Gastbeitrag zur Ampelkoalition: Auf kluge Steuerung kommt es an
Gastbeitrag zur Ampelkoalition: Auf kluge Steuerung kommt es an
16.12.21Prof. Ada Pellert, Rektorin der FernUniversität in Hagen und Mitglied im Digitalrat der Bundesregierung unter Angela Merkel, gibt ihre Einschätzung zum Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP.
Die Ampelkoalition hat sich viel Richtiges und Wichtiges in den Bereichen Bildung, Forschung und Digitalisierung vorgenommen. Im Folgenden teile ich einige Beobachtungen zu den gerade für die Hochschulen besonders relevanten Passagen: „Bildung und Chancen für alle“ verspricht die neue Regierung und will grundsätzlich mehr Geld für Kitas, Schulen und Hochschulen ausgeben. Das klingt erstmal gut, aber auch etwas vage. Konkreter wird es bei den Ausgaben für Forschung und Entwicklung, die von aktuell 3,2 Prozent auf 3,5 Prozent des Bruttoinlandsprodukts im Jahr 2025 steigen sollen. Zusätzliche Mittel für Forschung und Entwicklung sind zu begrüßen – vor allem, wenn Forschungsverbünde an Hochschulen profitieren, die bisher im Rahmen der Exzellenzstrategie leer ausgegangen sind.
Die Potenziale der Digitalisierung
Beim Thema Forschung wird das Augenmerk zudem zu Recht auf die Forschungsdaten gelenkt, die man viel effektiver für innovative Ideen nutzen möchte, indem man den Zugang zu Forschungsdaten durch ein Forschungsdaten-Gesetz umfassend verbessert.
Open Access und Open Science sollen mit Citizen Science und Bürgerwissenschaften endlich stärker in die Forschung einziehen. Der Gedanke der Offenheit findet sich in Gestalt der Open Educational Resources (OER) auch im Bildungsbereich wieder, allerdings vor allem auf den Schulbereich bezogen. Hier sollten die Hochschulen mit einbezogen werden. Mehrfach wird betont, dass digitale Innovationen sowie unternehmerische und gesellschaftliche Initiativen gefördert werden sollen: Indem die Digitalkompetenz gestärkt, aber auch der Anteil von Gründer:innen im Digitalsektor erhöht wird. EduTech-Start-ups sind für Kooperationen im Bildungsbereich besonders interessant und auch Ausgründungen aus Hochschulen sollen unterstützt werden.
Die Potenziale der Digitalisierung sollen auch für mehr Nachhaltigkeit genutzt werden. Es ist gut, Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammen zu denken, denn Fortschritt, den die neue Koalition „wagen“ will, bekommen wir nur mit beidem hin.
Ebenso richtig sind die Aussagen zum digitalen Staat. Im Kapitel moderner Staat gefällt mir besonders gut, dass das Silodenken überwunden werden soll und ressortübergreifende agile Projektteams und Innovationsteams mit konkreten Kompetenzen ausgestattet werden sollen. Das wäre auch für den Hochschulbereich sehr wertvoll, dessen Anliegen sehr oft behördenübergreifende Themen umfassen.
Lehren und Lernen
Positiv hervorzuheben ist, dass die neue Koalition die digitale Lehre fördern will und hier auf Vernetzung setzt: So soll sich insbesondere die Stiftung Innovation in der Hochschullehre im Bereich digitaler Lehre weiterentwickeln. Im Schulbereich möchte die Ampelkoalition Kompetenzzentren für digitales und digital gestütztes Unterrichten in Schule und Weiterbildung einrichten und diese untereinander vernetzen. Darüber hinaus soll es eine zentrale Anlaufstelle für das Lehren und Lernen in der digitalen Welt geben. Darin steckt die große Chance, digitale und vernetzte Lehr- und Lernkonzepte auf unterschiedlichen Bildungsebenen zu verankern, sinnvoll zusammenzudenken und zu steuern. Allerdings wird hier nicht explizit auf den Hochschulbereich oder den Bereich der beruflichen Bildung Bezug genommen. Die aber sollten unbedingt mitgedacht werden.
Sehr interessant erscheint mir auch das Bundesprogramm „Digitale Hochschule“, quasi der Nachbau des Digitalpakts Schule für den Hochschulbereich. Damit sollen Konzepte für den Ausbau innovativer Lehre, Qualifizierungsmaßnahmen, digitale Infrastruktur und Cybersicherheit gefördert werden – bewusst (und damit vollkommen richtig) in der Breite.
Ganz wichtig finde ich, dass die angestoßene nationale Weiterbildungsstrategie weiterentwickelt wird: Hier können die richtigen Rahmenbedingungen und Anreize helfen, Menschen lebensbegleitend zum Lernen zu motivieren. Für die wissenschaftliche Weiterbildung plant die Ampelkoalition die längst überfällige Einführung von Micro-Degrees. Hierzu passt, dass die politische Bildung und Demokratiebildung genauso wie die Bildung für nachhaltige Entwicklung gestärkt werden sollen. Das begrüße ich sehr: Denn die komplexen Herausforderungen, vor denen wir aktuell stehen, können wir nur bewältigen, wenn wir selbst beständig dazulernen: als Einzelne und als Gesellschaft.
Das sind lauter wichtige wie zukunftsträchtige Ziele – vor welchen besonderen Herausforderungen steht die Ampelkoalition nun, um sich diesen zu nähern?
Zu den größten Herausforderungen zählt die Frage nach der Finanzierung der Pläne. Dazu bleiben die Koalitionäre an vielen Stellen unkonkret. Daneben halte ich das „Kooperationsgebot“, also eine verbindliche Kooperation aller Ebenen in Bildungsfragen, für einen Stolperstein der Umsetzung. Das Kooperationsgebot ist inhaltlich völlig richtig, es wäre ein echter Aufbruch für die Bildung. Es bedarf allerdings großer politischer Anstrengungen und Überzeugungskraft, damit es zur tatsächlichen Umsetzung und zu den nötigen Änderungen des Grundgesetzes kommt.
Sehr häufig werden Kooperationen über verschiedene politische Systemgrenzen hinweg angesprochen. Ich bin der festen Meinung, dass der intelligenten Kooperation die Zukunft gehört. Wenn eine konstruktive Zusammenarbeit von Politik, Wirtschaft, Bildung und Verwaltung gelingt, entstehen reale Veränderungen.
Für dieses große Thema hätte man schon beim Zuschnitt der Ministerien einen kleinen Probegalopp unternehmen können: Also nicht nur Wirtschaft und Klimaschutz koppeln, sondern etwa auch (Lebenslanges) Lernen und Innovation zusammenschließen oder eine andere als die im Bildungsbereich gewohnte Ministeriumslogik – um so einen organisatorischen Impuls für neue ministerielle Kombinationen im Bildungsbereich zu setzen.
Jetzt wird das Bundesbildungsministerium (BMBF) alle Hände voll zu tun haben, diese vielen wichtigen Ansätze voranzubringen. Das Team der Ministerin mit den beiden Staatssekretären erscheint tatkräftig genug, um einen guten Aufschlag vom BMBF aus zu machen. Dann benötigt es aber stark die Unterstützung der anderen Ministerien – Arbeit, Finanzen, Wirtschaft etc. Damit es nicht bei Worten und Versprechungen bleibt.
Querliegende Kooperationen
Unabhängig von ministeriellen Zuschnitten muss man darüber hinaus sehr kluge Kooperations-, Governance- und Steuerungsformate entwickeln: Wir brauchen neue, überraschende Vernetzungsformen. Der Bildungsbereich ist voll mit ritualisierten Abstimmungsorten, von denen niemand mehr wirkliche Impulse erwartet. Gleichzeitig hat das Bildungs- und Lernthema eine hohe gesellschaftliche Aufmerksamkeit, die man nutzen sollte. Viele Menschen – auch aus dem Unternehmensbereich – wären bereit sich hier zu engagieren.
Dafür brauchen wir institutionsübergreifende, interdisziplinäre Formen der Zusammenarbeit, die quer zu den Ressorts liegen und über verschiedene Kooperationsebenen hinweg greifen. Das muss den vorhandenen Strukturen sozusagen abgetrotzt werden. Daher ist viel politischer Rückenwind erforderlich. Aber wenn es gelingt, ebnet das die Wege, auf denen die im Koalitionsvertrag formulierten Inhalte tatsächlich auch in die Umsetzung und damit „ins wahre Leben“ kommen.