Der Campus und die Digitalisierung: So sieht die Universität der Zukunft aus

Der Campus und die Digitalisierung: So sieht die Universität der Zukunft aus

17.05.17

Foto Tastatur und Kaffee

Digitalisierung bringt oft die Erwartung eines Paradigmenwechsels mit sich, die das analoge Zeitalter ablösen würde. Michael Jäckel von der Universität Trier relativiert diese Erwartungshaltung und plädiert für einen Ansatz des Ineinandergreifens von Analog und Digital. Dieser Artikel erschien zuerst im Blog der Huffington Post.

Seit Jahren wird die Universität mit der Erwartung konfrontiert, dass ihr die Besucher ausgehen. Gerne wird in diesem Zusammenhang auf eine Prognose des US-amerikanischen Ökonomen Peter Drucker verwiesen, der in den 1990er Jahren der herkömmlichen Universität bescheinigte, in 30 Jahren ein Relikt der Vergangenheit zu sein. Während die Zahl der jungen Menschen, die ein Studium aufnehmen wollen, von Jahrgang zu Jahrgang anstieg, erfreuten sich andere angesichts der neuen Vermittlungswege in der digitalen Welt an Botschaften wie „Warum noch 200 Menschen in einen Hörsaal bitten?“, oder priesen ein Modell des Online-Studiums, das eher dem Wunsch einer Privatisierung des Bildungswesens als einer Verbesserung der Studierqualität entsprach.

Universität als Anwesenheitsinstitution

Foto Frauen mit LaptopsDie Gemeinschaft der Lehrenden und Lernenden ist Kern des „universitas“-Gedankens. (Anders verhält es sich, wenn neue Zielgruppen über Weiterbildungsangebote erreicht werden sollen.) Nun gewann man den Eindruck, dass es sich um einen Ort handelt, der aufgesucht werden muss. Mit dem Begriff „Anwesenheitsinstitution“ hat der Soziologe Rudolf Stichweh unlängst auf eine Tradition hingewiesen, die eben noch ganz im Sinne der „brick university“ (also: ein reeller Ort) interpretiert werden kann und den Gedanken des gemeinsamen Studierens hervorhebt. Wer die intensivere Digitalisierungs-Diskussion in diesem Jahrzehnt Revue passieren lässt, der stellt nun zudem mit Erstaunen fest, dass viele Modelle und Konzepte auf eine gute Verzahnung von „brick“ und „click“ setzen. Aus dem Relikt wird ein moderner Ort. Anwesenheit vs. Abwesenheit ist der falsche Ansatz. Verzahnung von analoger und digitaler Lehre/Forschung belebt den Campus.

Moderner Lernort

Ein englischer Kollege hat den prägnanten Satz formuliert: „Far from libraries being displaced by information technology, information technology has moved into libraries.“ Die Bibliothek als Ort wird mit Blick auf dieses Zitat nicht mehr nur mit gefüllten Regalen assoziiert, sondern mit einer Umgebung, die reell („brick“) und virtuell („click“) zugleich ist. Als das Trinity College Dublin im Jahr 2010 eine Erweiterung erfuhr, bestaunte man anstelle von „heavy book stacks“ ein Lounge-Konzept „for the mind“. Die digitale Bibliothek ist also nicht nur ein Synonym für ein zentrales Portal zum kulturellen Erbe, sondern ein Modernisierungsprogramm, das einen beliebten Ort belebt, auch mit bequemem Zugriff auf Datenbanken, elektronische Bücher (e-books), elektronische Fachzeitschriften, Informationsportale etc. Die moderne Gesellschaft legt Wert auf Zugriff, Verfügbarkeit. Diese Gelegenheitsstrukturen gehören auch zum Campus der Zukunft.

Analog und digital

Als mir der Rektor einer Partneruniversität die neuen, modernen Hörsäle auf seinem Campus zeigte, berichtete er mir, dass sich die Mathematiker massiv über das Fehlen der klassischen Tafel beschwert hätten. Dieses Beispiel zeigt, dass Digitalisierung in einem flächendeckenden Sinne wenig dem tatsächlichen Bedarf entsprechen und auf Akzeptanz hoffen dürfte. Die Differenzen und Spezifika der jeweiligen Fächer müssen auch in diesem Prozess anerkannt werden. Man kann über den Begriff „Digitale Spaltung“ und die damit verbundene Bedeutung geteilter Meinung sein. Aber auch für den Campus des 21. Jahrhunderts gilt, dass es inneruniversitär nach wie vor nicht nur erhebliche Akzeptanzunterschiede, sondern auch erhebliche Unterschiede im Bereich der digitalen Fertigkeiten gibt. Erstaunlicherweise werden digitale Innovationen mit didaktischem Bezug nicht unbedingt – was überraschen mag – und schon gar nicht kompromisslos von den Studierenden eingefordert. Der wissenschaftliche Nachwuchs und die Inhaber von Professuren werden durchaus auch einmal zum Ausprobieren animiert. Wer sich digital umfassender engagieren will, braucht aber eine nachhaltige Unterstützung und Beratung.

Die Erwartungen verändern sich

Foto Tastatur und KaffeeDie Erwartungen verändern sich, aber es gibt noch kein eindeutiges und neues Rollenbild, dem es zu entsprechen gilt. Von einem bedeutenden strategischen Element im Rahmen der Gestaltung des Erststudiums kann nicht ernsthaft gesprochen werden. Anreicherung ist also das, was die meisten tun. So lassen sich, um nur ein Beispiel zu nennen, internationale Kooperationen mit Partneruniversitäten vorteilhaft in das Curriculum integrieren. Die Live-Übertragung eines Vortrags oder Videokonferenzen für gemeinsame Seminare lassen sich heute leicht realisieren. Die Beispiele ergeben aber in ihrer Gesamtheit keinen Ersatz für ein Bachelor- oder Masterstudium. Sie sollen dort für Abwechslung im didaktischen Ablauf sorgen, wo es sinnvoll ist. Die curriculare Verankerung dieser Bausteine steht noch am Anfang. Nicht eine Digitalstrategie ist entscheidend, sondern ein Konzept guter Lehre, in dem Bewährtes und Neues seinen Platz hat. Eine digitale Agenda darf Traditionen nicht vernachlässigen.

Digitale Organisation

Weitgehend angekommen ist die Digitalisierung im Bereich der Organisation des Studiums, und zwar in der Administration selbst als auch bei der Planung des Studiums durch die Studierenden. Ein Studium ohne eine elektronische Plattform, die Anmeldungen, Sprechstunden, den Zugriff auf Lehrmaterialien usw. erlaubt, ist heute nicht mehr vorstellbar. Neue Prüfungsformen (E-Assessment, E-Klausuren) etablieren sich ebenfalls erstaunlich schnell, ebenso die Dokumentation von schrittweisen Lernfortschritten (auch Learning Analytics genannt). Die Suche nach passgenauen Konzepten, die Lernbedürfnisse und technologische Optionen im Dienste des akademischen Auftrags besser zueinander führen, dauert also nun schon einige Zeit an. Diskutiert und erprobt werden häufig auch Mitmach-Konzepte, ein Gedanke, der bereits in Arthur Brehmers 1910 erschienenem Buch „Die Welt in 100 Jahren“ aufschien.

Zusammenarbeit

Ein Futurist meinte zu Erziehung, Bildung und Hochschulunterricht im Jahr 2010: „Es werden Gespräche sein, ein Gedankenaustausch [über Ätherwellen], weiter nichts, und es wird sehr oft die Frage sein, wer der Lernende sein wird, ob der Lehrer oder [der Studierende]. […] [Schulmauern werden fallen] und statt Zwingburgen des Geistes freie blumige Auen entstehen.“ Wieder sind es Mauern, die überwunden werden sollen. Ein „Mauern“, ein Verweigern aus Prinzip – das würde das Akzeptanzklima nicht zutreffend beschreiben. Gegenwärtig lautet die Strategie: durch gute Beispiele überzeugen. „Kollaborations-Software“ – ein sperriges Wort – soll Formen der Zusammenarbeit im Lernprozess ermöglichen. Es werden Preise für gute digitale Lehre ausgelobt, E-Zertifikate für Studierende angeboten, aber auch Fortbildungskurse für das wissenschaftliche Personal, nationale und internationale Wettbewerbe gewährleisten eine Konkurrenz der Ideen.

Wer eine Vorlesung des Jahres 2017 mit einer Vorlesung des Jahres 1987 vergleicht, der mag hier und da noch einen Beleg für das hartnäckige Stereotyp („Alles beim alten“) finden. Ein neutraler Beobachter aber müsste sich vermehrt positiv überrascht über das Ausmaß der Einbindung digitaler Elemente in die Darstellung des Lehrstoffs zeigen. Daher sorgt auch die gute Verbindung von Lehre und Forschung dafür, dass sich etwas bewegt. Dazu passt ein Wortspiel aus der Zeit der Weimarer Republik, das ein Bibliothekar in einem anderen Zusammenhang zur Illustration der Zukunft der Bibliotheken verwandt hat: „Die alte Schönheit ist nicht mehr wahr und die neue Wahrheit ist noch nicht schön.“ Mitmach-Konzepte sind eine Einladung zu mehr Beteiligung. In der Lehre aber existieren auch Hierarchien. Diese Differenz darf man nicht ignorieren.

Eine neue Balance

Mehrheitsfähig sind gegenwärtig vor allem versöhnliche Ausblicke. Wahrscheinlich ist das Wort „disruptiv“ auch im Umfeld der Diskussion um die Zukunft der Universität zu häufig verwandt worden. Ein US-amerikanischer Universitätspräsident antwortete auf die Frage „Der Stanford-Campus im Jahr 2060 wird also im Großen und Ganzen so aussehen wie der Campus von 2016?“: „Wir werden [..] Veränderungen erleben, aber sie werden nicht alles über den Haufen werfen.“

Wer will schon alles über den Haufen werfen? Zwischen den großen Visionen und der Sorge um den Relikt-Status hat man sich auf den Weg gemacht und lässt sich von Ergebnissen leiten.

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