Digitalisierung gemeinsam gestalten: Remote-Labore

Digitalisierung gemeinsam gestalten: Remote-Labore

14.01.22

Deutschlandkarte auf der die Standorte der fünf Remote-Labore verzeichnet sind

Der HFD-Sammelband „Digitalisierung in Studium und Lehre gemeinsam gestalten“ ist thematisch in fünf Teile gegliedert. Die Beiträge des Teils „Didaktik“ befassen sich mit den Möglichkeiten, Hochschullehre im digitalen Zeitalter interessant und interaktiv zu gestalten. In „Die digitale Zukunft des Lernens und Lehrens mit Remote-Laboren“ zeigen Tobias R. Ortelt, Claudius Terkowsky, Andrea Schwandt, Marco Winzker, Anke Pfeiffer, Dieter Uckelmann, Anja Hawlitschek, Sebastian Zug, Karsten Henke, Johannes Nau und Dominik May anhand von fünf Fallbeispielen, wie Remote-Labore in Studium und Lehre integriert werden können. Dieser Blogbeitrag konzentriert sich vor allem auf die Handlungsempfehlungen der Autor:innen für die Umsetzung einer Remote-Labor-Infrastruktur und schließt mit deren kritischem Blick auf die aktuelle Laborlandschaft an deutschen Hochschulen und den sich daraus ableitenden Entwicklungsperspektiven.Ein düsterer Raum, ein Feuer knistert im Kamin, Bücherstapel überall und auf dem Tisch ein kompliziertes System von Glaskolben, in denen mysteriöse Flüssigkeiten blubbern. Von der Decke schaut ein ausgestopftes Krokodil auf die Szene herunter … Die Labore aus mythischen Tagen haben kaum etwas mit unseren modernen gemeinsam, bis auf eines: Das Labor ist ein integraler Bestandteil der Wissenschaft geblieben. Sonst ist es kaum wiederzuerkennen – nicht nur das Krokodil ist verschwunden, auch die Wissenschaftler:innen sind nicht mehr notwendigerweise vor Ort, wenn Messungen und Experimente durchgeführt werden. Und doch sind sie anwesend …

Was ist ein Remote-Labor?

Die Digitalisierung hat viele Bereiche unseres Lebens verändert, darunter auch die Labore. Neue Formen von Laboren werden unter dem Begriff des “Onlinelabors” zusammengefasst. Darunter fallen virtuelle Labore, Simulationen und Remote-Labore. Der Begriff Remote-Labor (von engl. Remote Laboratories; im Deutschen auch als Fernlabore bezeichnet) wird seit circa 30 Jahren verwendet und meint reale Laboraufbauten, die mittels Hardware automatisiert und über das Internet zur Verfügung gestellt werden. Auf diese Weise liefern Remote-Labore reale Messergebnisse und Messreihen. Der eigentliche Versuchsvorgang kann über das Internet von praktisch überall und zu jeder Zeit durchgeführt werden. Das bietet Vorteile für die Studierenden, sagen Ortelt et al.: 

„Die Digitalisierung der Labore ermöglicht es Studierenden, ihr Studium individueller zu gestalten und den Lernort und die Lernzeit zum Teil selbst zu bestimmen.“ 

Als ein Ort, an dem Studierende Theorie und Praxis miteinander verknüpfen, ist das Labor integraler Bestandteil der Ingenieurwissenschaften, so Ortelt et al. Laut den Autor:innen bieten Remote-Labore darüber hinaus viele Ansatzpunkte für den Erwerb digitaler Kompetenzen. Deren Vermittlung ist gerade in ingenieurwissenschaftlichen Studiengängen wichtig, da die Weiterentwicklung von Technologien im Zuge der Digitalisierung auch zu veränderten Tätigkeitsprofilen führt. Um Studierende auf zukünftige berufliche Anforderungen vorzubereiten soll, so fordert der Verein Deutscher Ingenieure, der Anteil digitaler Inhalte und überfachlicher digitaler Kompetenzen im Studium erhöht werden. Ortelt et al. stellen fest: 

„Remote-Labore eignen sich in besonderer Weise dafür, den digitalisierungsbedingten Anforderungen und dem Qualifikationsbedarf aus Wirtschaft und Industrie zu begegnen.”

Gleichzeitig geben die Autor:innen zu bedenken, dass Remote-Labore sowohl didaktisch als auch in der technischen und organisatorischen Umsetzung “anspruchsvoll” sind.

Vor- und Nachteile von Remote-Laboren in der Lehre

Laut Ortelt et al. können Remote-Labore in vier Formen des forschenden Laborlernens eingebunden werden: Durch die Veranschaulichung realer Prozesse können Remote-Labore erstens Wissen vermitteln. Zweitens ermöglichen Remote-Labore den Studierenden handlungsorientiertes Lernen sowie drittens auch forschungsbasiertes Lernen. Und nicht zuletzt unterstützt das Arbeiten in Remote-Laboren viertens die Kompetenzentwicklung und Employability für „Arbeiten 4.0“. 

In Bezug auf die Lernzielerreichung der Studierenden liefern Remote-Labore und das klassische Hands-on-Labor (ein Labor, in dem Versuchsaufbau und Lernende am gleichen Ort sind) vergleichbare Ergebnisse, so die Autor:innen. Doch das Remote-Labor bringt eigene Vor- und Nachteile mit sich, stellen Ortelt et al. fest:

Die Vorteile von Remote-Laboren:

  • Remote-Labore ermöglichen selbstorganisiertes Lernen.
  • Mit Remote-Laboren werden reale Daten mit Messwertestreuung erzeugt, was die wissenschaftliche Auswertung möglich macht.
  • Remote-Labore können standortübergreifend, kosteneffizient und angebotsdiversifiziert vernetzt werden.
  • Die Lernmotivation der Studierenden kann sich durch das Gefühl der wirklichen Fernanwesenheit durch Fernsteuerung (remote control) erhöhen.

Die Nachteile von Remote-Laboren:

  • Da es sich um reale Labore handelt, ist die Skalierbarkeit begrenzt.
  • Remote-Labore sind in der Regel projektgeförderte Einzelanfertigungen, das kann zu einer höheren technischen Anfälligkeit und zu Ausfallzeiten kommen. Es entstehen regelmäßige und unregelmäßige Betriebs- und Wartungskosten.
  • Im Vergleich zum Hands-on-Labor ist nur eine eingeschränkte Interaktivität möglich, da einige Remote-Labore aus teilweise oder vollständig vorkonfigurierten Versuchsaufbauten bestehen; außerdem zeigen eingesetzte Kameras nur einen begrenzten Ausschnitt. Das kann das Gefühl der Immersion beeinträchtigen und so die Motivation bei den Studierenden senken.

Die Community Working Group Remote-Labore in Deutschland

Die Entwicklung von Remote-Laboren für Lehr-Lern-Zwecke erfordert eine enge Zusammenarbeit von IT und Didaktik, denn was methodisch-didaktisch sinnvoll ist, muss sich auch technisch umsetzen lassen. Laut Ortelt et al. lag der Entwicklungsfokus bei Remote-Laboren bisher eher auf der technischen Umsetzung als der Didaktik. 2018 wurde eine Community Working Group (CWG) mit der Zielsetzung gegründet, Remote-Laboren und ihren Einsatz in der Lehre weiter zu erforschen und zu entwickeln. Die CWG ist ein Netzwerk von 15 Institutionen aus Deutschland, das technische und didaktische Expertise in der Konzeptionierung, Entwicklung und dem Betrieb von Remote-Laboren sowie die damit verbundenen Möglichkeiten der Digitalisierung ingenieurwissenschaftlicher Studiengänge zusammenbringt. Aktuell werden Labore aus der CWG im Projekt CrossLab vernetzt, gefördert von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre.

Handlungsempfehlungen der CWG

In ihrem Beitrag stellen Ortelt et al. die fünf Remote-Labore FPGA-Remote-Labor, DigiLab4U, Industrial eLab, GOLDi und das Virtual Instrument Systems in Reality (VISIR) unter den Aspekten Technik, Didaktik und Organisation vor. Aus den Erfahrungen in diesen Laboren leitet die CWG Handlungsempfehlungen bezüglich Technik, Didaktik und Organisation ab:

“Für den zuverlässigen Betrieb von Remote-Laboren ist die Technik entscheidend”, sagen Ortelt et al. Für diesen Bereich empfiehlt die CWG die (Weiter-)Entwicklung einer Remote-Labor-Software und ein Benutzermanagement das an ein Learning Management System angebunden ist, denn: “So können Studierende das Remote-Labor in ihrer bekannten Lernumgebung nutzen und müssen keine weiteren Logins verwalten.” Außerdem sei es für Lehrende und Lernende wichtig, dass die Remote-Labore technisch zuverlässig funktionieren.

In der Didaktik von Remote-Laboren empfiehlt die CWG eine ausgewogenere didaktisch-organisatorische Einbindung der Remote-Labore an den Hochschulen, damit die Studierenden vollumfänglich von den Möglichkeiten dieser Labore profitieren können.

Dabei sollen Remote-Labore als rund um die Uhr zugängliche Ergänzung zu Hands-on-Laboren eingesetzt werden, denn auch das klassische Labor hat in der Ausbildung weiter seine Funktion: “In der Ingenieurausbildung ist es wichtig, dass Studierende echte Maschinen bedienen und typische Handlingprozesse wie zum Beispiel das Vermessen manuell durchführen.” Zuletzt empfiehlt die CWG die hochschuldidaktische Weiterbildung und Beratung von Lehrenden, damit diese Remote-Labore als effizienten Lernraum einsetzen können. Ortelt und al. halten fest:

“Die Digitalisierung beeinflusst und verändert nicht nur die Fachinhalte in den Ingenieurwissenschaften, sondern bietet gleichermaßen neue Möglichkeiten für die methodisch-didaktische Gestaltung der laborbasierten Lernumgebungen.”

Für die bereits bestehenden Remote-Labore in Deutschland empfiehlt die CWG, weiter Mittel bereitzustellen. Dies sei “zwingend erforderlich”, da aktuell nur Neuentwicklungen von Remote-Laboren gefördert würden. Um von den Hochschulen aus auf Remote-Labore zuzugreifen, müsse es außerdem möglich sein, diese auch zu finden. Die CWG empfiehlt deshalb, eine Plattform für Remote-Labore zu entwickeln und hat in einem ersten Schritt auf ihrer Website eine Übersicht bestehender Remote-Labore zusammengestellt. Um die Entwicklung neuer Remote-Labore auf einem tatsächlichen Bedarf zu begründen, sollten laut der CWG Hochschulen, Fachgesellschaften und Didaktiker:innen an der Entwicklung neuer Remote-Labore beteiligt werden und die Nutzungszahlen der Labore sollten beobachtet und analysiert werden. Last but not least schlägt die CWG eine internationale Vernetzung von Remote-Laboren vor, denn:

“Der Bedarf und das Interesse an Remote-Laboren sind nicht an Ländergrenzen gebunden. Entwicklungsländer würden durch die Nutzung von Remote-Laboren eine Unterstützung ihrer Bildungssysteme erfahren.”

Die Zukunft des Lehrens und Lernens mit Remote-Laboren

Die Erfahrungen mit bestehenden Remote-Labore zeigen, so Ortelt et al., dass diese einen wichtigen Beitrag zur Digitalisierung der Lehre liefern können: Studierende können hier Kompetenzen im Umgang mit digitalisierten Arbeitsgeräten aufbauen. Gleichzeitig geben die Autor:innen zu bedenken, dass die Entwicklung von Remote-Laboren “kein Selbstläufer” sei – für den erfolgreichen Betrieb müssen technische, didaktische und organisatorische Voraussetzungen dauerhaft erfüllt werden. Dazu gehört die Deckung von Anschaffungs-, Entwicklungs-, Betriebs- und Personalkosten, damit bestehende Labore verstetigt werden können, auch standortübergreifende Kooperationen seien wünschenswert. Um Remote-Labore sinnvoll in die Lehre einzubinden, müsse man außerdem auch den Lehrenden labordidaktische Kompetenzen vermitteln. 

Zukünftige Forschungs- und Entwicklungsfelder im Bereich der Remote-Labore im Speziellen und der Onlinelabore im Allgemeinen seien, so die Autor:innen, beispielsweise die gezielte Nutzung von und die damit verbundene Forschung zu Onlinelaboren zur Steigerung der Barrierefreiheit im Studium sowie die Einbeziehung nichttraditioneller Studierendengruppen, für die ein campusgebundenes Präsenzstudium nicht infrage kommt. Da die Forschung zu diesen Bereichen laut Ortelt et al. noch “weitgehend in den Kinderschuhen” stecke, würden sich in diesen Bereichen “weitere Innovationspotenziale ergeben”. Wie die Labore unserer Zukunft aussehen werden, bleibt eine spannende Frage!

Den Sammelbandbeitrag “Die digitale Zukunft des Lernens und Lehrens mit Remote-Laboren” von Tobias R. Ortelt, Claudius Terkowsky, Andrea Schwandt, Marco Winzker, Anke Pfeiffer, Dieter Uckelmann, Anja Hawlitschek, Sebastian Zug, Karsten Henke, Johannes Nau und Dominik May können Sie hier lesen und herunterladen. Zum Download des gesamten HFD-Sammelbands geht es hier.

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