Ethik für Ingenieur:innen

Ethik für Ingenieur:innen

21.04.21

Bild: Handy in der Hand gehalten vor hellblauem Hintergund, Handy zeigt Bild mit Schrift "Ethics?" an.Text: Neuer Blogbeitrag. Ethik für Ingenieur:innen. Die neue Bedeutung von Technik-Folgenabschätzung.

Die technische sowie digitale Aufrüstung und Umwandlung unserer Umwelt erfordert eine ständig neue Vergewisserung, wie unsere Werte, Normen und Überzeugungen, die unser Handeln anleiten, auf die sich ändernden Situationen anzuwenden sind. In diesem Blogbeitrag widmet sich Lukas Brand den ethischen Fragen einer immer stärker technitisierten Welt.

Der Technisierung und Digitalisierung liegt eine Annahme der Rationalisierbarkeit und Verobjektivierbarkeit der Welt zugrunde. Die Welt müsse nur vernünftig durchdrungen werden, um sie und potentiell alle in ihr enthaltenen Probleme zu beherrschen. Dieser Annahme einer dem Verstand prinzipiell objektiv vorliegenden Welt werden – fairerweise muss man vielleicht sagen: wurden – von Seiten der Natur- und Ingenieurswissenschaften die im Wesentlichen als subjektiv betrachteten Werte, Normen und Überzeugungen gegenübergestellt, die sich nicht mit den selben wissenschaftlichen Methoden erfassen lassen und daher als unwissenschaftlich zurückgewiesen werden müssen.

Warum gibt es keine wissenschaftliche Ethik-Tradition außerhalb der Geisteswissenschaften?

Während durch die immer neuen Errungenschaften in der Physik, Mathematik und Computertechnik Mitte des 20. Jahrhunderts die Grenzen des technisch Machbaren immer weiter verschoben wurden, wurde die Frage nach den normativen Grenzen außenvor- oder bestenfalls den Geisteswissenschaften zur Beantwortung überlassen. Dem Desinteresse der exakten Wissenschaften an normativen Fragen stand eine gewisse öffentliche, bis zur Kritik und zum aktiven Widerstand reichende Skepsis gegenüber, die in den 70ern in der Antiatomkraft- und heute in der Fridays-For-Future-Bewegung ihren deutlichsten Ausdruck gefunden hat. In den Geisteswissenschaften wurde zwar spätestens seit Marx eine technikphilosophische und mitunter auch technikethische Debatte geführt, von der die tatsächlichen technischen Fortschritte jedoch offenkundig weitgehend unbeeindruckt blieben. Eine wissenschaftlich betriebene Technikfolgenabschätzung ging zwar in Europa aus der Bewegung der 70er Jahre hervor. Ein echtes Einsehen, das auch politische Folgen zeitigt, bedarf jedoch bis heute in der Regel des tatsächlich eintretenden GAUs, sei es in der Atomdebatte, der Kohleverstromung oder dem Abgasskandal. 

Seit ein paar Jahrzehnten nun, spätestens aber seit dem immer offensiveren Eindringen moderner Technik in den privaten Alltag, wächst auch das Interesse seitens der Urheber:innen an einer ethischen Auseinandersetzung mit dem eigenen Gegenstand. Die reflektierten Pioniere etwa im Bereich der Künstlichen Intelligenz-Forschung fühlen sich jedoch ausdrücklich nicht kompetent in den Fragen der Ethik oder Anthropologie, die von ihren Erfindungen oder zumindest ihrem wissenschaftlichen Gegenstandsbereich dennoch berührt werden. Weniger bescheidene Vertreter:innen dieser Zunft hingegen konfrontieren, ganz im Einklang mit der Annahme, Moral sei ohnehin subjektiv, die eigene wissenschaftliche Arbeit und die daraus hervorgehenden Produkte mit den eigenen Wertvorstellungen und greifen dabei nur selten auf die wissenschaftlich betriebene Ethik zurück. Seit nun der Anspruch erhoben wird, die moderne Technik werde autonom oder gar intelligent, stellt sich in der breiten Öffentlichkeit wieder mehr und mehr die Frage, wo und von wem denn Verantwortung für solche intelligente, selbst arbeitende Technik übernommen werden müsste; mit anderen Worten: wessen moralische Überlegungen denn im Zweifel auch juristisch zu beurteilen seien, wenn es zu einem Konflikt zwischen Technik einerseits und menschlichen Werten, Normen und Überzeugungen andererseits kommt.

Wo ist eine ethische Auseinandersetzung mit Technik angebracht? 

Die verschiedenen Seiten schieben sich in dieser Debatte gerne gegenseitig die Schuld zu. Von der einen Seite wird etwa gefordert, der ethische, d.h. verantwortungsvolle Umgang mit (digitaler) Technik – Computer, Internet, Smartphone, Facebook, Alexa, you name it – solle den potentiellen Nutzer:innen in der Schule vermittelt werden. Man geht offenbar davon aus, aus dem Wissen über die Funktionsweise folge mit dem gesunden Menschenverstand das Wissen um die potentiellen Grenzen und Gefahren und der moralisch richtige Einsatz ganz automatisch. Damit liegt die Last bei denjenigen, die nach Verlassen der letzten Bildungseinrichtung im Umgang mit neuer Technik nicht mehr gezielt geschult werden können und bestenfalls der Lektüre eines Handbuches überlassen werden, das in die Hand zu nehmen und aufmerksam zu studieren – seien wir einmal ehrlich – doch heute den meisten Nutzer:innen längst zu lästig oder – auch das ist wahrscheinlich nahe an der Wahrheit – einfach zu viel geworden ist.

Ich bin daher der Meinung, das die Schulung gerade am anderen Ende der Kette ansetzen müsste: Indem man die Technikproduzent:innen für Ethik und Moral sensibilisiert, versetzt man sie verhältnismäßig nachhaltig in die Lage, eine Technik zu entwickeln, die einen Missbrauch oder generell unseren Werten, Normen und Überzeugungen entgegenstehenden Gebrauch möglichst von vorneherein ausschließt, und kommt den Konsument:innen im Streben nach verantwortungsvollem Gebrauch so entgegen. Noch halten sich diejenigen, die die neue Technik entwickeln, jedoch zurecht für in den fraglichen Bereichen nicht kompetent. Es hat zwar bisher in die Technikentwicklung die Erkenntnis Einzug gehalten, dass jede neue technische Entwicklung auch Auswirkungen auf unsere Umwelt, Arbeit, unser Zusammenleben oder Selbstverständnis hat. Diese Auswirkungen müssen mit einigem Recht als moralisch relevant betrachtet werden, wenn etwa menschliche Arbeit überflüssig, persönliche Daten erhoben, Werte vernichtet oder ganz allgemein Leben bedroht werden. Die professionelle Technikfolgenabschätzung stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob der angestrebte positive Nutzen, den man sich von einer neuen Technik erhofft, ohne die beiläufigen negativen Auswirkungen zu haben ist, die sie allenthalben zeitigen. Im Curriculum der meisten technisch orientierten Studiengänge sucht man ein Fach Technikfolgenabschätzung jedoch vergeblich.

Es herrscht aber offenbar – das zeigt zumindest meine persönliche Erfahrung – unter den Entwickler:innen von morgen ein reges Interesse an einer moralisch verantworteten Technikfolgenabschätzung. In verschiedenen Kursen zur Technikphilosophie und -Ethik, zur Digitalisierung und Anthropologie, die ich seit 2019 an der Campusuniversität in Bochum gegeben und für Studierende der Informatik, Maschinenbau und Ingenieurwissenschaften geöffnet habe, sitzen Ingenieur:innen neben Theolog:innen und Philosoph:innen und bekunden ihr Interesse an Ethik, die in ihrem Curriculum – von Datenschutzfragen einmal abgesehen – eine große Leerstelle bildet. 

Wir fordern von Patient:innen nicht, dass sie ihre Ärzt:innen über die Bedeutung des Patientenwillens oder die Kalkulation von Risiken und Nebenwirkungen eines Präparates aufklären. Wir erwarten nicht von Anleger:innen, dass Sie Bankinstitute daran erinnern, fremdes Geld nicht zur eigenen Gewinnmaximierung in unkalkulierbare Risikoanlagen zu investieren. Angesichts der maßgeblichen Bedeutung, die moderne Technik in unserem Alltag spielt, sollten wir auch von Entwickler:innen erwarten können, dass sie für die Einsatzbereiche ihrer Technik ebenso sensibel sind wie für die Möglichkeit negativer Auswirkungen auf den Anwendungsbereich. Es ist daher angeraten, dass neben die Fächer Medizin- und Wirtschaftsethik ein Fach Ingenieursethik tritt, das mit den Entwickler:innen von morgen ein geeignetes Berufsethos ausbildet.

 

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