Austausch von Praxiserfahrungen mit digitaler Lehre als Voraussetzung für Nachhaltigkeit. Die Digital Learning Map.

Austausch von Praxiserfahrungen mit digitaler Lehre als Voraussetzung für Nachhaltigkeit. Die Digital Learning Map.

31.07.19

The digital learning map

„Ziel ist es, den Austausch von Praxiswissen über Hochschulgrenzen hinweg zu fördern.“ Dies sei ein Erfolgsfaktor für Nachhaltigkeit. Johannes Moskaliuk, Bianca Diller und Elke Kümmel vom Leibniz-Institut für Wissensmedien in Thübingen im Gastbeitrag.

Dieser Artikel wurde bereits veröffentlicht in: Synergie. Fachmagazin für Digitalisierung in der Lehre #07, (S. 50 – 53). Wir bedanken uns herzlich bei Synergie, dem Fachmagazin für Digitalisierung der Universität Hamburg, für die Bereitstellung dieses Artikels und für die Genehmigung einer Wiederveröffentlichung.

Zukunfts nachhaltig

Wie wird digitale Lehre nachhaltig? Um diese Frage zu beantworten, muss geklärt werden, was mit dem Begriff Nachhaltigkeit im Kontext von Bildung gemeint ist. Unterscheiden lässt sich Bildung für Nachhaltigkeit und Nachhaltigkeit für Bildung (Stepanyan, Littlejohn & Margaryan 2013). Die erste Perspektive fokussiert auf die Nachhaltigkeit von Bildung im Sinne von erfolgreicher Lehre und deren Implementation, während die zweite Perspektive mehr auf wirtschaftliche, umweltpolitische und soziale Aspekte fokussiert. Nachhaltigkeit bedeutet im Bildungskontext, aktuelle Bedürfnisse aktiv aufzunehmen und sich stetig an verändernde Anforderungen anzupassen (Stepanyan et al. 2013).

Nachhaltige digitale Lehre bezieht alle Funktionsbereiche einer Hochschule mit ein. Damit digitale Medien und entsprechende Lehr-/Lernkonzepte dauerhaft Teil der Hochschullehre werden, müssen die organisationalen Rahmenbedingungen stimmen (Anderson 2008). Neben der technischen Ausstattung und entsprechenden Schulungs- und Supportangeboten für Lehrende gehört dazu auch die Frage, wie die Incentivierung der Lehrenden aussieht, zum Beispiel über die Anrechnung digitaler Lehre auf das Lehrdeputat oder ob das Engagement der Lehrenden von der Hochschulleitung wahrgenommen und wertgeschätzt wird.

Top-down-Ansatz für Nachhaltigkeit

Eine wichtige Strategie für nachhaltige, digitale Lehre ist deshalb ein Top-down-Ansatz: Die Hochschulleitung legt den Einsatz digitaler Medien in der Lehre als strategisches Ziel fest und formuliert Leitbilder oder Mission Statements. Hier geht es auch um Kosten und Nutzen sowie die Frage, wie vorhandene Ressourcen zielführend und effizient eingesetzt werden können, um die Qualität von Bildung nachhaltig zu steigern (Stepanyan et al. 2013).

The digital learning map

Die organisationalen Vorgaben sind ein Kriterium für nachhaltige Veränderung. Dieser Change-Prozess kann allerdings nur nachhaltig sein, wenn digitale Lehre gelebt wird und digitale Medien zum selbstverständlichen Teil der Lehre einer Hochschule werden (McPherson & Nunes 2006). Dazu müssen die Leitbilder einer Hochschule zu geteilten Leitbildern (Tham 2005) werden. Die Kultur einer Hochschule muss sich von der Verwaltung bis hin zu den einzelnen Lehrenden verändern und „digitalisieren“.

Bottom-up-Ansatz für Nachhaltigkeit

Top-down genügt also nicht. Ebenso wichtig ist ein Bottom-up-Ansatz, der innovative und disruptive Konzepte fördert und unterstützt. Wie können einzelne Lehrende unabhängig von organisationalen Vorgaben oder in manchen Fällen sogar trotz ungünstiger organisationaler Rahmenbedingungen ermutigt werden, digitale Medien einzusetzen und Konzepte weiterzuentwickeln?

Viele Lehrende haben in ihrem eigenen Studium digitale Medien nicht oder nur begrenzt als erfolgreiche Werkzeuge für Lernen und Lehren kennengelernt. Außerdem nehmen Lehrende den Einsatz digitaler Medien oft als Zusatzaufwand wahr, der didaktische Mehrwert und das Potenzial, die eigene Lehre zu verbessern, ist nicht klar (Seaman 2009). Dazu kommt, dass sich Hochschullehrende in erster Linie als Fachexpertinnen und -experten verstehen, die wenig Zeit und Aufwand in die (medien-)didaktische Konzeption der eigenen Lehre stecken möchten (Mayrberger 2008).

Gleichzeitig liegen zu den Fragen, welche Rolle digitale Medien für individuelles und kooperatives Lernen spielen und welche Wirkungen zu erwarten sind, mittlerweile zahlreiche empirische Forschungsergebnisse vor (vergleiche Schneider & Preckel 2017). Lernergebnisse werden in den vorliegenden Studien mit vielen heterogenen Variablen evaluiert (Kümmel, Irle, Moskaliuk, Kimmerle & Cress 2018). Dabei rückt der einzelne Nutzer beziehungsweise die einzelne Nutzerin zunehmend in den Fokus, zum Beispiel wenn Maße wie Lerneffektivität, Zufriedenheit der Studierenden und Lehrenden, Usability neuer Technologie oder Wahrnehmung von Qualität verwendet werden (Hassanzadeh, Kanaani & Elahi 2012).

Ein Bottom-up-Ansatz macht Praxiserfahrungen einzelner Lehrenden sichtbar und zeigt, wie digitale Lehre funktionieren kann. Ziel ist es, den Austausch von Praxiswissen über Hochschulgrenzen hinweg zu fördern.

 

Austausch von Praxiswissen als Erfolgsfaktor für Nachhaltigkeit

Hier setzt die Digital Learning Map an. Die durch das BMBF geförderte digitale Datenbank bietet einen strukturierten Überblick über Praxisbeispiele, die zeigen wie digitale Medien in der Hochschule didaktisch sinnvoll eingesetzt werden können. Das ermöglicht eine Vergleichbarkeit verschiedener Lösungen, eine Übertragbarkeit auf eigene Herausforderungen und fördert eine hochschul- und fachübergreifende Anwendung von Werkzeugen und Methoden. Lehrende können Praxisbeispiele vorstellen und so die Sichtbarkeit der eigenen Person und der eigenen Projekte erhöhen. Zudem wird so der Erfahrungsaustausch angeregt.

 

Einsatz von Design Pattern in der Digital Learning Map

Der interpersonale Transfer von Praxiswissen und Erfahrungen ist für individuelles und auch organisationales Lernen notwendig. Aber wie kann Praxiswissen an andere weitergeben werden, obwohl es stark an die konkrete Situation gebunden ist? Lässt sich ein Lehr-/Lernkonzept, das in der Chemie eingesetzt wird, auch auf eine Einführungsveranstaltung in Germanistik übertragen?

Um Erfahrungen anderer tatsächlich auf die eigene Problemstellung anwenden zu können, sind Design Pattern mit vorgegebener Struktur ein hilfreiches Werkzeug. Die Idee stammt aus der Architektur und zielt darauf ab, erfolgreiche Lösungen so zu beschreiben, dass auch Laien, zum Beispiel die Bewohnerinnen und Bewohner eines Hauses, sie verstehen und anwenden können. Dazu muss das Problem oder die Herausforderung zunächst abstrahiert beschrieben werden, um die konkrete, situationsgebundene Beschreibung der Lösung vom Einzelfall zu trennen. Damit wird versucht, die zugrundeliegende Struktur des Problems und der erfolgreichen Lösungsstrategie offenzulegen.

Handlungswissen – beispielsweise zur wirkungsvollen Nutzung von digitalen Medien in der Lehre – ist in der Regel implizites Wissen (vergleiche Nonaka & Takeuchi 1995). Deshalb lässt sich dieses Wissen nicht ohne Weiteres externalisieren. Dazu muss sich der Träger dieses Wissens zunächst über das eigene Wissen klar werden, um es für andere verfügbar zu machen. Auch im pädagogischen Bereich haben sich Pattern zum Austausch von Handlungswissen etabliert (vergleiche Wodzicki, Moskaliuk & Cress 2011). Pattern können dabei unterstützen, Handlungswissen aufzuschreiben. In einem Pattern wird deshalb der Kontext, in dem ein bestimmtes Problem häufig auftritt oder eine Lösung mit hoher Wahrscheinlichkeit vielversprechend ist, beschrieben. Damit werden implizite eigene Erfahrungen expliziert und damit zugänglich für andere (Moskaliuk, Bokhorst & Cress 2016).

 

Struktur und Konzept der Digital Learning Map

Die Digital Learning Map nutzt Pattern, um Praxisbeispiele zum Einsatz digitaler Medien in der Lehre zu sammeln und verfügbar zu machen. Lehrende können Lehr-/Lernszenarien in einer vorgegebenen Struktur beschreiben und so ihre eigenen Erfahrungen mit anderen teilen.

Bei jedem Praxisbeispiel wird beschrieben, welche klassischen Problemstellungen (zum Beispiel geringe Lernmotivation der Studierenden oder hohe Komplexität der Lerninhalte) mit dem Lehr-/Lernszenario adressiert werden und wie die konkrete Lösung aussieht. Dann wird das Lehr-/Lern-Szenario genauer beschrieben. Hier wird über den Virtualisierungsgrad angegeben, in welchem Ausmaß die Lehre digitalisiert ist. Das kann von einer Ergänzung der Präsenzlehre bis hin zu reinen Onlineveranstaltungen reichen. Außerdem werden die lernbezogenen Eigenschaften der verwendeten digitalen Medien definiert, indem beispielsweise das Ausmaß an Interaktivität angegeben wird. Zusätzlich finden sich in jeder Beschreibung Rahmendaten zu Projekttitel, konkreter Umsetzung, Schlüsselbegriffen und Fächergruppen, sowie zusätzliche Hinweise zum Beispiel auf Lernmaterial, die genutzten Tools und die Kontaktpersonen.

 

Austausch fördern und Weiterentwicklung von Handlungswissen anregen

Diese Struktur soll den Nutzerinnen und Nutzern der Digital Learning Map erleichtern, die Erfahrungen anderer auf den eigenen Kontext zu übertragen und Handlungswissen auf Basis der Erfahrungen anderer weiterzuentwickeln (vergleiche Moskaliuk, Bokhorst & Cress 2016). Durch die gemeinsame Sprache und Struktur werden unterschiedliche Lösungen für ähnliche Probleme oder ähnliche Lösungen für unterschiedliche Probleme deutlich. Die abstraktere Beschreibung des Szenarios trägt dazu bei, Erfahrungen unabhängig von konkreten Werkzeugen, Fächern oder Inhalten nachvollziehen zu können und daraus zu lernen. Das regt dazu an, Lösungen zu nutzen und weiterzuentwickeln und ermöglicht darüber hinaus den Austausch von Erfahrungen über unterschiedliche Kontexte hinweg (zum Beispiel Hochschule, Fächer, Themen). Die Problemstellungen, Medieneigenschaften und der Virtualisierungsgrad des Lehr-/Lernszenarios werden deshalb auch für die Suche und die Filterfunktionen innerhalb der Datenbank genutzt. Über die Kontaktdaten der Person, die das Praxisbeispiel eingetragen hat, die Kommentarfunktion sowie die Community auf e-teaching.org ist ein direkter Austausch möglich. Abbildung 1 zeigt die Startseite der Digital Learning Map.

 

 

Tragen Sie Ihre Projekte in die Digital Learning Map ein!

Die Datenbank soll sich ständig weiterentwickeln: Hochschullehrende können eigene Praxisbeispiele zur digitalen Lehre in die Datenbank eintragen. Möchten Sie ein eigenes Praxisbeispiel in die Datenbank eintragen? Laden Sie hierfür unter folgender Adresse das Eingabeformular herunter: e-teaching.org/learnmap_faq. Das ausgefüllte PDF senden Sie bitte an Bianca Diller: b.diller@iwm-tuebingen.de. Wir prüfen es anschließend und pflegen es auf der Website ein.

 

Literatur

Anderson, T. (2008). The Theory and Practice of Online Learning. Edmonton: Athabasca University Press.

Hassanzadeh, A., Kanaani, F. & Elahi, S. (2012). A model for measuring e-learning systems success in universities. Expert Systems with Applications, 39 (12), S. 10 959 – 10 966. DOI 10.1016/j.eswa.2012.03.028.

Wodzicki, K., Moskaliuk, J. & Cress, U. (2010). Patterns of Social Practice: A Psychological Perspective. In Kohls, C. & Wedekind, J. (Hrsg.), Investigations of E-Learning Patterns: Context Factors, Problems and Solutions (S. 257 – 271). Hershey: IGI Global.

Kümmel, E., Irle, G., Moskaliuk, J., Kimmerle, J. & Cress, U. (2018). How learning outcomes are measured in digital learning environments in higher education. In Kay, J. & Luckin, R. (Hrsg.), Rethinking Learning in the Digital Age: Making the Learning Sciences Count, 13th International Conference of the Learning Sciences (ICLS) 2018, 3 (S. 1551 – 1552). London, UK: International Society of the Learning Sciences.

Mayrberger, K. (2008). Fachkulturen als Herausforderung für E-Learning 2.0. In Zauchner, S., Baumgartner, P., Blaschitz, E. & Weissenbäck, A. (Hrsg.), Offener Bildungsraum Hochschule. Freiheiten und Notwendigkeiten (S. 157 – 168). Berlin: Waxmann.

McPherson, M. & Nunes, M. B. (2006). Organisational issues for e-learning: Critical success factors as identified by HE practitioners. International Journal of Educational Management, 20, S. 542 – 558. DOI 10.1108/09513540610704645.

Moloney, J. F. & Oakley, B. (2010). Scaling online education: Increasing access to higher education. Journal of Asynchronous Learning Networks, 14, S. 55 – 70.

Moskaliuk, J., Bokhorst, F. & Cress, U. (2016). Learning from others’ experiences: How patterns foster interpersonal transfer of knowledge-in-use. Computers in Human Behavior, 55, S. 69 – 75. DOI 10.1016/j.chb.2015.08.051.

Nonaka, I. & Takeuchi, H. (1995). The knowledge-creating company: How Japanese companies create the dynamics of innovation. New York: Oxford University Press.

Rennie, F. & Morrison, T. (2013). E-Learning and Social Networking Handbook. New York: Routledge.

Schneider, M. & Preckel, F. (2017). Variables associated with achievement in higher education: A systematic review of meta-analyses. Psychological Bulletin, 143, S. 565 – 600. DOI 10.1037/bul0000098.

Seaman, J. (2009). Online Learning as a Strategic Asset, Vol. 2: The Paradox of Faculty Voices. Washington DC: Association of Public and Land-Grant Universities. Verfügbar unter: https://uhh.de/b5gw6 [03.04.2019].

Stepanyan, K., Littlejohn, A. & Margaryan, A. (2013). Sustainable e-Learning: Toward a Coherent Body of Knowledge. Journal of Educational Technology & Society, 16, S. 91 – 102.

 

DOI

10.25592/issn2509-3096.007.010

Meinungen zum Thema im Synergie-Blog

https://uhh.de/67oa8

Beitrag als Podcast

https://uhh.de/7mjyq

CC BY 4.0

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