Beyond the hype: Clubhouse für Hochschulen
Beyond the hype: Clubhouse für Hochschulen
22.01.21Wer am vergangenen Wochenende in Deutschland ein Digital-Detox erfolgreich durchgezogen hat, ist am Montag in einer neuen Social-Media-Landschaft aufgewacht: Plötzlich war Clubhouse in aller Munde – so schnell wie wohl keine App zuvor. Noch vorm Wochenende lag sie ganz unten in den Rankings im App Store, doch Anfang der Woche erreichte sie quasi über Nacht den ersten Platz sowie wichtige Akteur*innen aus Politik, Medien und IT. Das HFD nimmt den Neuling unter die Lupe, um eine erste Prognose für die Hochschulwelt aufzustellen.
First things first: Was ist Clubhouse?
Clubhouse ist eine audiobasierte Social-Networking-App. Nach dem Launch im April 2020 wurde sie zunächst in den USA gehypt, gehasst und gedownloaded. Die App hat bereits ca. 600.000 Nutzer weltweit, Tendenz: Stark steigend.
Wie funktioniert es?
Zurzeit ist die App ausschließlich im Apple App Store für iOS verfügbar und nur eingeschränkt zugänglich. Denn nach dem Download muss man entweder von einem bestehenden Mitglied eingeladen werden oder man meldet sich an in der „Warteschlange” in der Hoffnung, dass jemand einen reinlässt. Als Mitglied kann man „Gesprächsräume“ eröffnen und verschiedene Themen diskutieren oder Diskussionen mitverfolgen. Wie bei einem Live-Podcast kann jede/r im Publikum dann „auf die Bühne“ kommen. Viele prominente deutsche Nutzer*innen aus Politik, Unterhaltung und der digitalen Welt sind bereits dabei – Persönlichkeiten wie Dorothee Bär, Sasha Lobo und Thomas Gottschalk – und diskutieren fleißig mit. Gerade explodiert die Anzahl von Themen und Terminen. Heute auf der Agenda, um ein paar Beispiele zu nennen: Eine Buchdiskussion mit Journalistin Dunja Hayali, ein Ausblick auf die kommende Woche mit Tagesspiegel-Redakteuren sowie eine Talkrunde mit dem Titel „Wieso Clubhouse sich nicht durchsetzen wird.“ Jeden Tag kommen weitere Themen hinzu.
Das Knifflige: Als Mitglied kann man derzeit nur wenige Kontakte einladen. Um diese Funktion jedoch freizuschalten, benötigt die App den Zugriff auf das Telefonbuch – was erhebliche Datenschutzbedenken mit sich bringt. Mehr dazu unten.
Ist Clubhouse was für die Wissenschaft?
In Kürze: Vielleicht.
Die Pluspunkte:
Clubhouse ist am Puls der Zeit. Mitten im Corona-Januar hat die App in Deutschland einen Nerv getroffen. Dass Nutzer*innen die Beiträge nicht später abrufen können, verleiht der App einen Live-Charakter. Das schürt neben dem Einladungssystem die FOMO – Fear Of Missing Out. Zudem verlangt das Format aktives Zuhören, was dazu führt, dass das Publikum insgesamt engagierter wirkt, aber dafür auch erst einmal Zeit aufwenden muss. Mit dem Fokus auf eine inhaltlich anspruchsvolle Diskussionskultur und das gesprochene Wort birgt Clubhouse deutlich mehr Potenzial für die Wissenschaftscommunity als andere neue Netzwerke wie TikTok, die eher auf Unterhaltung abzielen.
Die Nachteile:
1. Datenschutz. Datenschutz. Datenschutz. Oder: Das Leben in der Grauzone
Aus Expert*innensicht ist die App zurzeit hinsichtich Datenschutz nicht unbedenklich. Gerade in der wissenschaftlichen Community bereitet das Bauchschmerzen. Ein Blick in die Praxis liefert jedoch eine andere Perspektive: die Diskussion, ob Social-Media-Netzwerke aus den USA an den deutschen Unis zum Einsatz kommen sollten, ist nicht neu. Eine aktuelle HFD-Umfrage unter Studierenden belegt, dass fast die Hälfte der Befragten sich gezwungen fühlt, Facebook & Co fürs Studium zu verwenden – also ungewollt. Obwohl diese Tools nicht verpflichtend sind und es oft Alternativen an den Hochschulen gibt, werden sie genutzt. Neben der Suche nach Alternativplattformen ist es denkbar, dass DSGVO-konforme Anbieter einige Features von Clubhouse übernehmen können. Wenn wir uns jedoch an Beispielen wie Facebook orientieren, können wir davon ausgehen, dass mittelfristig kaum ein Weg daran vorbeiführt.
2. Clubhouse als Zeitfresser
Der Content wird von vielen Seiten gelobt, aber schnell stellt sich die Frage: Wer hat überhaupt Zeit für all diese Beiträge? Der Löwenanteil der Sendungen findet logischerweise in der Mittagspause oder zum Feierabend statt. Für den Anfang sind viele Nutzer*innen experimentierfreudig und wollen möglichst viel mitbekommen. Ob das Interesse in der Post-Corona-Welt nachlässt, wird sich erst herausstellen, wenn persönliche Begegnungen ohne Bedenken wieder möglich sind.
Professor*innen als Influencer*innen: Im Mittelpunkt stehen faszinierende Redner*innen, die keine Scheu davor haben, thematisch in die Tiefe zu gehen und vor einem großen Publikum zu sprechen. Gute Voraussetzungen also für Wissenschaftler*innen. In der Tat sind viele prominente Stimmen älter als die typischen Nutzer*innen auf den üblichen Netzwerken.
Da Clubhouse ein rein auditives Medium ist, wird es voraussichtlich Zoom & Co für Vorlesungen nicht ersetzen, da man kein visuelles Material präsentieren kann. Denkbar wäre jedoch der Einsatz z.B. als Tool zur Ergänzung von Vorlesungen oder für öffentliche Veranstaltungen wie Ringvorlesungen, sobald datenschutzrechtliche Bedenken ausgeräumt sind. Die Verlängerung von Fachdiskussionen in die Community in der Form von öffentlichen Debatten ist ebenfalls denkbar.
Unser Fazit: Ein Siegeszug des gesprochenen Worts
Erste Erfahrungsberichte zeigen, dass die App ein paar Lücken in unseren von Corona betrübten Seelen füllt, wie die Sehnsucht nach tiefgreifenden Diskussionen, Interaktionen und – das Wichtigste – die menschliche Stimme. Fakt ist: Corona macht einsam. Clubhouse lindert das für Einige. Wer gern diskutiert und an spannenden Diskussionen teilnimmt und bereit ist, dafür sein Adressbuch zu teilen, wird hier fündig.
Unsere Empfehlung lautet: Abwarten und von Clubhouse lernen! Hochschulen hierzulande können schauen, was die App so spannend macht und diese Features möglichst in Lern- und Diskussionsformate integrieren, um Diskussionen menschlicher zu gestalten. Statt schwarze Kacheln anzustarren, können wir uns mit bekannten, sogar vertrauten, Stimmen unterhalten – und vielleicht dabei ein Stück Lebensqualität zurückgewinnen.