In Richtung Lehre 4.0 – Data Literacy an der Uni Göttingen

In Richtung Lehre 4.0 – Data Literacy an der Uni Göttingen

04.04.19

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Alle Bachelorstudierenden der Uni Göttingen sollen „Daten Lesen Lernen“. Seit dem 1.1.2019 verfolgt das gleichnamige Projekt das hehre Ziel, Studierenden aller Fachrichtungen die Grundlagen im Umgang mit Daten zu vermitteln. Die Umsetzung des Projektes wird durch eine Förderung des Stifterverbandes und der Heinz Nixdorf Stiftung ermöglicht, der erste Pilot einer neu geschaffenen Lehrveranstaltung wird schon im April starten. Das Projekt soll über den Verlauf von drei Jahren, “Data Literacy” nachhaltig in der Ausbildung der Universität Göttingen verankern. Wir wollen hier einen kurzen Einblick in unsere Arbeit geben.

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Unsere Arbeit steht noch am Anfang und ist von intensiver Vorbereitung getrieben. Wir hoffen, dass wir in drei Jahren – gegen Ende des Projektes – zurückschauen können, viel gelernt haben werden und an einigen Ideen haben festhalten können.

Unsere Vision der Grundausbildung in “Data Literacy” besteht aus drei Grundüberzeugungen:

  1. Wir leben in einer zunehmend vernetzten und digitalisierten Welt. Um in dieser anschlussfähig zu bleiben, ist das Verständnis und der Umgang mit Daten wichtig.  
  2. Die grundlegenden Denkweisen und Methoden des Umgangs mit Daten sind auf alle Fachrichtungen übertragbar und deswegen auch für alle Fachrichtungen gemeinsam lehrbar.
  3. Für einen selbstbestimmten und kompetenten Umgang mit Daten muss man verstehen, was “under the hood” passiert. Dazu gehört ein gewisses Maß an analytischem Denken, sowie Grundlagen im Programmieren – das lernt man nur durch “selber machen”.

Wir wollen durch unser Programm erreichen, dass Studierende selbstbestimmt, selbstbewusst und kompetent mit Ergebnissen, die auf der Analyse von Daten basieren, umgehen können. Studierende sollen befähigt werden, Datensätze selbstständig und automatisiert zu bearbeiten. Sie werden sich daraufhin durch Visualisierungen und einfache Statistik einen Überblick über die Informationen, die in dem Datensatz enthalten sind, verschaffen und diese Informationen anschließend interpretieren und bewerten. Wir wollen explizit ein Bewusstsein für den gesellschaftlichen Kontext und ethische Aspekte im Umgang mit Daten schaffen. Des Weiteren werden wir die Studierenden, die in den Kursen durch ihr Interesse auffallen, ermuntern, sich weiter mit “Data Literacy” zu beschäftigen. Sie sollen im Rahmen von Forschungsprojekten oder Abschlussarbeiten ihre neue methodische Kompetenz in ihre jeweilige Fakultät weitertragen. Davon erhoffen wir uns ein zunehmendes Verständnis für den Umgang mit Daten – auch über Fakultätsgrenzen hinweg.watch or be watched...

Wer sind wir?

Um die vielfältigen Aufgaben, die unser Projekt beinhaltet, umzusetzen, haben wir uns in einem ebenso breit aufgestellten Projektteam zusammengefunden. Im Team setzen wir auf die Expertise (bei der Umsetzung von großen, technisch-orientierten Vorlesungen), sowie die statistische Beratung des Zentrums für Statistik der Universität. Die Anwender*innen-Perspektive sowohl bei der Konzeption der Inhalte als auch bei der Durchführung der Tutorien wird durch aktiv Forschende an der Universität, aber auch den außeruniversitären Forschungseinrichtungen am Campus eingebracht. Promovierende der Physik tragen hier beispielsweise sehr viel bei. Da wir in die Umsetzung der Tutorien auch viele Studierende der Wirtschaftswissenschaften einbinden, sind auch die Perspektive und die Bedürfnisse der Studierenden immer präsent. Um die strategische Entwicklung der Hochschule zu integrieren, arbeiten wir eng mit der Abteilung für die Digitalisierung in Studium und Lehre sowie dem Präsidium der Universität zusammen, aber auch die Universitätsbibliothek gibt uns wichtige Impulse und Unterstützung bei der Umsetzung des DataLab.

Was machen wir?

Grundlagen lernen

Die zentrale Säule unseres Lehrkonzeptes ist eine große, zentral angelegte Lehrveranstaltung, die sich an alle Studierenden der Universität richtet. Hier stehen wir vor der Herausforderung, mit der Lehre eine große Anzahl von Studierenden zu erreichen, während auch die praktische Anwendung nicht zu kurz kommen soll. Deswegen wird die Vorlesung von kleinen, fachspezifisch ausgestalteten Tutorien begleitet. In den Tutorien werden Praxisbeispiele bearbeitet, die aus dem Forschungsalltag herausgegriffen sind, oder uns von lokal ansässigen Unternehmen bereitgestellt werden. Eine große Herausforderung ist die heterogene Zusammensetzung der Studierenden. Sie verfügen über unterschiedliches Vorwissen und Interessen. Dem versuchen wir zu begegnen, indem jedes Tutorium im Team von eine*r Daten-Expert*in sowie eine*r Tutor*in mit fachspezifischem Domänenwissen begleitet wird. Tutor*innen verstehen sich dabei eher als Coaches, die beim Erarbeiten und Üben der Lösungsansätze unterstützen, denn als verlängerter Arm der Vorlesung.

Wir wollen mit unseren Praxisbeispielen auch explizit darauf eingehen, dass gerade die Arbeit mit Daten und das Programmieren zu einem großen Teil aus dem Suchen und Finden von Fehlern besteht. Dieser Aspekt wird oftmals verschwiegen, wenn auf Hochglanz polierte Abbildungen in Medien oder wissenschaftlichen Publikationen präsentiert werden. Im Alltag beschäftigt sich aber auch die erfahrenste Anwenderin lange Stunden damit, Datensätze aufzubereiten und zu säubern, im Internet nach Lösungen für Probleme zu suchen und Fehler im Analyse-Code zu finden und zu beheben. Wir wollen in unseren Tutorien den Studierenden die Angst davor nehmen, Fehler zu machen. Wir möchten verdeutlichen, dass die Arbeit mit Programmcode und Daten kein Hexenwerk ist, sondern ein iterativer Zyklus aus “Fehler machen”, “Fehler finden” und “Fehler beheben”. Uns ist sehr bewusst, dass wir, auch wenn wir die besten Praxisbeispiele finden, nie auf alle Eventualitäten und Spezifika der späteren Anwendung des Gelernten in der eigenen Forschung oder im Beruf eingehen können. Deswegen wollen wir unsere Studierenden dazu befähigen, sich selbstständig neue Ressourcen, wie z.B. Programmbibliotheken, zu erschließen und ihnen Strategien beibringen, mit Fehlern umzugehen. Zugespitzt gesagt werden die Studierenden in unseren Tutorien durch “betreutes Googlen” bei den ersten Schritten auf dem Weg zum Arbeiten mit Daten begleitet.

Mit Daten arbeiten

Parallel zur Lehrveranstaltung möchten wir ein “DataLab” – einen physischen Ort – auf die Beine stellen. Dieser wird der Arbeit an und mit Daten am Campus Göttingen ein Zuhause geben. Ein wichtiger Punkt ist die zentrale Lage und Zugänglichkeit dieses Ortes. Dies soll gerade auch Studierenden, die mit dem Thema noch nicht vertraut sind, die Möglichkeit geben, reinzuschauen und zu entdecken. Idealerweise bietet sich dafür die Universitätsbibliothek an. Uns bietet sich die großartige Möglichkeit, den “Digital Creative Space” in der UB, mit unseren Angeboten und Ideen zu bespielen und gemeinsam mit den Studierenden zu gestalten. Unsere Hoffnung ist, dass der physische Raum, der dem digitalen und kollaborativem Arbeiten gewidmet ist, auch intellektuellen Raum schafft, sich mit Daten und der Arbeit mit ihnen zu beschäftigen, sowie Menschen zusammenbringt, die sich sonst am Campus nicht unbedingt begegnet wären. Dieser Raum soll ein Kristallisationspunkt für Studierende und Forschende aller Fakultäten werden, die digital und mit Daten arbeiten – oder dies in Zukunft gerne tun würden. Hier sollen neue Ideen, Projekte und Kollaborationen, die auf gemeinsamen Methoden basieren, entstehen. Das ist nicht planbar, aber wir können zumindest den Boden bereiten und die Voraussetzungen schaffen. Dann lassen wir der Kreativität, Selbstorganisationsfähigkeit und Schaffensfreude der Mitglieder unserer Universität freien Lauf.Data Literacy - Daten lesen

Sich weiter spezialisieren

Das Feld der Datenwissenschaft, des maschinellen Lernen und der Statistik ist sehr weitläufig und entwickelt sich ständig weiter. Es ist unmöglich, alle Entwicklungen in Lehrveranstaltungen unterzubringen. Es gibt allerdings schon viele, sehr hochqualitative Lehr- und Lernangebote in der Form von online-Kursen mit ganz unterschiedlichem Umfang und Inhalt. Wir werden uns demnach darum bemühen, schon existierende, offene und digital verfügbare Lehr- und Lernmaterialien für unsere Studierenden konkret für ihr Studium nutzbar zu machen. Wir wollen diese Angebote systematisch sichten und eine Einschätzung der Qualität und Relevanz sowie der Prüfungsleistung abgeben. Diese Bemühungen sollen darin münden, dass Studierende im Rahmen dieser online-Kurse erbrachte Leistungen für ihren Studienverlauf als Credits anerkannt bekommen. Eine Auswahl der so erschlossenen Kurse wollen wir mit unserer Basis-Vorlesung sowie anderen vertiefenden Vorlesungen, die schon an unserer Universität angeboten werden, bündeln. Wir wollen ein Zertifikat schaffen, das explizit tiefgehende Datenkompetenzen ausweist.

Die Integration von online erbrachten Leistungen in konkrete Studienverläufe wird sicher nicht einfach, da verschiedene Anforderungen an die Lehr- und Studienpläne, sowie die Qualitätssicherung zu beachten sind. Trotzdem glauben wir, dass hier eine sehr große Chance liegt, unsere Bemühungen auch über die Grenzen der Universität Göttingen hinaus wirksam zu machen, denn wir sind sicher nicht die einzige Universität, die vor dieser Herausforderung steht. Wir teilen unsere Arbeit und unsere Einsichten gerne und tauschen uns mit anderen Universitäten aus. Insbesondere bilden wir mit den anderen beiden Gewinnern der Projektförderung, der Hochschule Mannheim und der Leuphana Universität Lüneburg, ein enges Netzwerk, um die im Projekt gesammelten Erfahrungen auszutauschen und die entstandenen Lehr- und Lernmaterialien zu teilen.

Wo stehen wir?

Die Entwicklung und Umsetzung unseres Lehrkonzeptes stellt uns vor große Herausforderungen: Fachkulturen und Studienpläne müssen verstanden und Verbündete in den Fakultäten gefunden werden. Die technische Infrastruktur, die ermöglicht, dass (im Endausbau) hunderte Studierende gleichzeitig programmieren und Daten bearbeiten, muss geschaffen werden. Early adopters, die als Tutorinnen und Tutoren fungieren und die Inhalte in die Breite tragen können, müssen identifiziert und geschult werden. Und nicht zuletzt müssen wir ein Curriculum entwerfen, das sowohl breit genug, damit sich alle Studierenden darin gleichsam wiederfinden, als auch spezifisch genug ist, um für den späteren Arbeits- und Forschungsalltag anschlussfähig zu sein. Wir haben uns bewusst dafür entschieden, schon im April mit der ersten Lehrveranstaltung zu starten. Durch den sehr engen Zeitplan wird im ersten Durchlauf der Lehrveranstaltung sicher nicht alles rund laufen und einiges improvisiert werden müssen. Wir glauben, dass uns diese Entscheidung die Möglichkeit gibt, früh erste Erfahrungen zu sammeln und unser Konzept dann fortlaufend zu verbessern – ähnlich der Vorgehensweise beim Programmieren.

Um die fachspezifischen Tutorien zu konzipieren, stehen wir in intensivem Austausch mit Anwender*innen aus den unterschiedlichen Fakultäten, mit ganz diversen Hintergründen: von der Ägyptologie über Geschlechterwissenschaften bis hin zu den Agrarwissenschaften sehen wir ein sehr breites Spektrum an Anwendungsmöglichkeiten. Der Bedarf an einer Lehrveranstaltung, wie wir sie planen, ist deutlich spürbar und die Bereitschaft, neue und moderne Methoden in die Studienpläne zu integrieren, ist hoch. Neben der Herausforderung ist es auch eine sehr spannende und erfüllende Aufgabe, die Universität und ihre vielfältigen Themen und Akteure auf diese Weise kennen zu lernen. Überall wird unserem Projekt mit großem Enthusiasmus begegnet und unsere Bemühungen erfahren quer durch die Universität große Unterstützung.

Wir sind zuversichtlich, dass wir den Impuls, den wir durch die Förderung des Projektes “Daten Lesen Lernen” bekommen haben, mitnehmen und in den kommenden Monaten und Jahren noch weiter Schwung holen können, um unsere Universität erfolgreich in eine digitale Zukunft voller Daten zu begleiten.

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