Agile Prinzipien – Was kann die Studiengangsentwicklung davon lernen?

Agile Prinzipien – Was kann die Studiengangsentwicklung davon lernen?

21.07.17

Was können Hochschulen beim Prozess der Studiengangsentwicklung von den Prinzipien der Agilität lernen? Tobias Seidl und Cornelia Vonhof von der Hochschule der Medien Stuttgart sind der Frage nachgegangen und stellen ihre Erweiterung der Agilen Prinzipien vor und deren Einfluss auf die Phasen der Studiengangsentwicklung. Der Beitrag wurde zuerst in der in der Ausgabe Nr. 3 von „Synergie – Fachmagazin für Digitalisierung in der Lehre“ veröffentlicht. Er steht unter der Lizenz CC BY 4.0

Studiengangsentwicklung ist ein komplexer Prozess, in dem das Curriculum eines Studiengangs konzipiert oder weiterentwickelt wird: Dazu gehören etwa die Festlegung der Kompetenz- und Lernziele, der zum Einsatz kommenden Lehr- und Lernformen sowie des Vorgehens bei der Evaluation des Lernerfolgs. Im Hinblick auf eine sich dynamisch verändernde Umwelt (Berufswelt, Gesellschaft, Kompetenzen und Prägungen der Studienanfängerinnen und -anfänger) stellt sich die Frage, wie dynamisch oder „agil“ der Prozess der Studiengangsentwicklung sein muss oder sein sollte.

Agilität ist die Fähigkeit einer Organisation in Zeiten des Wandels, flexibel, aktiv und anpassungsfähig auf Veränderung zu reagieren. Eine der Grundlagen des Diskurses über Agilität ist das „Agile Manifest“ bzw. die „Agilen Prinzipien“, die im Kontext von Softwareentwicklung entstanden sind. Im Beitrag wird erkundet, wie die Agilen Prinzipien als Impulse für die Studiengangsentwicklung dienen können. Er soll die verschiedenen an Studiengangsentwicklungsprozessen beteiligten Stakeholder zur Reflexion des eigenen Handelns anregen und eine neue Perspektive auf diesen Prozess eröffnen.

„Agil“ ist ein Trendbegriff, der seit der Jahrtausendwende an Bedeutung gewinnt. 2001 veröffentlichte eine Gruppe aus 17 renommierten Softwareentwicklern ihr „Manifesto for Agile Software Development“. Darin wurden ihre innovativen Ideen zur Umgestaltung des Softwareentwicklungsprozesses gebündelt. Vier Leitsätze bilden den Kern des Agilen Manifests:

  1. Individuen und Interaktionen sind wichtiger als Prozesse und Werkzeuge
  2. Funktionierende Software ist wichtiger als umfassende Dokumentation
  3. Zusammenarbeit mit dem Auftraggeber ist wichtiger als Vertragsverhandlung
  4. Reagieren auf Veränderung ist wichtiger als das Befolgen eines Plans

Für den Kontext der Studiengangsentwicklung müssen jedoch Fokus und Wording der Prinzipien erweitert und angepasst werden. Die Autoren des Aufsatzes schlagen eine Formulierung vor, die für den Public Sector entwickelt wurden (Forum Agile Verwaltung, 2016):

  • Nimm das Ganze in den Blick,
  • bilde cross-funktionale Teams,
  • experimentiere mit überschaubaren Änderungen und Teilergebnissen,
  • beziehe die Anspruchsberechtigten ein,
  • verschaffe dir regelmäßiges Feedback von innen und außen,
  • mache so dein System immer angemessener.

Unterschiedliche Herangehensweise an Studiengangsentwicklung

Die (Weiter-)Entwicklung von Studiengängen ist einer der (didaktischen) Kernprozesse der Hochschulen. Einen umfassenden Überblick über Ansätze der Studiengangsentwicklung bieten Salden et al. (2016). Grundsätzlich können zwei verschiedene Varianten der Studiengangsentwicklung unterschieden werden: Auf der einen Seite „bedarfs- bzw. standardorientierte“ Ansätze, die sich in erster Linie an beruflichen Kontexten und späteren Einsatzfeldern der Studierenden orientieren, auf der anderen Seite „perspektiven- bzw. verlaufsorientierte“ Ansätze, die die Kompetenzanforderungen im Studium in den Vordergrund stellen (vgl. Schaper 2012, S. 54). Das Vorgehen bei der Entwicklung von kompetenzorientierten Studiengängen erfolgt in mehreren aufeinander aufbauenden Schritten (vgl. Abbildung 1).

Agilität ist jedoch mehr als ein Trendbegriff oder ein spezifisches methodisches Vorgehen und kann deshalb interessante Impulse für die Studiengangsentwicklung bieten. Agilität ist eine Haltung und eine Überzeugung: die Überzeugung, ein Produkt „Studiengang“ entwickeln zu wollen, das die Stakeholder längerfristig zufriedenstellt. Eines der wichtigsten Elemente agiler Methoden ist deshalb, immer wieder sich selbst und die Stakeholder zu befragen, ob man noch auf dem richtigen Weg ist und was besser gemacht werden könnte. Dabei wird der Stakeholderbegriff bewusst breit gefasst: Neben Lehrenden und Studierenden sind auch die Hochschuladministration sowie Gesellschaft und Arbeitsmarkt Stakeholder des Studiengangsentwicklungsprozesses. Die Prämisse, von der Agilität – verstanden als Haltung und Überzeugung – ausgeht ist, dass die Qualität eines Ergebnisses (in unserem Fall des Produkts Studiengang) von der Qualität des Prozesses (in unserem Fall des Prozesses der Studiengangsentwicklung) abhängt. Agile Prinzipien sollten daher die Prozessphasen der Studiengangsentwicklung durchgehend prägen.

Phasen der Studiengangsentwicklung

Deshalb werden im Folgenden passend zu den verschiedenen Phasen der Studiengangsentwicklung auch keine festen Methoden empfohlen, sondern Fragen formuliert, die diese Prinzipien spiegeln und damit zur Reflexion der eigenen Praxis anregen sollen:

Umfeldanalyse:

Wie gelangen wir zu einer multiperspektivischen Einschätzung? Welche Gremien/Organisationsformen können wir nutzen? Welche Stakeholder wurden bislang vernachlässigt? Wer muss/sollte/kann im Entwicklungsteam beteiligt sein? Was können wir aus zurückliegenden Umfeldanalysen positiv wie negativ lernen?

Zieldefinition:

Wie schaffen wir es, eine holistische Perspektive einzunehmen und alle Kompetenzbereiche im Blick zu behalten? Welche Arbeitsformen bieten sich an, um alle relevanten Stakeholder (Studierende, Wirtschaft, Lehrende, Alumni) einzubinden? Was war bei zurückliegenden Verfahren besonders gelungen oder wurde versäumt und sollte neu bedacht werden? Was können wir daraus lernen? Wer (intern/extern) kann uns qualifiziertes Feedback zum Prozess und seinen Ergebnissen geben?

Curriculumsgestaltung:

Wie können wir den Wandel so organisieren, dass wir uns damit nicht überfordern? Wie/wo können wir vorbereitend, frühzeitig und exemplarisch mit neuen Ideen und Konzepten innerhalb bestehender SPOs experimentieren und uns schnell Feedback einholen, aus dem die Weiterarbeit am Curriculum gespeist wird? Was können wir von anderen Studiengängen oder Hochschulen lernen (good practice)? Welche Erkenntnisse aus der hochschuldidaktischen Forschung bringen uns weiter? Wie können die verschiedene Anspruchsgruppen in die Planung integriert werden? Zu welchen Zeitpunkten und durch welche Formate ist das sinnvoll?

Evaluation und Weiterentwicklung:

In welchen Zyklen und auf welchen Ebenen (Modul, Studienphase etc.) sollte Studiengangsweiterentwicklung stattfinden? Wie können wir sicherstellen, dass wir neue Umfeldentwicklungen wahrnehmen? Wie und von wem werden diese Veränderungen festgestellt? Wie schnell muss/sollte auf solche Veränderungen reagiert werden? Welche Stakeholder müssen/können Weiterentwicklungsprozesse initiieren? Wie bekommen wir regelmäßiges strukturiertes Feedback zum Produkt und zum Studiengangsentwicklungsprozess?

Agile Prinzipien eignen sich, um in allen Phasen eines Studiengangsentwicklungsprozesses als Treiber und als Gestaltungsprinzipen zu wirken. Auch wenn je nach Phase mehr oder weniger Prinzipien gleichzeitig wirksam werden: vorhanden, nachweisbar, notwendig und wünschenswert sind sie immer. Dies bedeutet, dass eine agile Grundhaltung und der Rückbezug auf die Agilen Prinzipien als Leitplanke für die Entwicklung eines Curriculums hilfreich sind. Die Prinzipien können zugleich als eine Art Checkliste fungieren, um die konkrete Vorgehensweise in jedem Schritt zu designen und zu überprüfen. Auch wenn das klassische Vorgehen bei der (Weiter-)Entwicklung eines Studiengangs die Phase der Evaluation an Schluss stellt – aus agiler Sicht ist das zu wenig oder zu kurz gesprungen: „Verschaffe Dir regelmäßig Feedback!“ Nur daraus entsteht eine qualitätsorientierte und zielgerichtete Entwicklung.

Diese Perspektive sollte auch in die Debatte um die Digitalisierung von Hochschulen eingebracht werden. Dabei stellt sich die Frage, wie der für Feedback notwendige Stakeholder Dialog durch digitale Instrumente gefördert und optimal unterstützt werden kann. Im Lehr- und Forschungsbereich existieren bereits inspirierende Einsatzszenarien der Koproduktion von Wissen. Dabei werden unterschiedlichste Tools wie etwa Blogs, Wikis und Etherpads oder Plattformen und Werkzeuge für Learning Communitys wie StackExchange und Discourse eingesetzt (Dürkop/Ladwig 2016). Solche Ansätze zielgerichtet auf den Prozess der Studiengangsentwicklung zu übertragen könnte ein agiles Vorgehen unterstützen und neue Potenziale für die Hochschule erschließen.

Literatur

Forum Agile Verwaltung (2016): Agile Arbeitsmethoden: welcher Nutzen für die öffentliche Verwaltung? Verfügbar unter https://agile-verwaltung.org/was-bedeutet-agile-verwaltung/was-heisst-agile-verwaltung/ [24.1.17]

Beck, K./Beedle, M./van Bennekum, A./Cockburn, A./Cunningham, W./Fowler, M./Grenning, J./Highsmith, J./Hunt, A./Jeffries, R./Kern, J./Marick, B./ Martin, R./Mellor, S./Schwaber, K./Sutherland, J./Thomas, D. (2001): Manifest für Agile Softwareentwicklung. Verfügbar unter http://agilemanifesto.org/iso/de/manifesto.html [24.1.17]

Dürkop, A./Ladwig, T. (2016): Neues Arbeitspapier: „Neue Formen der Koproduktion von Wissen durch Lehrende und Lernende“. Verfügbar unter https://hochschulforumdigitalisierung.de/de/blog/neue-formen-koproduktion-wissen [24.4.17]

Salden, P./Fischer, K./Barnat, M. (2016): Didaktische Studiengangentwicklung. Rahmenkonzepte und Praxisbeispiel. In: Brahm, T./Jenert, T./Euler, D. (Hrsg.): Pädagogische Hochschulentwicklung. Von der Programmatik zur Implementierung. S. 133–149. Wiesbaden: Springer.

Schaper, N. (2012): Fachgutachten zur Kompetenzorientierung in Studium und Lehre. Verfügbar unter https://www.hrk-nexus.de/fileadmin/redaktion/hrk-nexus/07-Downloads/07-02-Publikationen/fachgutachten_kompetenzorientierung.pdf [24.1.17]

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