglichen. Die Corona-Situation hat uns erneut gezeigt, dass der soziale Austausch beim Lernen in Hochschulen einen enormen Stellenwert hat und viele Studierende einen Lernraum an der Hochschule benötigen. Müssen die Hochschulen in Zukunft finanziell besser unterstützt werden, um den Studierenden moderne Lernräume und die entsprechende Ausstattung zur Verfügung zu stellen?
Nach meiner Wahrnehmung verändert sich das Lernen. Ich denke, die Lehre wird sich in ihren Formaten verändern. Es wird womöglich weniger Massenvorlesungen in Präsenz geben und mehr Möglichkeiten zum asynchronen Lernen, vor allem dort, wo es um die Vermittlung des reinen Wissenstoffs geht. Dafür wird es mehr Orte geben für Austausch, für Vertiefung und für Begegnung. Deswegen werden sich auch die Lernräume verändern, bis hin zur räumlichen Gestaltung der Hochschulen. Wir haben für die Bibliotheken ein Unterstützungsprogramm aufgelegt, das über mehrere Jahre Bibliotheken dabei unterstützt, ihre Lernräume auch anders zu gestalten.
Wir haben zudem unsere Hochschulen in Baden-Württemberg mit einer verlässlich wachsenden Grundfinanzierung ausgestattet. Das sind im Schnitt 3,5 Prozent, die jedes Jahr oben drauf kommen, um auch eigene Aufgaben wie Entwicklungsaufgaben bewältigen zu können. Da ist einiges machbar.
Ansonsten haben wir bereits 2020 zusätzliche 40 Millionen Euro in die Hand genommen, um den Hochschulen bei der Umstellung auf die Online-Lehre finanziell unter die Arme zu greifen. Wir begleiten unsere Hochschulen eng und unterstützen sie, wo wir können, um sich auf die neue Zeit Post-Corona einzustellen.
Sie sprechen gerade die Zeit nach Corona an. Wir haben über das kommende Wintersemester gesprochen, aber vorher steht noch eine Prüfungsphase an. Auch beim Studi-Gipfel habe die Studierenden einige Baustellen beim Thema Prüfungen zusammengetragen. Wie wappnet sich Baden-Württemberg für die anstehende Prüfungsphase?
Bei den Prüfungen gehen die Meinungen darüber auseinander, ob die Online-Prüfung besser ist als die Präsenzprüfung. Wir haben dafür gesorgt, dass in den baden-württembergischen Hochschulgesetzen ein Rechtsrahmen geschaffen ist, der auch das durchführen von Online-Prüfungen ermöglicht. Dennoch ziehen viele Hochschulen und Fakultäten es vor, ihre Prüfungen in Präsenz ablaufen zu lassen. Wir tun alles dafür, dass das unter ordentlichen Hygienebedingungen stattfinden kann. Wir haben kürzlich die Hochschulen unterstützt, entsprechende Test-Kits anzuschaffen, damit Schnelltests vor Ort stattfinden können, wenn in Präsenz Prüfungen in größerem Stil durchzuführen sind.
Bei dem Thema Online-Prüfungen ist es nicht ganz einfach, die Chancengleichheit und den Datenschutz und den gesicherten Zugang zur Prüfung sicherzustellen. Wir werden gemeinsam mit den Hochschulen die Erfahrungen mit Online-Prüfungen auswerten – und dabei auch den Datenschutzbeauftragten einbinden.
Sie hatten in Ihrem Interview mit dem Deutschlandfunk Anfang April von einem Nachteilsausgleich für Studierende gesprochen. Gibt es hier bereits weitere Entwicklungen beziehungsweise konnten Sie hier bereits weitere Ergebnisse erzielen?
Erstens haben wir die Regelstudienzeit jetzt im dritten Semester in Folge verlängert. Wer also wegen der besonderen Situation und der Belastungen während der Corona-Zeit langsamer studiert, soll bei der Regelstudienzeit individuell keinen Nachteil haben. Auch für BaFöG-Empfängerinnen und -Empfänger bedeutet das, dass man länger anspruchsberechtigt ist. Es gibt großzügige Möglichkeiten an den meisten Hochschulen, von Prüfungen kurzfristig zurückzutreten und diese Prüfungen zu einem späteren Zeitpunkt nachzuholen können.
Wir haben bei unseren Hochschulen angefangen abzufragen, wie sich die Noten in den vergangenen Semestern entwickelt haben. Die bisherigen Rückmeldungen zeigen uns, dass wir bei den Klausuren nicht unbedingt schlechtere Ergebnisse haben. Wir glauben, mit dem bisherigen Regelwerk können wir den individuellen Lebenslagen der Studierenden ordentlich Rechnung tragen.
Sie hatten auch im Vorfeld des Impfgipfels Perspektiven für Studierende gefordert, gerade im Hinblick auf das kommende Semester, auch bezüglich der Impfungen.
Das Impfen ist das A und O, um wirklich zurückkehren zu können zum Präsenzstudium im Wintersemester. Man kann das kombinieren mit aktuellen Tests, mit Hygieneregeln und digitaler Nachverfolgung. Die Studierenden brauchen im Sommer ihre Impfangebote, damit sie im Wintersemester mit Impfschutz ausgestattet an die Hochschulen zurückkehren können. Geklärt ist inzwischen, dass die Studierenden von Betriebsärzten der Hochschulen geimpft werden können. Dennoch gilt: Am Ende muss ausreichend Impfstoff da sein.
Ich würde gerne noch den Blick in die Zukunft der Hochschulen und der Hochschulbildung werfen. Sie hatten die statusgruppenübergreifende Kommunikation mit den Hochschulleitungen, mit dem Ministerium aber auch mit den Studierenden angesprochen, die sich während der Corona-Situation entwickelt hat. Sie meinten in der Diskussionsrunde, dass Sie in der neuen Legislaturperiode einen Fokus auf diesen übergreifenden Dialog legen möchten. Wie soll dieser Prozess nach Corona aussehen? Wie wollen Sie das verstetigen?
Wir haben eine sehr gute Erfahrung in der letzten Legislaturperiode im Kulturbereich gemacht, wo wir mehr als tausend Menschen erreicht haben mit verschiedenen Formaten, um die zukünftigen Herausforderungen für den Kulturbereich zu identifizieren und neue Maßnahmen und Ziele zu definieren. So ähnlich könnten wir das auch für die Hochschulen gestalten. Wir wollen den Blick darauf lenken, was Hochschule können und leisten muss in der digitalen Welt. Wir werden also unterschiedliche Themenschwerpunkte und Dialogformate anbieten, in denen statusgruppenübergreifend diskutiert wird. Unsere Erfahrung ist, dass oft die verschiedenen Gruppen in ihren Kontexten bleiben. Sie könnten voneinander und miteinander lernen, wenn sie sich öfter begegnen würden. Deswegen wollen wir an verschiedenen Themen entlang über Statusgruppen hinweg weiterdenken.
Eine Art Startschuss war der StudiGipfel, den wir auch zum Anlass für dieses Interview genommen haben. Wie geht es hier weiter? Was bleibt vom Gipfel? Gibt es folgende Formate oder einen bundesweiten Austausch?
Wir sind jetzt in der Aufbereitung des Prozesses durch die Plattform, die uns die studentische Initiative PISIC anbietet. Dann werden wir entscheiden, ob wir direkt in dieses neue Dialogformat übergehen. Eine andere Möglichkeit ist unser regelmäßiger Austausch über die LandesAStenKonferenz. Auch hier treffen wir uns mindestens einmal im Jahr, um zu schauen, welche studentischen Anliegen es gibt. Auch dahin kann man das überführen.
Ein bundesweiter Austausch ist für eine Landeswissenschaftsministerin nicht das geeignete Format, um es selbst zu organisieren. Ich würde da eher empfehlen, dass Studierende schauen, wie sie sich über Bundesländergrenzen hinweg zusammentun.
Sie hatten gerade die verschiedenen studentischen Initiativen angesprochen und sie dazu aufgefordert, sich aktiv einzubringen. Wie sieht mit Blick auf Baden-Württemberg ihr Austausch mit den Studierendeninitiativen, neben der LandesAStenKonferenz aus? Wie wollen Sie die Studierenden in Zukunft als Partner in der Hochschulentwicklung bzw. Hochschulbildung einbinden?
Wie gesagt, das eine Tool, beziehungsweise die Plattform der Initiative PISIC, ist jetzt am Start. Hier werden wir regelmäßig eine Rückmeldung darüber bekommen, welche Debatten geführt werden und welche Handlungsbedarfe identifiziert werden. Die zweite Ebene ist das Dialogformat, das wir beginnen werden. Und dann werden wir sehen, ob wir darüber hinaus weitere Inspiration und Anregung bekommen für weitere Maßnahmen.
Es gibt Beispiele aus anderen Themenbereichen. Nehmen wir mal neben der Digitalisierung das Thema Klimaschutz als eines der großen Themen dieser Legislaturperiode. Wir haben inzwischen mit unseren Hochschulen vereinbart, dass an jeder Hochschule Ziele für den Beitrag der Hochschulen für den Klimaschutz definiert werden. Das ist eine Gelegenheit für Studierende um sich einzubringen mit ihren Ideen und mit ihren Perspektiven, auch ihren eigenen Hochschulleitungen gegenüber. Wir schauen von Landesebene auf den Prozess insgesamt und versuchen die ambitioniertesten Hochschulen zu unterstützen. Auch das ist eine Gelegenheit, um mit Studierenden in Kontakt zu bleiben.
Eine Frage zum Schluss: Wie stellen Sie sich die Hochschulen der Zukunft vor?
Ich glaube, dass Hochschulen der Zukunft – sie sind es heute schon, aber sie können es noch stärker sein – Orte sind, in denen Menschen ertüchtigt werden, ermutigt werden, selbstständig zu denken, kritisch zu denken, sich in unbekannte Materien einzuarbeiten und sich auf Neues und Unbekanntes einzulassen. Wir brauchen junge Menschen, die bereit sind, Probleme zu verstehen und lösen zu wollen. Diese Menschen werden überall in der Gesellschaft gebraucht. Deswegen sind Hochschulen meines Erachtens auch so etwas wie Zukunftslabore, in denen starke Persönlichkeiten wachsen können und in denen auch Ideen ausprobiert werden können und zur Reife gelangen können, von denen die gesamte Gesellschaft profitiert. Die Hochschulen sind Experimentierräume für das, was kommt. Und deswegen wünsche ich mir, dass Hochschulen nicht nur in der Theorie, sondern auch beim Erproben des Neuen eine sichtbare Rolle in unserer Gesellschaft einnehmen.