So gelingt Blended Learning – Arbeitsergebnisse der AG Psychologie und Lehr-Lernforschung

So gelingt Blended Learning – Arbeitsergebnisse der AG Psychologie und Lehr-Lernforschung

18.02.22

Bild: links ein Stapel Bücher auf dem Miniatur-Studierende mit Laptops und Büchern zu sehen sind, an den Stapel angelehnt ist ein großer Tabletcomputer, rechts unten im Bild das HFD Logo, SO GELINGT BLENDED LEARNING - Arbeitsergebnisse der AG Psychologie und Lehr-Lernforschung

Die im Frühjahr 2021 gegründete Arbeitsgruppe (AG) „Psychologie und Lehr-Lernforschung in der Hochschuldidaktik“ befasst sich mit der Frage, wie Studierende durch digitale Technologien bestmöglich unterstützt werden können. Auf Grundlage der Ergebnisse verschiedener Metaanalysen wird das Lernen in Präsenz mit dem reinen Online-Lernen sowie mit dem Format des Blended Learning verglichen. In ihrem Beitrag bietet die AG außerdem verschiedene Definitionen von Blended Learning an und zeigt, wie dieses Lehr-/Lernformat erfolgreich eingesetzt werden kann.Bild: links ein Stapel Bücher auf dem Miniatur-Studierende mit Laptops und Büchern zu sehen sind, an den Stapel angelehnt ist ein großer Tabletcomputer, rechts unten im Bild das HFD Logo, SO GELINGT BLENDED LEARNING - Arbeitsergebnisse der AG Psychologie und Lehr-Lernforschung

Die AG „Psychologie und Lehr-Lernforschung“

Wie sieht die Hochschullehre der Zukunft aus? Diese Frage ist nach fast vier Semestern pandemiebedingter Online-Lehre stärker denn je in das Blickfeld der öffentlichen, bildungspolitischen und wissenschaftlichen Diskussionen gerückt. Dabei wird häufig die vorrangig subjektiv geprägten Online-Lehre der vergangenen Semester mit der Präsenzlehre, so wie sie vor der Corona-Pandemie vorwiegend stattgefunden hat, verglichen. Doch eine solche Gleichsetzung des pandemiebedingten sogenannten Emergency Remote Teaching mit didaktisch gut durchdachter Online-Lehre ist aus wissenschaftlicher Perspektive hoch problematisch (Hodges et al. 2020). Bei der aktuellen Diskussion um zukünftige Lehrformate sollte vielmehr die Frage gestellt werden, wie Studierende und deren Lernprozesse durch digitale Technologien bestmöglich unterstützt und gefördert werden können. 

Diese Fragestellung ist ein Fokus der AG “Psychologie und Lehr-Lernforschung” der Deutschen Gesellschaft für Hochschuldidaktik, die sich im Frühjahr 2021 etabliert hat. Sie sichtete die Ergebnisse zahlreicher Metaanalysen der (psychologischen) Lehr-Lern-Forschung, die sich mit der Wirksamkeit und Effektivität verschiedener Lehrformate auseinandersetzen, und fasste diese zusammen.

Präsenz-Lernen im Vergleich mit Online-Lernen

Für den Vergleich von Online-Lernen mit traditionellem Lernen in Präsenz hat sich die AG auf zwei Metaanalysen konzentriert: Die erste Metaanalyse ist von Means und Kolleg:innen (2013) und hat Studien bis 2008 einbezogen, bei der zweiten Metaanalyse handelt es sich um die Dissertationsschrift von Wandera (2017), die an Means et al. anschließt. In beiden Metaanalysen wird Online-Lernen so definiert, dass die gesamte Lehre über den Computer und das Internet abgehalten wird. Dies kann sowohl synchron als auch asynchron sein. Die Metaanalysen zeigten, dass, wenn die Leistungen der Studierenden betrachtet werden, Online-Lernen weder besser noch schlechter ist als Lernen in Präsenz.

Diese Ergebnisse legen nahe, dass Online-Lernen ein brauchbarer Ersatz für Präsenzlehre sein kann. Doch dies gilt nur für den Fall, dass die Online-Lehre sorgfältig konzipiert und durchgeführt wird. Für das Emergency-Remote-Teaching, das wir vor allem im Frühjahr und Sommer 2020 erlebt haben, gilt das möglicherweise nicht. Weil es keine geeignete Kontrollgruppe gibt, lässt sich dies aber auch durch experimentelle Studien nicht überprüfen.

Außerdem wurden in beiden Meta-Analysen zusätzliche Variablen zur Gestaltung der Lernumgebungen einbezogen und analysiert. Zum Beispiel analysierte Wandera acht Variablen zur Gestaltung der Lernumgebung, die alle eine (zumindest) geringen Effekt aufwiesen:

  1. Peer-Interaktionen, also Möglichkeiten zum Austausch von Wissen, Möglichkeiten zu Diskussionen oder einfach zur Kontaktaufnahme

  2. Klar formulierte Erwartungen an die Studierenden, z. B. in Bezug auf Kursanforderungen oder Anrechnungsmöglichkeiten

  3. Eine relativ unmittelbare Rückmeldung an die Studierenden über ihre Leistungen

  4. Verschiedene Möglichkeiten des Lernens, z. B. durch Videos, interaktive Materialien oder synchronen Unterricht

  5. Lehrendenpräsenz: „der Dozent ist verfügbar und in Diskussionen präsent“

  6. Verschiedene Arten der Leistungsbewertung, so dass Studierende verschiedene Möglichkeiten haben, die Beherrschung der Inhalte zu demonstrieren

  7. Lernendenzentrierung, also dass die Studierenden im Mittelpunkt stehen

  8. Orientierung für die Studierenden, wie z. B. eine Übersicht über den Kurs zu Beginn

Präsenz-Lernen im Vergleich mit Blended Learning

Blended Learning wird aktuell als das Lehrformat genannt, welches derzeit am häufigsten in der universitären Lehre genutzt wird. Ein Grund dafür kann sein, dass so gut wie alle Universitäten ein Learning Management System (LMS) nutzen und so Lehre anteilig im digitalen Raum stattfindet. Vor allem in der englischsprachigen Literatur wird Blended Learning deshalb oft auch als das „new normal“ oder das „new traditional model“ bezeichnet (Dziuban et al. 2018). Allerdings existieren für Blended Learning in der einschlägigen Literatur eine Reihe verschiedener Definitionen. Manche von ihnen werden als schwierig oder problematisch angesehen, da oft nicht klar wird, was genau gemeint ist, da sie sich auf ganz unterschiedliche Lehrpraktiken beziehen. Um sich mit der Bedeutung von Blended Learning auseinanderzusetzen, werden wir uns auf drei Definitionen beziehen.

Blended Learning – drei Definitionen

Definition 1) ist von Graham (2006) und wird am häufigsten in wissenschaftlichen Publikationen verwendet. Hier wird das Format sehr deutlich in Bezug auf die Zusammensetzung von Online und Präsenz beschrieben, also als “combination of face-to-face instruction with computer-mediated instruction”.

Definition 2) ist von Garrison und Kanuka (2004) und bezieht auch qualitative Merkmale der Lehre mit ein; Blended-Learning braucht eine “thoughtful integration of classroom learning experiences with online learning experiences“. Eine entscheidende Frage ist, was “thoughtful” genau meinen kann: Was ist denn der richtige Mix zwischen Online- und Präsenz-Anteilen in der Lehre und wie kann ein solcher Mix bestmöglich gestaltet werden?

Definition 3) ist eine sehr aktuelle Definition des Begriffs und-stammt von Müller & Mildenberger (2021): Sie benennen den Online-Anteil von Lehre als zentralen Faktor. Damit orientieren sie sich an Allen et al. (2007), die Blended Learning als Lehre verstehen, deren Online-Anteil 30-79 Prozent ausmacht. Die Untergrenze soll sicherstellen, dass tatsächliche Lernaktivitäten stattfinden können (und nicht nur das Bereitstellen von Lernmaterialien durch ein LMS gemeint ist), die Obergrenze legt die Abgrenzung zu reiner Online-Lehre fest.

Die Untersuchung von Blended Learning in Metaanalysen

Bereits in den 1990er-Jahren wurden erste Einzelstudien zur Wirkung von Blended Learning publiziert; erste Metaanalysen lagen dann zur Jahrtausendwende vor. Aufgrund der schnellen technologischen Entwicklung in den vergangenen Jahren und der damit verbundenen kurzen Halbwertzeit des Forschungswissens, konzentriert sich die AG auf die Auswertung von Metaanalysen der letzten 10 Jahre. Die Ergebnisse zeigen insgesamt eher kleine Effekte. Ein Ausreißer zeigt die Metaanalyse von Müller & Mildenberger, die keinen Effekt für das Blended-Learning-Format ermitteln.

Wie geht erfolgreiches Blended Learning?

Neben Aussagen zu Effekten von Blended Learning geben die von uns herangezogenen Metaanalysen auch Auskunft darüber, welche Faktoren zum Erfolg von Blended Learning beitragen können. Zum Beispiel werden in der Metaanalyse von Means & Kolleg:innen Variablen zusammengefasst, die den Erfolg von Blended Learning auf die Leistung der Studierenden erklären können. Eine zentrale Variable ist hier die angewandte Didaktik, bzw. die damit verbundene Lernerfahrung der Studierenden. Insgesamt zeigen sich positive Effekte für eine Einbindung möglichst vielfältiger Lernaktivitäten. Dabei kann durch die Anwendung kollaborativer Lernformen und durch darbietende Ansätze, d. h. Lehrformen, bei denen die Aktivität der oder des Lehrenden im Fokus stehen, der positive Effekt noch weiter erhöht werden.

Eine weitere Variable, die für den Erfolg von Blended Learning entscheidend ist, ist die Art und Weise wie Lernmaterial und Instruktionsform über die Modalitäten Online und Präsenz kombiniert wurden: Wenn die Materialien und Instruktionen in den beiden Settings variiert wurden, war der Effekt größer. Für diesen Erfolg muss es in den Lernaktivitäten aber einen roten Faden geben, der diese sinnvoll miteinander verknüpft: Den Lernenden muss klar sein, was sie wann wo und warum tun.

Zudem zeigt sich ein Anstieg der Effekte, wenn in der Online-Phase zusätzliche Lernangebote gemacht wurden und die Lernenden zwischen diesen wählen konnten. In den Präsenzphasen sollte parallel dazu möglichst nach einer klaren Struktur vorgegangen werden. Es sind also vor allem die didaktischen Überlegungen zur Gestaltung von Blended Learning, die zu einer „thoughtful integration“ beitragen können. 

Die Metaanalyse von Wandera (2017) nimmt sowohl die Lehrenden-Perspektive als auch die Lernenden-Perspektive in den Blick. In Bezug auf lernendenbezogenen Variablen ergab sich, dass die positiven Effekte auf die Lernergebnisse stärker wurden, je mehr die Studierenden mit dem jeweiligen Format vertraut waren (gemessen anhand der Zeit, die in dem jeweiligen Format gelernt wird).

Für Lehrende zeigt die Analyse, dass die Effektivität von Blended Learning vor allem von deren Qualifizierung und Kompetenzen für die Durchführung der Lehre abhängig ist. Eine weitere Variable ist das Commitment: So kann ein eher hohes Commitment der Lehrenden die Effektivität von Blended Learning erhöhen. Dies gilt insbesondere im Kontext Hochschule (im Vergleich zum schulischen Bildungskontext). Es ist also wichtig, die Rolle der Lehre und die Vorbereitung der Lehrenden auf Blended Learning Settings an Universitäten zu stärken und zu würdigen.

 

Literatur

Allen, I. E., Seaman, J. & Garrett, R. (2007). Blending In: The Extent and Promise of Blended Education in the United States. University of California, San Francisco. Bay View Analytics. ACT|NRCCUA

Bernard, R. M., Borokhovski, E., Schmid, R. F., Tamim, R. M. & Abrami, P. C. (2014). A meta-analysis of blended learning and technology use in higher education: from the general to the applied. Journal of Computing in Higher Education, 26(1), 87–122. https://doi.org/10.1007/s12528-013-9077-3

Cohen, J. (1988). Statistical Power Analysis for the Behavioral Sciences (2nd ed.). Lawrence Erlbaum.

Dziuban, C., Graham, C. R., Moskal, P. D., Norberg, A. & Sicilia, N. (2018) Blended learning: the new normal and emerging technologies. International Journal of Educational Technology in Higher Education volume 15, Article number: 3. https://doi.org/10.1186/s41239-017-0087-5

Garrison, D. R., & Kanuka, H. (2004). Blended learning: Uncovering its transformative potential in higher education. The Internet and Higher Education, 7(2), 95– 105. https://doi.org/10.1016/j.iheduc.2004.02.001

Graham, C. R. (2006). Blended learning systems: Definition, current trends, and future directions. In C. J. Bonk, & C. R. Graham (Eds.), The handbook of blended learning: Global perspectives, local designs (pp. 3–21). Wiley & Sons.

Hodges, C., Moore, S., Lockee, B., Trust, T. & Bond, A. (2020). The Difference Between Emergency Remote Teaching and Online Learning. Retrieved from https://er.educause.edu/articles/2020/3/the-difference-between-emergency-remote-teaching-and-online-learning

Means, B., Toyama, Y., Murphy, R., Baki, M. (2013). The Effectiveness of Online and Blended Learning: A Meta-Analysis of the Empirical Literature. Teachers College Record, 115, 1-47.

Müller, C. & Mildenberger, T. (2021). Facilitating flexible learning by replacing classroom time with an online learning environment: A systematic review of blended learning in higher education. Educational Research Review, 34, 100394. https://doi.org/10.1016/j.edurev.2021.100394

Vo, H. M., Zhu, C., & Diep, N. A. (2017). The effect of blended learning on student performance at course-level in higher education: A meta-analysis. Studies In Educational Evaluation, 53 (Supplement C), 17–28. https://doi.org/10.1016/j.stueduc.2017.01.002

Wandera, S. (2017). Continuing the Conversation About Face-to-Face, Online, and Blended Learning a Meta-Analysis of Empirical Literature 2006-2017 [Wilmington University (Delaware)]. https://search.proquest.com/docview/1964254197/abstract/47EBE4E7E7ED4154PQ/1

 

 

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