Was bringt die Zukunft? Future Skills im Maschinenbau
Was bringt die Zukunft? Future Skills im Maschinenbau
28.06.23Die Peer-to-Peer-Fachbereichsberatung fokussiert sich im Durchgang 2022/2023 auf den Maschinenbau. Das HFD begleitet hierbei die Fachbereiche Maschinenbau der TU Berlin und der Uni Bremen ein Jahr lang bei der intensiven Auseinandersetzung mit der strategischen, methodischen und inhaltlichen Weiterentwicklung von Studium und Lehre im Kontext der Digitalisierung. Neben der Strategieberatung steht auch der Austausch in die Industrie im Vordergrund. Johanna Leifeld und Jens Tobor stellen den Prozess vor und erklären, wie der Kompetenzwandel in der Großindustrie die Lehre beeinflusst. Ein Beitrag anknüpfend an den Workshop „Digitale Methoden im Maschinenbau“ im Oktober 2022.
Neben der Beratung und der intensiven Arbeit mit den beiden Fachbereichen ist das HFD daran interessiert, den Diskurs im Fach auch auf breiterer Ebene zu ermöglichen und bietet deshalb unterschiedliche Workshops an, die allen Interessierten offenstehen. Nachdem bereits im Oktober 2022 zu einem Workshop rund um das Thema “digitale Methoden im Maschinenbau” geladen wurde, beschäftigte sich ein zweiter Workshop mit Future Skills im Maschinenbau. Durch die Einbindung zweier ganz unterschiedlicher Referent:innen wurde das Thema von zwei Seiten beleuchtet, was zu anregenden Diskussionen unter den knapp 40 Teilnehmenden führte.
In einer durch den Verband Deutscher Maschinen- und Anlagenbau beauftragten Studie im Jahr 2022 (1) gaben 78 % der Befragten aus Unternehmen im Maschinen- und Anlagenbau an, dass sie sich in den nächsten 5–10 Jahren mit einem Skill-Gap konfrontiert sehen. Die aktuell vorhandenen Kompetenzen der Arbeitnehmer:innen decken die Kompetenzanforderungen für den Unternehmenserfolg nicht oder nur teilweise ab. Um einen genaueren Einblick zu den erfolgskritischen Kompetenzen im großindustriellen Maschinen- und Anlagenbau zu erhalten, berichtete Katharina Plümpe, Leiterin des Bereichs “advanced analytics in industrial engineering” bei Continental Reifen über die zukünftigen Bedarfe der Großindustrie.
Kompetenzwandel am Beispiel der Großindustrie
Katharina Plümpe erläuterte in ihrem Vortrag, dass sich die Kompetenzbedarfe bereits in den vergangenen Jahren stark verändert hätten. Dazu verglich sie zwei Tagesarbeitspläne miteinander, die typisch für ihre Arbeit als Industrial Engineer sind, wobei der erste Arbeitsplan aus dem Jahr 2015 stammt, als sie frisch von der Universität ihre Laufbahn bei Continental Reifen begann. Der zweite Plan entspricht einem gegenwärtigen Arbeitstag. Mit ihrem Berufseinstieg bei Continental erlebte Katharina Plümpe eine noch sehr maschinenführergebundene Arbeitsweise. Die manuelle Auswertung der Maschinen, viel Excel-Nutzung, Papierformulare, Checklisten und die gute alte Stoppuhr waren an der Tagesordnung. Im Abgleich zum Tagesarbeitsplan im Jahr 2022 zeigt sich, dass Daten heute automatisch erhoben und ausgewertet werden. Stoppuhr und Co gehören damit der Vergangenheit an.
Obwohl das Ziel des Industrial Engineers heute wie damals die Optimierung der Maschinen ist und sich auch die Aufgaben im Kern kaum geändert haben, sind die Tools und Herangehensweisen zum digitalen Umgang mit den Daten nun grundlegend andere. So wird beispielsweise Expertise in der Anwendung von Python, Power BI, SQL und verschiedenen Prozessdatensystemen erforderlich. Im Zuge dieser Veränderung im Gebrauch der Tools war und ist es für Frau Plümpe wichtig, sich stetig weiterzubilden und neue Kompetenzen zu entwickeln. Dieses Beispiel veranschaulicht, wie auffällig sich die Kompetenzanforderungen an Maschinenbauer:innen – wenn auch nicht in allen Betrieben in gleicher Intensität – bereits in den letzten acht Jahren gewandelt haben.
Was sieht Frau Plümpe also als Future Skills im Bereich Manufacturing, aber auch in Forschung und Entwicklung an? Im folgenden Video können Sie sich den Vortrag von Frau Plümpe noch einmal anhören.
Mit Future Skills fit für die Zukunft
Ein kurzer Überblick über Kompetenzen, die im Workshop als zukunftsrelevant hervorgehoben wurden:
Lebenslanges Lernen & Anpassungsfähigkeit
Einer der besonders relevanten Punkte aus dem Vortrag ist sicherlich vielen bewusst, verdient es aber, trotzdem noch einmal genannt zu werden: Absolvent:innen eines Maschinenbau-Studiums müssen mit dem Verständnis in die Arbeitswelt treten, dass eine Universitätsbildung ein wichtiger und solider Grundstein ist, jedoch nicht das Ende des “lernenden Wegs” sein kann. Von Maschinenbauer:innen wird heutzutage erwartet, ständig dazuzulernen und sich dem wandelnden Berufsfeld anzupassen. Die Berufswelt einer Maschinenbauerin ändert sich, wie Frau Plümpe an ihrem eigenen Beispiel deutlich machte, rasant, und eine der wohl wichtigsten Fähigkeiten, die erlernt werden muss, ist es, sich an ein sich stets veränderndes Umfeld anzupassen. Studierende dabei zu unterstützen, die richtige Haltung zu lebenslangem Lernen zu entwickeln, sollte Teil der Hochschulbildung sein. Von den eigenen Lehrenden diese Haltung vorgelebt zu bekommen, kann hierbei einen großen Einfluss haben. Außerdem wurden Selbstständiges Arbeiten und Lernen als äußerst relevant bezeichnet und sind für eine richtige Haltung zum lebenslangen Lernen unabdingbar. Während selbstständige Organisation im Studium stark gefördert würde, führen große Kohorten und viel Frontalunterricht oftmals nicht dazu, dass Studierende lernen, sich selbst Wissen und Fähigkeiten anzueignen.
Daten & IT
Zu Beginn des Vortrags erwähnte Frau Plümpe die Stoppuhr aus 2015, um Daten an Maschinen zu erheben. Diese Daten sind heute noch genauso wichtig wie vor ein paar Jahren, werden nun allerdings meist von den Maschinen selbst erhoben und oftmals sogar ausgewertet. Maschinenbauer:innen müssen jedoch verstehen, welche Daten Ihnen aus dem Produktionsumfeld zur Verfügung stehen, wie man mit diesen Daten umgeht und sie mit dem eigenen Wissen verknüpft, um so den Produktionsprozess zu optimieren. Auch müssen Daten visualisiert werden, um sie verständlich kommunizieren zu können. Neben einem Verständnis von Daten müssen Maschinenbauer:innen auch zu einem gewissen Maße programmieren können und sicherstellen, den Cyber Security Richtlinien ihrer Unternehmen zu entsprechen.
Kommunikation & Teamfähigkeit
Teams, in denen Maschinenbauer:innen heutzutage arbeiten, sind interdisziplinär, interkulturell und digital: Kolleg:innen eines Teams haben nicht nur unterschiedliche Backgrounds, was die eigenen Aufgaben im Team und die damit verbundene Ausbildung angeht, sondern sind eventuell auch auf der ganzen Welt verteilt, arbeiten dementsprechend nicht am gleichen Ort, sprechen unterschiedliche Sprachen und haben unterschiedliche kulturelle Backgrounds. Wichtige Fähigkeiten sind in diesem Rahmen daher die interkulturelle sowie interdisziplinäre Kommunikation. Maschinenbauer:innen benötigen ein gewisses Verständnis dafür, dass die eigene Kommunikation vom eigenen kulturellen Hintergrund geprägt ist, was sich auf ethnische Kulturalität, wie aber auch auf Firmen- oder Fachkultur beziehen kann. Ein wichtiger Bestandteil einer funktionierenden interkulturellen Kommunikation ist es daher, sich möglicher Unterschiede bewusst zu werden und diese zu berücksichtigen.
Eine Auseinandersetzung mit Future Skills erfordert eine kritische Auseinandersetzung mit dem Curriculum an sich.
Als zweiter Referent des Tages berichtete uns Studiengangsleiter Prof. Dr.-Ing. Marco Linß von der Hochschule Hof über die Herangehensweise bei der Neukonzeptionierung des interdisziplinären Bachelorstudiengang Ingenieurwissenschaften (B.Eng.). Neben dem Ziel einen Bachelor zu konzipieren, der gut auf die Bedarfe und Wünsche der Generation Z eingeht, wurde auch ein intensiver Austausch mit der Industrie initiiert. Was erwartet diese von künftigen Maschinenbauabsolvent:innen? Für die hierbei neu identifizierten Kompetenzerwartungen stellt sich die Frage, wie diese curricular verankert werden können und welche womöglich nicht mehr zeitgemäßen Studieninhalte dafür weichen müssen. Dass diese Aufgabe durchaus herausfordernd war, verdeutlicht sich am Spannungsfeld zwischen den nicht immer gleich in Einklang zu bringenden Erwartungen von potenziellen Studienbeginner:innen, dem Selbstverständnis der Fachkultur ‘Maschinenbau’ und den bereits erwähnten Anforderungen der Arbeitgeber:innenseite und ihren Branchenverbänden.
Die entscheidende Initialzündung zur radikalen Neukonzeption des Studiengangs stellten aber die stark sinkenden Studierendenzahlen (2) im Maschinenbau dar. Linß Beobachtung, dass sich das Studium seit 40 Jahren nicht groß verändert habe, die Ansprüche der jüngeren Generation umso mehr, machte er zum Ausgangspunkt. So wurden Anpassungen in der Modulstruktur, der Lehr- und Lernkultur und dem Angebot von Lehrinhalten angestoßen, um wieder attraktiver für diese Zielgruppe zu werden. Ein wichtiger Teilaspekt davon ist es eben, glaubwürdig in Aussicht stellen zu können, dass das Maschinenbaustudium die Studierenden bestmöglich auf die Arbeitswelt der Zukunft vorbereitet. Wenngleich Herr Linß auch deutlich macht, dass – dem übergeordnet – noch ein weiteres Bestreben zielführend für die Neukonzeption des Studiengangs war, nämlich die Entwicklung von Persönlichkeiten zu fördern. Hierunter fallen weit mehr als die Fachkompetenzen, wie weiter oben bereits sichtbar wurde.
Schaut man hierbei auf Lehr- und Lernmethoden, geht es vor allem darum, welche Methoden aktiv zum Erwerb von Future Skills beitragen. Auch während der Diskussion benannte ein Workshop-Teilnehmender dies als Problemstellung des Maschinenbaus. Seiner Ansicht nach sei es wichtig, nicht gleich alle Erwartungen auf die Studierenden zu projizieren, sondern sie zu befähigen, mit verschiedenen Kompetenzträger:innen zusammenarbeiten und ihre Professionen nachvollziehen zu können, was zwar ein gewisses Grundverständnis bezüglich anderer Bereiche benötige, jedoch kein Tiefenwissen. Hierauf Bezug nehmend plädierte Frau Plümpe für interdisziplinäre Gruppenarbeit und dafür, dass Studierende so viel wie möglich in der Gruppe lösen sollten, um Teamarbeit zu lernen sowie selbstständiges Lernen und Arbeiten. Sie wünsche sich eine Entwicklung der Lehre weg vom Frontalunterricht und hin zu einer Mischung aus digitalen und analogen Lehrmethoden. Praxisprojekte und Case Studies als Prüfungsform würden dabei unterstützen, zu verstehen, worauf es in der Praxis wirklich ankommt. Frau Plümpe zeigte sich diesbezüglich optimistisch und glaubt, dass vieles davon bereits gelebt würde. Aus den Ausführungen von Katharina Plümpe und Marco Linß geht schlussendlich hervor: Es ist nicht damit getan, einzelne Module zu einzelnen Future Skills in das Maschinenbaucurriculum einzuspeisen. Viel eher verlangt die Diskussion über Future Skills eine ganzheitliche Betrachtung der Curriculumentwicklung, um Future Skills, wo auch immer möglich, in bereits bestehende Module einzuweben. Dies braucht sowohl eine kritische Auseinandersetzung mit den eigenen Lehrmethoden und der Didaktik als auch eine intensive Verständigung im Fachbereich darüber, kollektive Veränderungsbereitschaft zu erzielen. Die Frage, was am Ende des Tages “weg kann”, stellt sich hierdurch schlussendlich vielleicht auch gar nicht in dem Maße, wie es viele befürchten.
Verweise
(1) Kienbaum und VDMA (2022): Future Skills im Maschinen- und Anlagenbau. Eine Analyse entlang des Produktlebenszyklus.
(2) Das unterstreicht vor allem das Centrum für Hochschulentwicklung (2023): Entwicklung der Studienanfänger*innenzahlen in Deutschland.