Digitale Lehre bewegt gestalten: Zum Innovationspotenzial des Heidelberger Modells der bewegten Lehre

Digitale Lehre bewegt gestalten: Zum Innovationspotenzial des Heidelberger Modells der bewegten Lehre

15.03.22

Hervorgehobener Text auf blauem Hintergrund: •	Sitzendem Verhalten Studierender dort entgegentreten, wo es stark und gewohnheitsmäßig ausgeprägt ist – in der digitalen Hochschullehre •	Menschengerechte Gestaltung digitaler Lehre durch Erfüllung des Körperbedürfnisses nach regelmäßiger Sitzunterbrechung / Mikrobewegung •	Umsetzung einer guten (lerneffizienten) und gesunden digitalen Lehre mittels Bewegungsaktivierung •	Integration einer bewegungsorientierten Gesundheitsförderung in das Kerngeschäft von Hochs

Körperliche Bewegung ist gut für unsere Gesundheit – und sie fördert unsere kognitiven Fähigkeiten. Basierend auf dieser Erkenntnis, die durch zahlreichen Studien belegt ist, hat Dr. Robert Rupp gemeinsam mit den Kolleg:innen Jens Bucksch und Chiara Dold das „Heidelberger Modell der bewegten Lehre“ entwickelt. Haltungwechsel während der Vorlesung und der „Podcast Walk“ sind zwei der verschiedenen Methoden des bewegten Lehrens, die Dr. Robert Rupp in seinem Talk beim University:Future Festival 2021 vorstellte und hier im Blog zusammenfasst.

Bild: Hände, die einen Schuh zubinden. Text: Blogbeitrag University:Future Festival 2021. Digitale Lehre bewegt gestalten. Ein Gastbeitrag von Dr. Robert Rupp.

Die Integration von Bewegung in hochschulische Lehr-Lernprozesse bietet ein hohes Innovationspotenzial. Im Hochschulunterricht dominieren bislang sitzende Lehr- und Lernformen ohne Körper- und Bewegungsbezug. Dies trifft insbesondere auf die digitale Lehre zu, die von einer sitzenden Arbeitshaltung vor dem Bildschirm geprägt ist. Mit Hilfe bewegungsaktivierender Ansätze kann auch und gerade die digitale Lehre menschengemäßer – und damit wirkungsvoller und gesünder – gestaltet werden. Neben der Reduzierung gesundheitsschädlicher Effekte langen Sitzens im Studium lässt sich über eine Bewegungsaktivierung auch positiv auf die akademische Leistung einwirken (Rupp et al. 2020). Gesundheitsförderung und Lernoptimierung gehen hierbei Hand in Hand.

Das Heidelberger Modell der bewegten Lehre stellt ein innovatives Lehr-Lernkonzept dar, welches Bewegung als Unterrichtsprinzip in die Lehre integriert. Es verknüpft in klassischen und in digitalisierten Lehrwelten hochschulische Lehr-Lernprozesse mit leichter (Mikro-)Bewegung. Das Besondere daran: Die Bewegungszeit ist gleichzeitig Lernzeit! Daraus resultiert eine lernzeitwahrende und unterrichtsnahe Aktivierung – von Kopf bis Fuß. In diesem neuartigen Ansatz liegt ein wesentlicher, qualitativer Unterschied zu bisherigen Zugängen der Bewegungsaktivierung. Diese werden – insbesondere in der digitalen Lehre – vorzugsweise als Bewegungs-Pausen(-Videos) umgesetzt, die den Lehr-Lernprozess lernzeitreduzierend unterbrechen und dabei Bewegung vom Lernen entkoppeln. Das Heidelberger Modell der bewegten Lehre überwindet diese Problematik und etabliert dabei ein neues Verständnis bewegter Lehre: Von der Bewegungspause zum bewegten Lehren und Lernen!

Das Problem

Die zunehmende Digitalisierung der Lehre treibt gesundheitsriskante lange Sitzzeiten weiter voran: Live-Stream-Lehre, asynchrone Lehrvideos, audiobasierte Vorlesungspodcasts, digitalisierte Selbstlern-, Test- und Aufgabenmaterialien werden vor (Computer-)Bildschirmen sitzend erstellt, gesichtet und bearbeitet. Zugespitzt kann man diese Entwicklung auch so skizzieren: Lern-Inhalte digitalisiert, Üben digitalisiert, Resultat: reines Sitzlernen. Der bereits in der klassischen Präsenzlehre traditionell nur schwach ausgeprägte Körper- und Bewegungsbezug von Lehr-Lernprozessen droht damit vollends verloren zu gehen. Eine Stillsitzlehre ist die Folge, welche Lernende (und Lehrende) regelmäßig zu langen, wenig unterbrochenen Sitzzeiten vor Computerbildschirmen veranlasst. Dies hat nicht nur schnelle Ermüdung, inneres Abschalten und Konzentrationsprobleme zur Folge – die langen Sitzzeiten führen auch zu einem Gesundheitsrisiko.

Das Potenzial

Aktuelle Erkenntnisse der Gesundheitswissenschaften stellen das lange und ununterbrochene Sitzen immer deutlicher als ein bedeutsames Gesundheitsrisiko heraus. Bereits regelmäßige Sitzunterbrechungen und alltägliche Mikrobewegungen, wie (Auf-)Stehen und (Umher-)Gehen, in Lern- und Arbeitsprozessen sind gesundheitlich bedeutsam (Bucksch et al. 2015). Gleichzeitig weist die Lernforschung nach, dass eine Bewegungsaktivierung in Lehr-Lernprozessen positiv auf die Lernleistung sowie die akademische Leistung insgesamt positiv einwirken kann (Rupp et al. 2020).

Die Grundidee einer bewegten digitalen Lehre nach dem Heidelberger Modell

Um das zuvor skizzierte Innovationspotenzial zu nutzen, habe ich gemeinsam mit meinen Kolleg:innen Jens Bucksch und Chiara Dold das Heidelberger Modell der bewegten Lehre entwickelt (Rupp et al. 2020). Es setzt Bewegung als ein aktiv-dynamisches Unterrichtsprinzip in der Hochschullehre ein und wandelt das dort vorherrschende Sitzlernen in ein bewegtes Lernen um. Seine Grundidee lässt sich speziell für die digitale Lehre folgendermaßen auf den Punkt bringen:

Hervorgehobener Text auf blauem Hintergrund: •	Sitzendem Verhalten Studierender dort entgegentreten, wo es stark und gewohnheitsmäßig ausgeprägt ist – in der digitalen Hochschullehre •	Menschengerechte Gestaltung digitaler Lehre durch Erfüllung des Körperbedürfnisses nach regelmäßiger Sitzunterbrechung / Mikrobewegung •	Umsetzung einer guten (lerneffizienten) und gesunden digitalen Lehre mittels Bewegungsaktivierung •	Integration einer bewegungsorientierten Gesundheitsförderung in das Kerngeschäft von Hochs

Grundlegende Prinzipien des Heidelberger Modells der bewegten Lehre für digitale Lernformate

Prinzip Lernzeitwahrendes Bewegen: Auch bei digitalen Lernformaten gilt – Lernzeit ist wertvoll! Deshalb habe ich eine ganz einfache Formel entwickelt, mit der sich Bewegung ohne Zeitverlust in die digitale Lehre integrieren lässt.

Text: Die Lern-Bewegungsformel: Lernen + Haltungswechsel = bewegtes Lernen (Rupp 2022)

Das Besondere daran: Die Bewegung erfolgt, während Dozierende eine Theorie vorstellen, während die Studierenden sich zu einer Fachfrage austauschen oder während sie sich Wissen aneignen. Beispielsweise hören sich Studierende einen audiobasierten Vorlesungspodcast im Gehen statt im Sitzen an (siehe Methode „Podcast Walk“ in diesem Blog). So gelingt die Integration von Bewegung in digitale Lernformate ohne Zeitverlust. Die Bewegungszeit ist gleichzeitig Lernzeit! Alle beschäftigen sich ohne Unterbrechung mit dem Kursthema.  

Wellen-Prinzip: Das Wellen-Prinzip führt gesundheitstheoretische Überlegungen zu einer Lebensrhythmisierung mit aktuellen Erkenntnissen der empirischen Unterrichtsforschung in einen dynamischen Lernarrangement zusammen (Rupp 2022). Es ist speziell auf das massive Sitzlernen und die reduzierten Aufmerksamkeitsspannen in digitalen Lehr-Lernkontexten ausgerichtet. Demnach muss neben einer körperlichen Welle – Pendeln zwischen sitzendem Lernen und bewegtem Lernen – auch eine kognitive Welle – Pendeln zwischen (passiver) Wissensrezeption und (aktiver) persönlicher Auseinandersetzung mit dem Lernstoff – durch die digitale Lehre laufen, damit diese gesund und gut (wirkungsvoll) verläuft.

Tabelle mit dem Titel Digitale Lehre nach dem Wellenprinzip. Zwei Zeilen. Zeile eins: Kursverlauf mit kognitiver Welle, Spalte rechts mit darübergelegter Wellengrafik: rezeptives Lernen und aktives Lernen im Wechsel; Zeile zwei: Kursverlauf mit körperlicher Welle, Spalte rechts mit darübergelegter Wellengrafik: sitzendes Lernen und bewegtes Lernen im WechselMit Hilfe „bewegender Methoden“ (siehe nächsten Abschnitt) synchronisieren wir diese beiden Wellenbewegungen in unserem Lehr-Lernkonzept. Studierende sind dann in der digitalen Lehre zugleich kognitiv und körperlich aktiv – bewegter Kopf auf bewegtem Körper.

Bewegende Methoden für die digitale Lehre

Bewegende Methoden bilden einen zentralen Baustein in unserem Heidelberger Modell der bewegten Lehre. Sie eröffnen Studierenden Gelegenheiten, in denen sie die starre Sitzhaltung immer wieder einmal aufgeben und sich während der Lehre bewegen können. In den vergangenen Online-Semestern habe ich im Rahmen lehrenden Forschens gemeinsam mit Studierenden des Bachelorstudiengangs Prävention und Gesundheitsförderung der Pädagogischen Hochschule Heidelberg bewegende Online-Methoden entwickelt, erprobt, evaluiert und optimiert. Die Methoden sind ganz einfach! Sie benötigen wenig Zeit. Sie lassen sich ganz unkompliziert in digitale Lehr-/Lernformate, wie die synchrone Distanzlehre oder die asynchrone digitale Lehre, integrieren. Dabei führe Studierende im Lehr-Lernprozess immer wieder „Haltungswechsel“ durch, begeben sich auf „Audio-Ausflüge“ / „Podcast Walks“, „Denktouren“ und „Suchläufe“ oder suchen ihren „zweiten Lernort“ auf (Rupp 2022). Diese und weitere bewegende Methoden habe ich in der Publikation „Online-Seminare bewegt gestalten“ (Rupp 2022) zusammengestellt und für eine erfolgreiche Praxisanwendung beschrieben.

Exemplarisch stelle ich hier zwei dieser Methoden kurz vor:

Die Methode „Haltungswechsel“ ist eine ganz einfache Möglichkeit, Bewegungsimpulse in Online-Kurse oder in asynchrone Lehrvideos zu integrieren. Dabei werden Präsentationsfolien rechts unten mit einer Besonderheit ausgestattet. Studierende sehen dort eine Figur. Diese Figur nimmt verschiedene Haltungen ein: Mal sitzt sie entspannt, mal sitzt sie und bewegt die Füße. Mal steht sie, und manchmal geht sie stehend auf der Stelle. Die Figur lädt Studierende unaufdringlich dazu ein, während Präsentationsphasen ganz unkompliziert Ihre Haltung zu verändern. Körperlich tut ihnen das gut – und durch den kleinen Haltungswechsel bleiben sie außerdem wacher bei der Sache.

Den Haltungswechsel können Sie noch heute in Ihren nächsten Online-Kurs / Ihr nächstes Lehrvideo integrieren. Unter https://www.ph-heidelberg.de/gefoe/forschungsprofil/bewegende-methoden.html können Sie die vier Bewegungs-Figuren kostenfrei herunterladen.

Die Methode „Audio-Ausflug“ oder auch „Podcast-Walk“ (Rupp et al. 2020) führt eine doppelte Innovation in die digitale Lehre ein: die Informationsvermittlung im Gehen und außerhalb des Gebäudes – unter freiem Himmel. Ermöglicht wird dies durch den Einsatz von Audiodateien, welche sich die Studierenden bei einem Spaziergang anhören. Unter nachfolgendem Link erhalten Sie einen kurzen filmischen Praxiseinblick, wie die Methode im Rahmen von Hochschullehre umgesetzt werden kann. Ab Minute 25:00 des verlinkten Vortrag-Videos finden Sie die entsprechende Sequenz zum Audio-Ausflug / Podcast Walk: https://www.youtube.com/watch?v=KE7yz0nn8Mo

Bewegende Weiterbildungen: Inhouse-Angebote und offene Online-Kurse für Dozierende

Der hier skizzierte Ansatz einer bewegten digitalen Lehre nach dem Heidelberger Modell weicht stark von den etablierten Lehrgewohnheiten Hochschuldozierender ab. Deshalb habe ich ein hochschuldidaktisches Weiterbildungsangebot entwickelt, das Lehrende in das Heidelberger Modell der bewegten Lehre einführt und sie in die Lage versetzt, dieses kompetent in der eigenen Lehrpraxis umzusetzen. Zur Verbreitung unseres Ansatzes einer bewegten digitalen Lehre bringe ich diese Weiterbildung sowohl in Form offener Online-Kurse für interessierte Einzelpersonen, als auch als Inhouse-Angebot für Hochschulen aus. Gerne dürfen Sie mich kontaktieren, wenn Sie an diesen Qualifizierungen interessiert sind: robert.rupp@gmx.de.

Erste Erfahrungen mit der Einbindung dieses Angebots in hochschuldidaktische Weiterbildungsreihen anderer Hochschulen zeigen das große Interesse Lehrender an der Thematik einer bewegten und gesunden (digitalen) Lehre auf.

Fazit

Die Integration von Bewegung in die digitale Hochschullehre stellt ein neues Thema dar. Dessen Relevanz wird durch aktuelle Erkenntnisse aus der Gesundheits- und Lernforschung begründet. Neben der Reduzierung gesundheitsschädlicher Effekte langer Sitzzeiten kann durch die Einbindung des Körpers in digitale Lehr-Lernformate Denken optimiert werden. Das Heidelberger Modell der bewegten Lehre stellt hierfür ein innovatives Lehr-Lernkonzept bereit. Es führt Bewegung als Unterrichtsprinzip in die digitale Lehre ein und synchronisiert dabei Bewegung und Lernen lernzeitwahrend. Studierenden ermöglicht dies, auch bei digitalen Lernformaten regelmäßig vom Stuhl aufzustehen und im Lernprozess körperlich aktiv zu werden. Damit leistet das Heidelberger Modell der bewegten Lehre einen Beitrag, um die Digitalisierung der Hochschullehre menschengemäß zu gestalten.

Für eine anschauliche Vertiefung der Thematik einer bewegten digitalen Lehre nach dem Heidelberger Modell sei hier auf das Video zu meinem Online-Vortrag „digital und doch bewegt“ für das University:Future Festival 2021 verwiesen. 

Literatur

Bucksch, J., Wallmann-Sperlich, B. & Kolip, P. (2015). Führt Bewegungsförderung zu einer Reduzierung von sitzendem Verhalten? Prävention und Gesundheitsförderung, 10(4), 275-280. https://doi.org/10.1007/s11553-015-0514-1

Rupp, R., Dold, C. & Bucksch, J. (2020). Bewegte Hochschullehre. Einführung in das Heidelberger Modell der bewegten Lehre. Wiesbaden: Springer. https://link.springer.com/book/10.1007%2F978-3-658-30572-7

Rupp, R. (2022). Online-Seminare bewegt gestalten. Mit Schwung durch den Online-Marathon. Wiesbaden: Springer.
https://link.springer.com/book/10.1007/978-3-658-36558-5

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