Hamburg Open Online University: Kerstin Mayrberger im Interview

Hamburg Open Online University: Kerstin Mayrberger im Interview

05.02.16

„Wie lernen wir in Zukunft?“ Diese Frage stellt sich Kerstin Mayrberger im Rahmen des hochschulübergreifenden Verbundprojekts Hamburg Open Online University (HOOU). Als Leiterin der Expertengruppe „Open Educational Resources“, Mitglied der hochschulübergreifenden Lenkungsgruppe und strategischen Steuergruppe ist sie maßgeblich an der Verwirklichung des Projekts Hamburg Open Online University beteiligt. Wir haben mit Kerstin Mayrberger über die Idee und den aktuellen Arbeitsstand der HOOU gesprochen.

 

Frau Mayrberger, stellen Sie das Projekt Hamburg Open Online University doch kurz vor und umreißen Sie die Besonderheiten.

Die Hamburg Open Online University, kurz HOOU, ist ein gemeinsames Projekt der sechs öffentlichen Hamburger Hochschulen zusammen mit dem Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), dem Multimedia Kontor Hamburg (MMKH), der Behörde für Wissenschaft und Gleichstellung (BWFG) und der Senatskanzlei. Somit ziehen bei diesem Projekt alle relevanten Akteure aus Hochschule, Administration und Politik an einem Strang. Bei der HOOU handelt es sich um ein Bildungsangebot mit wissenschaftlichem Anspruch, das sich an Bürgerinnen und Bürger richtet und idealerweise darauf abzielt, gemeinsam Antworten auf gesellschaftlich relevante Fragestellungen zu finden. Diese Öffnung der universitären Lehre für neue Zielgruppen ist uns ein großes Anliegen. Ein weiterer Kerngedanke der HOOU ist, dass das Konzept konsequent auf Open Educational Resources (OER) setzt. Hier werden langfristig idealerweise kaum Kompromisse gemacht: Die offene Bereitstellung von Lehr- und Lernmaterialien ist eine Voraussetzung. So wird derzeit die Förderung für OER-Content-Projekte bzw. HOOU-Lernarrangements nur an jene Lehrende vergeben, die ihre Lehrmaterialien öffentlich zur Verfügung stellen. Wichtig ist uns dabei die Orientierung am Lernenden: Wir arbeiten nicht an einer neuen Lernplattform im klassischen Sinne, sondern gestalten eine virtuelle Umgebung bzw. spezifische HOOU-Plattform, die sowohl selbstgesteuertes als auch betreutes Lernen möglichst in Form kollaborativer Gruppenarbeit ermöglichen soll.

Können Sie mir einen Einblick in die zeitliche Rahmung des Projekts HOOU geben? Seit wann arbeiten Sie an diesem Projekt und wann wird die Plattform online gehen?

Die Idee entstand knapp gesagt Anfang 2014 im Rahmen einer Gesprächsrunde mit dem Hamburger Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Man dachte über eine Alternative zu den Formaten der Massive Open Online Courses (MOOCs) nach. Das komplette Konzept wurde dem Bürgermeister im September 2014 vorgeschlagen. Auf der Campus Innovation im November 2014 folgte die formale Förderzusage durch Olaf Scholz im Rahmen seiner Keynote. Seit dem befindet sich die HOOU in der Vorprojektphase. Drei Expertengruppen setzen sich inhaltlich mit zentralen Aspekten der HOOU auseinander: Open Educational Resources (OER), Digitale Qualifizierung und Konzept & Plattform. 2017 soll ein Prototyp vorliegen und es wird sich zeigen, inwieweit OER-Content-Projekte in Form von HOOU-Lernarrangements, ein Qualifizierungsprogramm sowie eine tragfähige HOOU-Plattform vorhanden sind. Wenn wir diese Ziele erreichen, soll das Projekt nach derzeitigem Stand weiter gefördert werden und in die Projektphase überführt werden. Idealweise soll ab 2019 das bis dahin erprobte Projekt nachhaltig gesichert weiterverlaufen.

Wie ist der aktuelle Arbeitsstand?

Derzeit sind gut 50 Open-Content-Projekte in Form von HOOU-Lernarrangements in Vorbereitung. Sie werden in jeweils individuellen didaktischen Szenarien umgesetzt, die sich an den vier Markenkernen der HOOU orientieren: erstens Lernendenorientierung & Kollaboration, zweitens Wissenschaftlichkeit, drittens Öffnung für neue Zielgruppen & zivilgesellschaftliche Relevanz sowie viertens Openness & OER. Dafür sind die Projekte in ein enges Beratungsnetz eingebunden, d.h. neben Workshop-Angeboten z.B. in Rechtsfragen erhalten die Lehrenden in Coachings und Einzelgesprächen passgenaue Unterstützung, zum Beispiel zur didaktischen Umsetzung der Idee oder technischen Umsetzung von OER. Die Entwicklung und Erprobung der HOOU-Lernarrangements soll spätestens zum Ende der Vorprojektphase abgeschlossen sein.

Die Anzahl der geförderten Projekte verteilt sich auf die Hochschulen anteilig entsprechend der Größe der jeweiligen Hochschulen und der damit einhergehenden Finanzierung. Die Universität Hamburg (UHH), die Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) und die Technische Universität Hamburg-Harburg (TUHH) erhalten in Relation die größten Fördersummen, tragen so aber auch die größere Verantwortung bei der Umsetzung. An diesen Hochschulen wie auch beim Multimedia-Kontor Hamburg (MMKH) wurden Stellen für Entwicklung, Support und Qualifizierung eingerichtet, die die anderen Hochschulen mitberaten bzw. die gemeinsame Entwicklung vorantreiben. Diese Kooperation zwischen den staatlichen Hochschulen ist ebenfalls ein wichtiges Element der Idee der HOOU.

Zudem wurde in den letzten Monaten ein hochschulübergreifendes mediendidaktisches Qualifizierungsangebot im Sinne der HOOU-Idee von Open Education entwickelt und geht nun in die Umsetzungsphase. Die Entwicklung und weitere Konzeption der HOOU-Plattform ist  ebenso in vollem Gange. Parallel dazu findet ein intensiver Austausch zu Qualitätsfragen von OER in der HOOU statt und es wird zum Thema Metadaten gearbeitet. Auch wird die Frage der internen und externen Kommunikation über den HOOU-Blog immer relevanter, so dass auch hierzu eine Gruppe konkreter arbeitet. Eine operative Koordinationsgruppe hält die Fäden zusammen und sorgt für die Vernetzung aller Akteure aus den Expertengruppen und AGs mit festem Blick auf die Entwicklung der HOOU-Plattform.

Das Netzwerk der Hamburg Open Online University.

Wie der Name schon sagt ist eine Leitidee der HOOU der Gedanke der Openness. Wie weit greift dieser Gedanke? Wo sind die Grenzen?

Der Gedanke der Openness bezieht sich auf alle Bereiche der HOOU. Im Grunde wird die HOOU ein Angebot für Open Education. Besonders wichtig ist uns und auch mir ganz persönlich dabei neben der Produktion von OER die Open Educational Practice (OEP) – die didaktische Idee des partizipativen Lernens im Kontext einer Kultur des Teilens. Diese Offenheit muss als Kultur bei allen Akteuren gleichermaßen etabliert werden, damit die Idee der HOOU oder allgemeiner Open Education funktioniert. Hinzu kommt eine soziale Offenheit. Sowohl Lehrende als auch Studierende der Hamburger Hochschulen wie auch interessierte Lernende über diese hinaus können sich über die HOOU vernetzen, Fragen stellen und nach Antworten suchen. Hier muss man ein gemeinsames Lernniveau finden. Allerdings haben wir uns darauf verständigt, dass die Angebote der HOOU dabei nicht in alle Bildungsniveaus reichen, sondern wir einen wissenschaftlichen Anspruch verfolgen. Ebenso wichtig ist uns eine technische Offenheit: Wir arbeiten nicht an einer starren Plattform oder einer neuen Form eines Learning Management Systems, sondern in einem agilen Prozess im Austausch zwischen Technik und Didaktik. Deshalb verläuft die Entwicklung von didaktischen HOOU-Lernarrangements mit OER-Content parallel zur technischen Entwicklung, sodass beides zusammengedacht werden kann.

Mich persönlich interessiert als Mediendidaktikerin vor dem Hintergrund der Leitideen der HOOU perspektivisch vor allem die Frage nach den Möglichkeiten aber auch Grenzen eines offenen, partizipativen Lernens im Sinne der Open Education.

Wird es Teilnehmerbegrenzungen geben?

Momentan begrenzt die Vorprojektphase die Zahl der Teilnehmenden je gefördertes Projekt, den sogenannten „Early-Bird-Projekten“. Auf lange Sicht kann diese jedoch prinzipiell unbegrenzt sein. Denn für jedes Projekt kann idealerweise ein eigenes didaktisches Szenario mit und ohne Betreuung gewählt werden bis hin zur völlig selbstständigen Arbeit mit den OER-Lernarrangements.

Welche Motivation besteht bislang für die teilnehmenden Lehrenden?

Nach meiner Einschätzung beteiligen sich die ‚Early Birds‘, also diejenigen, die Lust haben, sich auf etwas Neues im Bereich von Lehrentwicklung und Digitalisierung einzulassen und damit an einer innovativen Idee mitzuwirken. Zudem können wir die OER-Content-Projekte in Form von HOOU-Lernarrangements mit einer Förderung von bis zu 25.000 Euro unterstützen. Dabei haben die Lehrenden die Wahl, ob sie vorhandene Lehrinhalte für die HOOU neu aufbereiten oder ein gänzlich neues Projekt entwickeln. Eine weitere Motivation ist die didaktische und technische Unterstützung, die wir zusagen. Die beteiligten Lehrenden werden mit ihren Ideen nicht allein gelassen, sondern im gesamten Prozess der Entwicklung und Umsetzung des HOOU-Lernarrangements begleitet.

Können Sie etwas zur Anrechnung der Projekte auf das Lehrdeputat sagen?

Die Projekte werden in der Vorprojektphase zum Teil in bereits bestehende Lehrveranstaltungen eingebunden. In der Lehrverpflichtungsverordnung für die Hamburger Hochschulen ist die Anrechenbarkeit von Online-Lehre für Lehrende bereits verankert. Wir werden diesen Aspekt im weiteren Verlauf der Vorprojektphase stärker thematisieren.

Wie sieht es mit der Anrechnung von Lernleistungen aus? Wie wird das konkret funktionieren?

Auch darauf wollen wir 2016 eine Antwort finden: Wie können wir langfristig einen Prozess zur Anrechnung von Lernleistungen finden? Dort, wo die HOOU-Lernarrangements mit universitären Veranstaltungen gekoppelt sind, können sich Studierende ihre online erbrachten Leistungen schon in der Vorprojektphase anrechnen lassen.

Eine weitere Leitidee der HOOU ist die Orientierung am Lernenden. Wie wird dies im Konzept konkret umgesetzt?

Es sind mehrere Varianten einer lernendenzentrierten Didaktik denkbar. In unserer vorrangig problem- oder kompetenzorientierten Herangehensweise gibt es für jedes Szenario eine Art Anker, eine Fragestellung oder ein Problem, die oder das möglichst kollaborativ gelöst werden soll. Die Inhalte, die zur Verfügung gestellt werden, werden von Lehrenden, aber – wo sinnvoll – auch von Lernenden als OER produziert. Die Teilnehmenden können im Verlauf des Projekts entsprechend selbst Inhalte erstellen, eigene Fragen einbringen oder gar völlig selbstständig Team bilden und selbstorganisiert Themen bearbeiten. Idealerweise können so zivilgesellschaftliche Fragestellungen interdisziplinär und durch unterschiedliche Lernende bearbeitet werden.

Jede Hochschule hat die Förderung für OER-Content-Projekte nach eigenem Auswahlverfahren vergeben. An der Universität Hamburg sind beispielsweise auch Studierende in der AG HOOU @UHH Mitglied, die mit der Auswahl von Projekten zur Förderung durch das Präsidium beauftragt war. So gibt es nun auch ein studentisches Projekt, das gefördert werden kann. Diese Studierenden begeben sich wie auch die Lehrenden in den Qualifizierungs- und Beratungsprozess.

Welche wichtigen Erfahrungen oder Erkenntnisse haben Sie im bisherigen Verlauf des Projekts gewonnen? Sind Sie auf unerwartete Hürden gestoßen?

Eine besondere Herausforderung liegt aus meiner Sicht stark im administrativen Bereich, da so ein Großprojekt auch hier für veränderte Abläufe und Fragen (z.B. bei der Stellenbesetzung) sorgt, deren Klärung in der Startphase einige Zeit beansprucht hat. Entsprechend mussten hier an den Hochschulen im Einzelfall auch neue Wege gefunden werden. Eine weitere Erfahrung ist es aus meiner Sicht stetig im (persönlichen) Dialog mit den Partnern zu bleiben, um sich regelmäßig abzustimmen und so zielgerichtet zusammenarbeiten zu können.

An welcher Stelle haben Sie besonders positive Rückmeldung erhalten?

Das Projekt HOOU geht von einer inhaltlichen Idee aus und wurde von einem Netzwerk auf den Weg gebracht. Auf diesem Weg haben sich Expertengruppen gebildet, in die sich immer wieder neue Personen und Akteure mit ihrer Expertise einbringen können. So haben wir zum Beispiel auch die Bibliotheken in das Vorhaben integriert. Dass sich so viel unterschiedliche Expertise in die HOOU einbringt und man noch voneinander lernen kann, ist eine schöne Erfahrung. Bei der HOOU ziehen alle an einem Strang – auch wenn es wie in jedem Projekt an der einen oder anderen Stelle mal knirscht. Das gehört dazu. Es stimmt mich sehr optimistisch, dass wir diese Idee gemeinsam tragen. Ein zentraler Faktor ist hier für mich der Austausch: Kommunikation hält das Projekt zusammen.

Welche sind die Gelingensfaktoren der HOOU?

Ein Gelingensfaktor ist nach meiner Einschätzung die HOOU-Idee und die damit verbundene Kollaboration selbst: Wir realisieren in Hamburg gemeinsam etwas Innovatives für den Bildungsbereich. Wichtig ist in diesem Zusammenhang auch die gute Kooperation mit Senat und Behörde. In diesem Projekt arbeiten sehr viele Personen zusammen, die sich alle auf etwas Neues einlassen und von einer gemeinsamen Idee und deren Umsetzung überzeugt sind. Zudem geht es uns darum, keine Doppelstrukturen zu schaffen, sondern das HOOU-Projekt an bestehenden Strukturen für Qualifizierung und Support im Bereich Digitalisierung der Lehre an den Hochschulen „einzuhängen“.

Könnte das hochschulübergreifende Modell der HOOU auch länderübergreifend gedacht werden?

Ja, ich meine, dass das grundsätzlich möglich ist. Das Hamburger Modell ist aus meiner Sicht auch von der Projektanlage her ein Prototyp.

Wie könnte das realisiert werden, bzw. was steht dem im Wege?

Einem länderübergreifenden Modell steht grundsätzlich nichts im Wege. Es ist aber aus meiner Sicht zeitlich noch etwas früh dafür, solange wir nicht den Übergang von der Vorprojektphase zum Projekt geschafft haben, also wissen, ob die HOOU ab 2017 für weitere zwei Jahre finanziert wird. Derzeit ist im Vorprojekt die Sichtweise der HOOU eher auf das Lokale, also die Öffnung für Hamburger Bürgerinnen und Bürger leitend. In der hoffentlich folgenden Projektphase werden wir sicherlich ganz im Sinne von Open Education die nationale und gar internationale Öffnung der HOOU weiter thematisieren und folglich auch über weitere mögliche Partner nachdenken. Des Weiteren ist die Vernetzung auf der Ebene von OER-Repositorien, der Sammelstellen für OER, ein wichtiges Thema zur Projektphase hin. Auch hier müssen wir uns fragen, wo wir mit unserem HOOU-Angebot sinnvolle Verbindungen eingehen können.

Ein Schlusswort, Frau Mayrberger?

Die HOOU ist aus meiner Sicht langfristig vor allem eine didaktische Innovation für formales wie auch tendenziell informelles akademisches Lernen mit einem partizipativen Anspruch. Das finde ich persönlich so spannend an diesem Projekt. Zugleich ist die HOOU auch ein sehr komplexes Vorhaben mit all seinen Akteuren, auf das man sich einlassen muss – eine Idee, die man wollen und leben muss. Das passiert aus meiner Sicht gerade in Hamburg und macht zugleich den Reiz und den Motor des gemeinsamen Projekts aus.

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