(K)ein rechtsfreier Raum – Studentische Forderungen zum Umgang mit sexualisierter Gewalt im digitalen Raum an Hochschulen

(K)ein rechtsfreier Raum – Studentische Forderungen zum Umgang mit sexualisierter Gewalt im digitalen Raum an Hochschulen

23.01.23

Das Projekt: ein AGG 2.0 AGG 2.0 ist ein 2022 von den Autor:innen ins Leben gerufenes Projekt, das aktuell zwei Ziele verfolgt: Erstens möchten wir darüber aufklären, welche Missstände es derzeit in der deutschen Hochschullandschaft in Bezug auf den Umgang mit sexualisierter (digitaler) Gewalt gibt. Zweitens möchten wir aus studentischer Perspektive mit Verantwortungsträger:innen im Hochschulkontext darüber ins Gespräch kommen, wie wirkungsvolle Veränderungen erzielt werden können, um Hochschulen zu Safe Sp

Ein strukturelles Problem: In den vergangenen Jahren hat das Thema „sexualisierte Gewalt in der Hochschule“ zunehmend Aufmerksamkeit erfahren; der Spiegel stellte dazu kürzlich die offene Frage: Hat der Wissenschaftsbetrieb ein #MeToo-Problem? Auch der digitale Raum ist nicht frei von diskriminierenden und gewaltermöglichenden Strukturen. Beim „Let’s Talk:Campus“-Event stellten die Studentinnen Lea Bachus und Paula Paschke ihre Forderungen im Umgang mit Betroffenen vor: Unter anderem sei ein konsequenter Kulturwandel vonnöten sowie ein besserer rechtlicher Schutz für Opfer. Der folgende Beitrag entstand in Kooperation mit Tina Basner (HFD).

Titelbild zum Artikel aus der Blogreihe "Let's Talk Campus": (K)EIN RECHTSFREIER RAUM – STUDENTISCHE FORDERUNGEN ZUM UMGANG MIT SEXUALISIERTER GEWALT IM DIGITALEN RAUM AN HOCHSCHULEN. Ein Gastbeitrag von Lea Bachus, Paula Paschke und Tina Basner. Fiktiver Chat-Auszug links: Professor: Ich finde dich ehrlich gesagt unfassbar attraktiv. Sehen wir uns nächste Woche in der Zoom-Sprechstunde? Ich freue mich schon darauf Deine Arbeit zu besprechen. Logos rechts unten: Lets Talk Campus, Stiftung Innovation in der

Was #MeToo mit Hochschulen zu tun hat

Hochschulen werden oftmals als Raum der Aufklärung und des gemeinschaftlichen sowie gesellschaftlichen Fortschritts verstanden, die nicht mit den gleichen Problemen konfrontiert sind wie die restliche Gesellschaft. Das Thema „Sexualisierte Diskriminierung und Gewalt an Hochschulen“ hat in den vergangenen Jahren zunehmend Aufmerksamkeit erfahren. (Twitter-)Bewegungen und Seminarkonzepte wie #ScienceToo und #UniToo lenken den Blick auf Machtstrukturen und Abhängigkeitsverhältnisse, die in verschiedenen Stadien des akademischen Werdegangs Formen von Diskriminierung, (Macht-)Missbrauch und Gewalt begünstigen  können. Auch der SPIEGEL stellte sich jüngst die Frage: “Hat der Wissenschaftsbetrieb ein#MeToo-Problem?”. Ausgangspunkt war die Berichterstattung über grenzverletzendes Verhalten eines Professors an der Universität Köln, der trotz Meldung der Fälle weiterhin tätig sein darf.

Dass Studierende dabei besonders unter rechtlichen Aspekten gefährdet sind, ist oftmals nur wenig bekannt: Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) schützt Arbeitnehmer:innen vor verschiedenen Diskriminierungsformen, unter anderem in Bezug auf sexualisierte Diskriminierung und Gewalt. Studierende werden jedoch nicht durch das AGG geschützt, sodass sie keinen Anspruch auf die rechtlichen Beschwerdemöglichkeiten haben, die dieses Gesetz bietet. Dass viele Hochschulen nur mangelnde Strukturen aufweisen, um diesen Graubereich aufzufangen, führt zu einem hohen Risiko für Studierende.

Im Zuge der Corona-Pandemie hat sich das gemeinsame Arbeiten, Lehren und Lernen vor allem in den digitalen Raum verlagert. Es wäre ein Irrtum, zu glauben, dass digitale Räume frei von diskriminierenden und gewaltermöglichenden Strukturen sind. Digitale Grenzüberschreitungen wie zum Beispiel sogenannte “Dickpics” gab es zwar auch schon vor der Pandemie, jedoch bietet der digitale Raum an Hochschulen zusätzliches Risikopotenzial.

Das Projekt: ein AGG 2.0 AGG 2.0 ist ein 2022 von den Autor:innen ins Leben gerufenes Projekt, das aktuell zwei Ziele verfolgt: Erstens möchten wir darüber aufklären, welche Missstände es derzeit in der deutschen Hochschullandschaft in Bezug auf den Umgang mit sexualisierter (digitaler) Gewalt gibt. Zweitens möchten wir aus studentischer Perspektive mit Verantwortungsträger:innen im Hochschulkontext darüber ins Gespräch kommen, wie wirkungsvolle Veränderungen erzielt werden können, um Hochschulen zu Safe Sp

Sexualisierte (digitale) Gewalt an Hochschulen – die Herausforderungen

Für das Studieren, Forschen und Arbeiten an Hochschulen sind digitale Strukturen essentiell und aus der alltäglichen Kommunikation von Studierenden und Mitarbeitenden nicht wegzudenken: Studierende tauschen sich über WhatsApp-Gruppen aus, Forschende vernetzen sich über Twitter, Mobilgeräte mit Kameras sind selbstverständliche Hilfsmittel. Die Digitalisierung hat zweifelsfrei zu einem oftmals leichteren, schnelleren und niedrigschwelligeren Miteinander an Hochschulen beigetragen. Ein Resultat der digitalen Transformation ist die Übertragung sexualisierter Gewalt des analogen Raums in den digitalen Raum von Hochschulen. Sexualisierte Gewalt bezeichnet Machtausübungen und Grenzverletzungen in Form von sexuellen Übergriffen, beispielsweise durch unangenehme Blicke, Gesten, Worte oder Berührungen. Oftmals findet sexualisierte Gewalt in Abhängigkeitsverhältnissen statt. Digitale Gewalt „[bedient] sich technischer Hilfsmittel und digitaler Medien (Handy, Apps, Internetanwendungen, Mails, etc.)“ und findet oftmals auf Online-Portalen oder sozialen Plattformen statt. Die Hochschule Freiburg berichtet von einer Zunahme der Formen digitaler Gewalt. Auch die Ergebnisse der vor kurzem veröffentlichten Studie UniSAFE über die Erfahrungen mit Formen der Belästigung an Hochschulen zeigten, dass Universitätsangehörige verschiedene Formen digitaler Gewalt erleben. Dazu kann Cyberbullying, Stalking oder das nicht-einvernehmliche Verbreiten von pornografischem Text- oder Bildmaterial gehören. Dass digitale Gewalt oftmals eine erweiterte Form der bereits analog stattfindenden Grenzüberschreitungen ist, zeigt auch das Beispiel des Professors aus Köln: Betroffene berichteten von Bildern des oberkörperfreien Professors im Chat des Lehrstuhls, nicht-einvernehmliche Erstellung von Bildaufnahmen oder nicht-beruflichen Nachrichten per WhatsApp.

Dass Angehörige von Hochschulen sexualisierte Gewalt erleben und nur ein Bruchteil von ihnen ihre Erfahrungen melden, ist bekannt. Digitale Gewalt, oftmals eine Ergänzung oder Verstärkung von bereits physisch stattfindender Gewalt, unterliegt eigenen Dynamiken, die eine Meldung der Grenzverletzungen erschweren können: Zum einen fällt es Betroffenen oftmals schwer, sich den Übergriffen aufgrund der konstanten Verfügbarkeit digitaler Tools und Medien zu entziehen. Zum anderen mangelt es an Richtlinien und Vorgaben für die Nutzung und Interaktion im digitalen Raum der Hochschulen. Dies hängt auch damit zusammen, dass ein mangelndes Verantwortungsbewusstsein für digitale Strukturen bei Lehrenden und Hochschulleitungen besteht. Ansprechpersonen im Bereich Antidiskriminierung sind an vielen Hochschulen nicht vorhanden oder im Bereich der digitalen Gewalt nur wenig geschult.

Auch, wenn wir es gerne anders hätten: Hochschulen sind auch heute noch Orte, die von hierarchischen Strukturen geprägt sind. Und wo es Hierarchien und damit eine Ungleichverteilung von Macht gibt, gibt es auch Machtmissbrauch. Studierende sind dabei die verletzlichste Gruppe der Hochschulangehörigen. In einer kürzlich veröffentlichten, europaweit durchgeführten Studie von UniSAFE gaben 58% der befragten Studierenden an, bereits geschlechtsbasierte Gewalt erfahren zu haben. Allerdings werden in dieser Befragung die Begriffe “geschlechtsbasierte Gewalt” und “sexualisierte Gewalt” nicht wie in anderen Kontexten synonym verwendet. Das erschwert den direkten Vergleich.  Außerdem steht die endgültige Auswertung der Befragung noch aus. Trotzdem gibt uns das einen ersten Hinweis darauf, wie groß das Ausmaß der vorliegenden Problematik tatsächlich ist. Vorläufige Ergebnisse der Studie zeigen außerdem, dass LGBQ+, nicht-binäre, chronisch-erkrankte und behinderte Personen stärker als andere Gruppen von diesen Formen der Gewalt betroffen sind. Für Studierende, die sich diesen Personengruppen zuordnen, sind demnach höhere Zahlen zu erwarten. 

 

Fehler im System: die rechtlichen Rahmenbedingungen für Studierende

Grundsätzlich regelt in Deutschland das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz (AGG) den Diskriminierungsschutz in Bezug auf Erwerbstätigkeit und Alltagsgeschäfte, ebenso wie Versicherungs- und Bankgeschäfte. Damit umfasst es zivilrechtlich wirksam alle vertraglichen Beziehungen zwischen den Bürger:innen. Durch das AGG festgelegt ist zum Beispiel das Recht auf Beschwerde durch Betroffene von Diskriminierung, aber im gleichen Zuge auch die Pflicht zur Einrichtung einer entsprechenden Beschwerdestelle seitens des:der Arbeitgeber:in. Ebenfalls regelt das AGG den Schutz von Betroffenen und möglichen Zeug:innen, z. B. durch ein Maßregelungsverbot und das Recht auf Arbeitsniederlegung zum Selbstschutz. Das AGG umfasst an Hochschulen alle dort angestellten Personen, also Professor:innen, Verwaltungsmitarbeitende, Lehrende und Hilfskräfte. Studierende fallen aktuell nicht unter das AGG und haben damit keinen rechtlichen Anspruch auf dessen Schutzwirkung. Ein Beispiel: Eine Mitarbeiterin wird von ihrem Chef, einem Professor, sexuell belästigt. Er sendet ihr pornografisches Material per WhatsApp zu.  Sie legt Beschwerde auf Grundlage des AGG bei der zuständigen Stelle ein und hat ein Recht darauf, während der Klärung des Vorfalls ihre Arbeit niederzulegen, ohne dass ihr dadurch berufliche Nachteile entstehen. Wenn derselbe Professor während einer Zoom-Sprechstunde eine Studentin belästigt, kann diese seiner für sie verpflichtenden Veranstaltung nicht ohne Weiteres fernbleiben, ohne dass sie dadurch womöglich ihren Studienverlauf beeinträchtigt.

„Die Hochschulen stellen für ihre Mitglieder ein diskriminierungsfreies Studium beziehungsweise eine diskriminierungsfreie berufliche oder wissenschaftliche Tätigkeit sicher.“ (§3 Absatz 4 HmbHG) Was klingt, als sollte es für alle Hochschulen verpflichtend gelten, ist tatsächlich aus dem §3 des Hamburgischen Hochschulgesetzes entnommen und gilt damit nur für die Studierenden in Hamburg. Zwar haben auch andere Bundesländer (darunter z. B. Schleswig-Holstein und Baden-Württemberg) einen Schutz für Studierende nach dem AGG in ihre Landeshochschulgesetze aufgenommen, aber Studierenden an einer Fachhochschule in Nordrhein-Westfalen oder an einer Universität in Sachsen ist damit nicht geholfen. In der aktuellen rechtlichen Lage ist der Schutz von Studierenden vor (sexualisierter) Diskriminierung und Gewalt meist abhängig davon, wie gut eine Hochschule diese gesetzliche Lücke ausfüllt. 

 

Was wir fordern

Das Problem ist klar, doch wie sieht die Lösung aus? In einem kürzlich veröffentlichten offenen Brief an Hochschulleitungen und -verwaltungen fordert der fzs (freier zusammenschluss von student*innenschaften) eine konsequentere Durchsetzung von Schutz- und Unterstützungsmaßnahmen sowie einen Kulturwandel, was den Umgang mit sexualisierter Diskriminierung und Gewalt im Hochschulkontext angeht. Wir schließen uns diesen Forderungen an, sehen aber auch Nachholbedarf auf anderen Ebenen. Konkret fordern wir:

  • Rechtssicherheit für Formen (digitaler) sexualisierter Gewalt und anderen Diskriminierungsformen im Strafrecht und im Hochschulrecht,
  • die Schaffung und nachhaltige Finanzierung von unabhängigen, hauptamtlichen Stellen im Bereich Antidiskriminierung, sexualisierte Diskriminierung und Gewalt mit geschulten Mitarbeitenden,
  • die finanzielle und personelle Aufstockung bestehender Anlaufstellen,
  • Schulungen zum Umgang mit digitalen Gewaltformen für hauptamtliche und ehrenamtliche Mitarbeitende in den Anlaufstellen,
  • eine kostenlose und anonyme rechtliche Beratung und Unterstützung von Studierenden in Fällen von (digitaler) sexualisierter Gewalt,
  • gut zugängliche  und verständliche Informationsmöglichkeiten für Studierende,
  • den Ausbau von Forschung zu (digitaler) sexualisierter Gewalt im Hochschulkontext,
  • und eine größere Sensibilität für die Problemstellung und die Übernahme von Verantwortung (auch im digitalen Raum) seitens der Hochschulen durch Dozierende und Hochschulleitungen. 

Wir möchten Hochschulen nicht nur als Raum der Aufklärung sowie des gemeinschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritts verstehen. Hochschulen sollten auch ein Ort sein, an dem Studierende geschützt und unterstützt werden. Dafür benötigt es umfassende Änderungen: an Hochschulen selbst und in den Landeshochschulgesetzen. Denn zukunftsfähige Hochschulen übernehmen Verantwortung für alle Hochschulangehörigen – auch im digitalen Raum.

 

Dieser Artikel reiht sich ein in die Blogreihe zum Event “Let’s Talk:Campus”, das am 20. Oktober 2022 stattfand – digital und live in Berlin. Ein besonderer inhaltlicher Schwerpunkt bildeten Fragen der studentischen Partizipation und Nachhaltigkeit.

Wir wollen entsprechende Diskussionen fortführen – unter anderem beim University:Future Festival 2023. Der Call for Participation läuft bis zum 31. Januar 2023. 

 

Das Event wurde vom Hochschulforum Digitalisierung (HFD) und in Partnerschaft mit der Stiftung Innovation in der Hochschullehre (StIL) veranstaltet.

 

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