EdTech Made in Germany – verloren im Systemlabyrinth?

EdTech Made in Germany – verloren im Systemlabyrinth?

19.09.19

Angelsächsische Universität

Die deutsche Gründungsszene scheint immer noch einen großen Bogen um den Bildungssektor zu machen. Der Anteil an Startups, die im Bildungssektor mit innovativen Geschäftsideen mitmischen wollen, beschränkt sich laut Startup Monitor 2018 auf nur 3,6 Prozent – Tendenz sinkend. Gerade das Hochschulsystem kann jedoch von neuen innovativen digitalen Lösungen profitieren – als Angebote, aber auch allein durch deren neue Impulse. Was genau geht da schief? 

EdTech Lösungen bleiben Mangelware.

Quälend lange Mathestunden, exemplarisches Vorrechnen an der Tafel, dutzende frustrierte Gesichter von Schülerinnen und Schülern: gerade für Lehrende ist es eine Mammutaufgabe, den unterschiedlichsten Lerntempi von Schüler*innen gerecht zu werden und gleichzeitig dem eng getakteten Lehrplan zu folgen. Genau hier bemüht sich die Berliner Online-Lernplattform “Better Marks” anzusetzen und versucht individuelles Mathe-Lernen nach eigenem Tempo möglich zu machen. Es gehört damit zu den sogenannten Education Technologies, kurz EdTechs, die im internationalen Bildungssektor nicht mehr wegzudenken sind. Sie umfassen ein weites Feld an Technologien, die, so fasst es Wikipedia etwas sperrig zusammen, der “Förderung von Lernprozessen und der Verbesserung der Leistung” dienen. Gemeint sind hier meist innovative Softwarelösungen und Tools, die beispielsweise digitale Lernplattformen im Hochschulwesen ergänzen. Wie können Dozierende und Studierende am effizientesten miteinander kommunizieren oder Studierende individualisiert Lernfortschritte abfragen? Welche Art von Wissensvermittlung braucht es heutzutage, um die Potentiale digitaler Technologien effektiv auszuschöpfen? All diese Fragen beschäftigen spätestens seit Anfang der 2010er Jahre und mit Einzug des Cloud Computing auch junge Start-ups weltweit: sie treten an, um Lösungen für Herausforderungen des Bildungssystems zu entwickeln, die Schulen und Hochschulen nicht immer von sich aus bereitstellen können.

Bildung goes digital … aber nur schleppend 

Die Ausgangslage ist vielversprechend, gerade an Hochschulen: die heutige Studierendengeneration, für die Grenzen zwischen on- und offline durch das Smartphone verschmelzen, kann mit digitalen Lernangeboten ortsunabhängig und zu jeder Tageszeit nach ihren Bedürfnissen lernen. Hochschulen entwickeln nach über zwei Jahrzehnten Experimentieren mit digitalen Lehr- und Lernszenarien nun ganzheitliche Strategien für ihre Hochschulbildung im digitalen Zeitalter. Auch der politische Druck erhöht sich. Nach den breiten Diskussionen rund um den Digitalpakt Schule wurden ebenso bereits Forderungen nach einem Digitalpakt Hochschule laut. Das Möglichkeitsfenster öffnet sich so theoretisch für neue Ansätze von Start-ups, einen Beitrag für diesen digitalen Wandel im Bildungssystem zu leisten. Breitenwirksame Lösungen neuer Anbieter sind jedoch noch absolute Ausnahme. 

Deutsche EdTech Start-ups noch in den Kinderschuhen 

Wo bleiben innovative Tools für die Hochschullehre?

Das Start-up AMBOSS als digitales Nachschlagewerk für Ärztinnen und Ärzte bietet Medizinstudierenden über Lizenzverträge mit Hochschulen digitale Lernressourcen an. Aus dem Münchener Universitätsumfeld gewinnt StudySmarter mit ihrer Lernplattform Nutzende im fünfstelligen Bereich. Polarstern Education als Spin-off der RWTH Aachen unterstützt Hochschulen als externer Anbieter bei der Produktion von Online-Kursen, sodass Hochschulen keine aufwendige Infrastruktur zur Produktion entsprechender Kurse vorhalten müssen. Vielversprechende Ansätze, doch bisher nur Anekdoten. Warum muss man in Deutschland also noch mit der Lupe nach entsprechenden Ansätzen suchen, während bei den europäischen Nachbarn EdTech Start-ups einen weitaus größeren Raum im Bildungssystem beanspruchen? Schlendert man über die Messen zur digitalen Bildung wie die OEB in Berlin oder LEARNTEC in Karlsruhe, so begegnen einem insbesondere internationale Start-ups. Noch prägnanter wird das Bild, wenn man über Europa hinaus blickt. Erst im Dezember 2018 konnte das indische EdTech-Unternehmen BYJU’s mit einer interaktiven Lern-App für Kinder und Jugendliche in seiner letzten Finanzierungsrunde rund 540 Millionen Dollar einwerben und ist damit das weltweit wertvollste EdTech-Unternehmen. Zumindest im internationalen Rahmen hat das Venture Kapital erkannt, dass die Digitalisierung des globalen Bildungssektor nicht nur ein Billionen-schweres Marktvolumen, sondern auch atemberaubende Wachstumsraten verspricht. 

Dass von den deutschen Start-ups nur 3,6 Prozent im Bildungsbereich tätig sind, sollte an sich schon Grund genug sein, mal genauer hinzuschauen, zumal die Mehrheit dieser Unternehmen wohlmöglich in der profitablen, beruflichen Weiterbildung tätig sein wird und der öffentliche Bildungssektor (mal wieder) außen vor bleibt. Die hohe Zahl an Online-Weiterbildungsplattformen, die nachfragebasiert genau die Lücke nach Tech-Weiterbildungen schließt, die öffentliche Bildungsträger bisher nur zaghaft bedienen, passt hier ins Bild. Genauso passt, dass die deutsche MOOC-Plattform Iversity, die es mit den großen angelsächsischen Schwergewichten der Branche aufnehmen sollte, schon 2016 Insolvenz anmeldete und seitdem mit einem Fokus auf berufliche Weiterbildung arbeitet.

Es scheint, als existierten das deutsche Hochschulsystem und EdTech Start-ups in zwei Paralleluniversen mit komplett unterschiedlichen Arbeits- und Denkweisen. Sollte sich in absehbarer Zukunft nicht bald etwas daran ändern, droht die EdTech-Szene komplett zu verschwinden – und die Hochschulen verlören einen großen, potenziellen Innovationsmotor. 

Ein einziger Hürdenlauf 

Angelsächsische Universität

EdTech Start-ups haben in Deutschland vielfach andere Grundvoraussetzungen als im angelsächsischen Raum. Das liegt allein schon daran, dass Universities und Colleges in den USA oder dem Vereinigten Königreich meist einer Unternehmenslogik folgen und auch als solches operieren. Sie verlangen hohe Studiengebühren, versprechen dafür aber eine höhere Serviceorientierung als hiesige Hochschulen. Für EdTech-Gründer*innen sind solche Strukturen erst einmal positiv: mit Hochschulen, die wie Unternehmen funktionieren, lässt sich viel einfacher eine “Customer Relationship” aufbauen: Bürokratische Abläufe funktionieren schneller, aktuelle Trends und Innovationen müssen beobachtet werden, um am Markt bestehen zu können oder sich ein Profil zu schaffen. 

 

Didaktik first, Tech second

An der grundlegenden Problematik, dass für EdTech-Lösungen Konsument*innen und Nutzer*innen nicht deckungsgleich sind, ändert das herzlich wenig. Die föderale Bildungsstruktur in Deutschland, mit ihrer Komplexität an Zuständigkeiten und bürokratischen Hürden, erschwert es EdTech-Gründer*innen noch zusätzlich, die richtigen Ansprechpersonen zu identifizieren und passend auf sich aufmerksam zu machen. Gilt es nun, Lehrende mit eigenem Budget für Lehrkonzepte anzusprechen oder doch eher die IT-Beauftragten der verschiedenen Fachrichtungen oder gar F&E-Projekte beim Ministerium zu ergattern? 

Die geringe Bereitschaft, mit kommerziellen Anbietern im öffentlichen Bildungsbereich zu kooperieren kommt hier noch hinzu. Andreas Wittke, Chief Digital Officer (CDO) am Institut für Lerndienstleistungen der TH Lübeck und bei oncampus, kritisiert hier Grundlegendes: in Deutschland herrsche ein “Primat des Pädagogischen”, bei dem es mantra-artig heißt, die Technik müsse der Didaktik folgen. Wenn es darum geht, die digitale Lehre konkret mit Softwarelösungen zu verbessern, fehle es nach seinem Verständnis Erziehungswissenschaftler*innen* und Pädagog*innen nicht selten an technischem Know-How und einer “Hands-On Mentalität”. Dass es daher an der Bereitschaft mangele, für EdTech-Lösungen angemessene Budgets zur Verfügung zu stellen, erkläre sich daher von selbst, so Wittke. 

Zeit ist Geld Kooperationen suchen

Sind Kooperation einmal vorgesehen, dauert es für Start-ups oft quälend lange bis Verträge nach zähen Prozessen des öffentlichen Beschaffungsmanagement besiegelt sind und überhaupt Geld fließt. Öffentliche Gelder folgen berechtigten, jedoch strengen Vergaberegeln: es müssen verschiedene Angebote eingeholt werden, die dann über viele Schreibtische gereicht, gegengezeichnet und geprüft werden. Zeit, die vor allem junge Start-ups oft nicht haben. 

Aus Sicht der Hochschulen ein oftmals nötiges Übel. Warum auch sollte ein Start-up beauftragt werden, das noch recht neu am Markt ist, keine Referenzen aufweisen kann und ergo keine “Planungssicherheit” gewährleistet? Es zeigt sich ein trübes Gesamtbild: Das deutsche Hochschulsystem funktioniert nach einer Logik, die jungen, agilen Start-ups konträr entgegensteht. Hochschulen und Start-ups sprechen nicht dieselbe Sprache, verstehen sich nicht. Doch diese systemischen Herausforderungen sind kein Grund, es nicht trotzdem mit neuen Ansätzen zur Förderung des EdTech-Ökosystems zu versuchen. Ganz im Gegenteil: diese neuen Lösungen sollten genau auf die zuvor skizzierten Herausforderungen reagieren. 

Her mit dem EdTech-Inkubator! 

Es ist daher höchste Zeit für spezifische Hilfestellungen in Form von Inkubationsprogrammen, zugeschnitten auf die Bedürfnisse von jungen EdTech Start-ups. Andere Inkubatoren und Accelerators sind meist nur allgemein branchenübergreifend für Start-ups gedacht und haben nicht das nötige Wissen über die Fallstricke des Bildungs- und insbesondere Hochschulsystems, seine Verwaltungslogik(en) und die nötigen Entscheidungsträger*innen. Aber gerade diese Dinge sind bei der Skalierung einer innovativen Idee im Bildungssektor unerlässlich. 

Nur wenn EdTech Start-ups an einen Tisch mit den Hochschulen, Förderorganisationen und der Politik gebracht werden, können innovative Synergien entstehen und Probleme in Lösungen übersetzt werden – Hochschuldidaktik meets Start-up-Lösungen sozusagen. Programme wie die Open Education Challenge und EDUvation zielen in diese Richtung. Der Fokus solcher EdTech-Inkubatoren sollte daher vor allem auf intensive Mentoring- und Networkingformate liegen. Es ist an der Zeit. 

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