Hybride Seminarräume: Ein pragmatisch-realistischer Blick

Hybride Seminarräume: Ein pragmatisch-realistischer Blick

28.10.21

nummerierter Seminarraum

Hybride Lehre kann viele Vorteile mit sich bringen, aber ist sie in heutigen Seminarräumen überhaupt möglich. Hendrik Steinbeck wirft für den HFD-Blog einen pragmatisch-realistischen Blick auf Seminarräume und zeigt zahlreiche Baustellen auf.

Als mich meine Frau in ihrer Rolle als Tutorin gefragt hat, wie die Seminarräume an der Uni eigentlich ausgestattet sind – zu diesem Zeitpunkt war sie bisher einmal an der Uni für eine Klausur – habe ich ihr kurzerhand ein Archivfoto aus dem vergangenen Wintersemester gezeigt. Während wir durch das Bild gegangen sind, ist mir aufgefallen, dass sich zahlreiche Tutor:innen, Studierende und auch Lehrende in diesen Tagen wahrscheinlich genau die gleiche Frage stellen: Womit kann ich rechnen und wie kann ich meine Lehre anbieten?

Im Ergebnis hat sich dann dieser Tweet gebildet. Der folgende Gastblogbeitrag mit Kontext entstand anschließend auf Anfrage des HFD. Bevor ich mich in einem ausgewachsenen rant über Overheadprojektoren und Kreide wieder finde, noch der Hinweis: Es geht mir (und meiner privaten Meinung) nicht ums Fingerzeigen auf (m)eine Uni oder einen besonderen Campus. Ob Karlsruhe, München oder Potsdam: Zahlreiche Seminarräume sehen so aus, wie sie aussehen: Wie vor 20 Jahren. Auch das unterschwellige „geht nicht, haben wir noch nie so gemacht“ möchte ich vermeiden, es muss und soll (gute?) Lehre stattfinden. Heute, nächstes Sommersemester und auch noch im Wintersemester 2025.

 

Anekdotisches Wissensartefakt #1: Ein typischer Seminarraum
 

nummerierter Seminarraum

Die Hauptvisualisierung im Seminarraum wird wahrscheinlich durch den Projektor geleistet. Ich habe in den gleichen Räumen mein eigenes Masterstudium absolviert, und spätestens in der dritten Reihe kann man so manche Folie nur noch erahnen. Das 4-zu-3-Format tut dann sein Übriges. Ob man sich überhaupt zu zwanzigst vor eine PowerPoint setzen sollte, ist nochmal eine andere Frage. Ich höre Sie und euch schon sagen: „In einem Seminar sollen ja auch keine PowerPoints gezeigt werden“. Guter Einwand. Das bringt mich zum Visualisierungsgerät Nummer 2:

Mein Erzfeind. Meine Nemesis. Die Kreidetafel.  

Es mag diese ausgefeilten Tafelbilder und Skizzen geben; Lehrende, die ganze Themenlandschaften auf dunkelgrünem Grund abbilden und vermitteln. Das letzte Mal habe ich solche im Deutschgrundkurs gesehen. Irgendwas mit Faust und der Teufelsmetapher. An der Universität besteht der Haupteinsatzweck im Anschreiben der relevanten E-Mail-Adressen. Meistens wird auch das mit den obengenannten Folien abgedeckt. In meinem anekdotischen Bildbeweis wäre es ohnehin nicht möglich, irgendwas zu skizzieren: Es fehlt schlicht die Kreide. In einem hybriden Setting würde sie allerdings auch nicht helfen. Via Webcam etwas abfilmen ist genau so wenig „Digitalisierung der Lehre“ wie PDFs unterschrieben einzuscannen, 90 Minuten Vorlesung am Stück aufzeichnen oder die Zugangsbeschränkungen der hauseigenen Videolehrplattform.

Sie sehen schon, warum der obige Hinweis „Kann Spuren eines rants enthalten“ notwendig war? Doch weiter im Text, es wird schon spät: Das Bild zeigt tatsächlich alles, was der gängige Seminarraum bietet. Im Bild ist an dritter Stelle eine Fensterfront hervorgehoben. Selbst, wenn Sie ein Whiteboard (das im Raum ebenfalls fehlt) abfilmen würden, kann man entweder aufgrund der Spiegelung oder der Schriftgröße online sowieso nichts sehen. Während Studierende Ihnen online zuhören, raten sie zeitgleich, was Sie wohl gerade skizzieren.

 

Via Webcam etwas abfilmen ist genau so wenig „Digitalisierung der Lehre“ wie PDFs unterschrieben einzuscannen, 90 Minuten Vorlesung am Stück aufzeichnen oder die Zugangsbeschränkungen der hauseigenen Videolehrplattform.

Unter (4) habe ich ein Flipchart nummeriert. Grundsätzlich ist das ein sehr schönes Werkzeug. Ich habe in Fortbildungen schon famose Verwendungszwecke gesehen, ähnlich zu den Tafelbildern. Der reality check zeigt aber auch hier: Es fehlen Stifte und Magnete. Ob jetzt jede Lehrperson sich privat die guten Neuland-Stifte zulegt? Das darf bezweifelt werden. Ich könnte den Privatkauf nicht mit gutem Wissen an Tutor:innen empfehlen. Was den sonstigen Gebrauch von Flipcharts angeht, gibt es bestimmt Lehrende und Professor:innen, die sich hier entfalten. Auch großartige Präsentationen von Studierenden habe ich hier schon gesehen. Dass die wenigsten einen Flipchart-Pitch wie bei der Höhle der Löwen vorbereiten, dürfte klar sein: Wer hat schon (privat) ein Flipchart zu Hause, um die Präsentation entsprechend aufzusetzen. Sie sehen schon… auch Studierende fallen da lieber zurück auf den 4:3 Projektor.

Als letzte Hoffnung eines mobilen Aufbaus kommt da die (5): Ein 30-Euro-Stativ mit generischer Webcam. Im Bild gerichtet auf eine potenzielle Lehrperson, das Videosignal des Projektors könnte man dann wenigstens digital einbinden. Wie die Realität wohl eher aussieht: Ein projiziertes Bild wird erneut abgefilmt. Der Einsatz einer „Folgekamera“ habe ich zusammen mit Mathias Magdowski bereits diskutiert.

 

„Unsere Seminarräume für hybride Lehre werden teurer! Oder sogar wertiger?!“

 

Bevor wir zu den konstruktiven Vorschlägen kommen, sei noch ein grundsätzliches Problem mit Seminarräumen aufgezeigt: Sie sind schlichtweg nicht für synchron-als-auch-online-offline konzipiert. Allein die Tonqualität kann mit Betonwänden, Glas- und Tafeloberflächen nicht das Ergebnis erzielen, das man für eine sinnvolle akademische Arbeitsdiskussion benötigt. Bevor ich mich auch über unzureichende Lichtverhältnisse der Deckenlampe auslasse, kommen wir zur „Wunschliste“:

Tweet mit Wunschliste: "Gebt uns Whiteboards, 16:9-Beamer, Mikrofonarrays, schmeißt den Overheadprojektor weg, legt eine Materialausgabe an und stattet die Räume fest mit Stativen und Licht aus."Die Whiteboards dürften vielerorts schon Realität sein. Hier sei noch erwähnt, dass ich viele Lehrende kenne, die gescheite Stifte selbst bezahlen, einfach um die Diskussion bezüglich der 10 Euro pro Quartal zu vermeiden. Auf dem Beamer/Projektor habe ich jetzt schon genug rumgehackt, 16:9 ist beispielsweise für Videoartefakte nützlich. Eine ganze Videoleinwand zum Ein-/Ausfahren ist natürlich auch denkbar, von mir aus auch ein Fernseher. An der Stelle fällt auch auf: Unsere Seminarräume für hybride Lehre werden teurer! Oder sogar wertiger?! Bei all der Technik – und meine teuersten Wünsche sind noch gar nicht enthalten – muss es einen pfleglichen Umgang durch alle Beteiligten geben. Das passt aber in mein Narrativ der „festgebauten Lehrmittel“: Vom Stativ für Kamera und Licht über integrierte Mikrofonarrays in Decken / Tisch (teuer!) und der erwähnten Videoleinwand könnte der Zugriff auf Medien und der damit verbundene Einsatz im Seminar nicht nur leichter werden, sondern sogar Spaß in die Lehre bringen – ja, der Früh-Neunziger-Millennial hat gerade von Spaß bei der Arbeit berichtet.

Die Kreidetafel kann in jedem Fall raus, zusammen mit dem Overheadprojektor, der im Bild auch auftaucht, für mich aber keinen ausführlichen Kommentar verdient. Dessen letzte Funktion: Zur Überbrückung bis das Kamerastativ installiert ist. Als wertigen (Schreib-)Ersatz empfehle ich ein Zeichenboard beziehungsweise digitale Eingabestifte. Für die Online-Teilnehmenden in die Videokonferenz eingebunden, für die Vor-Ort-Teilnehmenden auf die eigenen Laptops oder an die Wand projiziert.

 

Vom Stativ für Kamera und Licht über integrierte Mikrofonarrays in Decken / Tisch (teuer!) und der erwähnten Videoleinwand könnte der Zugriff auf Medien und der damit verbundene Einsatz im Seminar nicht nur leichter werden, sondern sogar Spaß in die Lehre bringen – ja, der Früh-Neunziger-Millennial hat gerade von Spaß bei der Arbeit berichtet.

Für sonstige (analoge) Gegenstände bietet sich eine „Materialausgabe“ an. Wenn es dort dann auch Antworten auf die Frage „Hat wer einen Mini-HDMI-auf-VGA-Adapter?“ gibt, dann wäre wahrscheinlich schon vielen geholfen. Egal ob analog oder digital.

Ich wünsche Ihnen und euch eine gute Lehre im Wintersemester.

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