Von Australien lernen heißt e-prüfen lernen?!

Von Australien lernen heißt e-prüfen lernen?!

05.08.21

Mehrere Fotos einer Person, die eine online beaufsichtigte Prüfung schreibt. Die Fotos zeigen, wie man die Kamera richtig und falsch platziert.

Auch Australiens Universitäten waren im Jahr 2020 von längeren Lockdowns erheblich betroffen. Eine Motivation, einmal bei den Kolleg*innen von der Partnerhochschule USC University of the Sunshine Coast nachzufragen, wie man dort mit Prüfungen in der Pandemiezeit umgegangen ist (der Hochschulname ist übrigens Programm …). Zwei Impulse aus den interessanten Diskussionen fasst Prof. Dr.-Ing. Andreas Daberkow in diesem Beitrag zusammen.

School of the air – Regionale Prüfungszentren für mehr persönliche Vernetzung?

Die School of the air, eine spezielle Form des Fernunterrichts in den dünn besiedelten Regionen Australiens, hat mich schon in meiner frühesten Jugend fasziniert. Schule vor dem Fernsehgerät, ja das ist es! Meine Eltern waren leider davon nicht zu überzeugen. Seit über 50 Jahren ist dieser Fernunterricht in Australien in Betrieb und in den dünn besiedelten Gegenden lange Zeit die einzige Möglichkeit, Schüler*innen der sogenannten Primary and early secondary education einen Unterrichtszugang zu ermöglichen. Auch hier stellt sich die Frage: wie werden Klassenarbeiten geschrieben und beaufsichtigt? Hier kommen sogenannte freiwillige Prüfungsbeauftragte zum Einsatz – die Klassenarbeit wird beim nächstgelegenen Arzt, Polizisten (!), Pensionär geschrieben, beaufsichtigt und abgegeben.

Zwei Frauen und ein junges Mädchen in einem Studio der School of the air.

Ist das nicht eine Option für eine Distanz-Präsenzprüfung in der Pandemie gerade für unsere Flächenhochschulen mit mehreren kleineren Standorten in der Region? An Fernhochschulen wird ja die Idee eines Prüfungszentrums schon länger praktiziert. In jeder Region gibt es Klein- und Mittelstädte mit Behörden oder Zentren, in denen unter Einhaltung der Hygieneregeln sehr kleine Gruppen ihr Prüfungsdokument erhalten, unter Aufsicht bearbeiten und abgeben könnten. So kommen die Hochschulen auch ein Stück wieder in die Region zurück – vielleicht nicht nur zur Prüfung sondern auch für Lerngruppen oder die persönliche Vernetzung?

 

Online Invigilated Exams oder Vertrauensvorschuss?

Online Invigilated Exams – das ist der zweite Impuls, den mir die Kolleg*innen aus Australien mitgegeben haben. Associate Professor Phillip Dawson von der Deakin University in Melbourne mit ca. 30 000 Studierenden hat seine Empfehlungen in einem Fachbuch „Defending Assessment Security in a Digital World – Preventing E-Cheating and Supporting Academic Integrity in Higher Education“ zusammengefasst. Einen Überblick über das Vorgehen und gute Handreichungen findet man auch in einem reichhaltigen aber für mich etwas unübersichtlichen Repositorium der Tertiary Education Quality and Standards Agency (TEQSA), einer zentralen Organisation für Qualität in der Hochschullehre. Im Dokument „Strategies for using online invigilated exams“ fasst Phillip erste grundsätzliche Fragen zur den Online Invigilated Exams zusammen.

Die Entwertung von Prüfungen und Anschlüssen im Sinne einer sogenannten grade inflation ist auch ein zentrales Thema für Dr. Mathew Hillier aus dem Prorektorat Lehre der Macquarie University in Sydney (ca. 40000 Studierende, bis zu 2000 Prüflinge in WiMINT-Grundlagenfächern). Eine grade inflation oder das Phänomen der Noteninflation bezeichnet in diesem Zusammenhang die Entwicklung, dass durch eine fehlende Prüfungsaufsicht und durch die Nutzung nicht zugelassener Hilfsmittel sowie eine nicht zulässige Kommunikation mit Dritten die erzielten Noten nicht mehr gute und weniger gute Prüfungsteilnehmer gleichstellt und kaum mehr vergleichbar macht.

Zu Beginn der Hochschulschließungen wurde noch mit Take Home Examinations oder Quizzes als Distanzprüfungen mit viel Vertrauensvorschuß ohne Aufsicht gearbeitet. Portale wie chegg.com als „UBER“ für Prüfungsaufgabenlösungen versprechen einen garantierten Service innerhalb von 30 Min. So sind viele Hochschulen in Australien auf die Online Invigilated Exams umgestiegen. Die Eckpunkte dieser Online-Prüfungsszenarien sind:

Bislang keine KI-Invigilation sondern immer persönliche Aufsicht mit 5-10 Studierenden/Aufsichtsperson, Ziel 20, mit Schulungen für die Aufsichtspersonen

 

  • Mehrere Fotos einer Person, die eine online beaufsichtigte Prüfung schreibt. Die Fotos zeigen, wie man die Kamera richtig und falsch platziert.ZOOM-basierte Distanzprüfungen, mit Smartphone-Kameraüberwachung, zentral organisiert mit steter Testmöglichkeit ohne große Einstiegshürden
  • Ausführliche Anleitungen für Studierende und Lehrende und für jeden Prüfungszeitraum. Hier gibt es klare Empfehlungen, wie die Videoaufsicht seitens der Studierenden zu gestalten ist
  • Es gibt immer ein paralleles Prüfungsangebot in Präsenz, absolute Freiwilligkeit
  • Bei technischen Problemen oder Krankheit umgehende Wiederholungsprüfung in 4 Wochen.

Neue sogenannte Academic Integrity Services definieren Maßnahmen bei Prüfungsbetrug wie z.B. Recordings der Online-Prüfungsmitschnitte von bis zu 7 (!) Jahren. Ein klares aber konsequentes Programm, was auch in Australien nicht unumstritten ist. Die Hochschulen dort wollen Geld verdienen – die Online-Lehre mit Online-Prüfungen werden als neuer Weg gesehen, um neue Studierende für ein Distanzstudium als neue Kund*innen zu gewinnen.

Fazit und Danksagung

Von Australien lernen heißt ePrüfen lernen – das war die provokative Überschrift von diesem Blog. Beide Impulse verdienen es, weiter untersucht zu werden, hier ein erstes Fazit zu den Invigilated Exams: Eine wie in Australien immer angebotene Wiederholungsprüfung nach 4 Wochen ist in der knappen vorlesungsfreien Zeit bei HAW’s im Frühjahr nur schwierig zu realisieren, bei Universitäten oft schon die Regel. Dreh- und Angelpunkt bei invigilated exams ist die Aufsicht. Der Verzicht auf eine ernstzunehmende Fernaufsicht per Video bedeutet, dass gut vernetzte Studierende, die auch über die finanziellen Mittel für einen Einkauf von Prüfungszuarbeiten verfügen, ganz klar einen Vorteil gegenüber anderen Studierenden haben. Die erzielten Noten werden kaum mehr vergleichbar. Eine bleibende Wertigkeit des erzielten Hochschulabschlusses müsste aber im Interesse aller Studierenden sein – wie fatal wenn die Abschlüsse in der Pandemiezeit pauschal als „Schummelabschlüsse“ diskreditiert werden könnten! Die Tendenz geht jedoch in die andere Richtung – gerade geht der badenwürttembergische Landesbeauftragte gegen den Einsatz von Überwachungssoftware bei Online-Prüfungen in Hochschulen vor. Es werden sogar aktiv Studentinnen oder Studenten gesucht, die gegen die Überwachungspraxis rechtlich vorgehen wollen. Es bleibt also weiter spannend.

Vielleicht ergibt sich ja doch noch die Gelegenheit für eine Forschungsreise an die University of the Sunshine Coast …. My very sincere thanks to Mathew Hillier, Phillip Dawson, Dionne Amato Ali and Keith for your inspiring discussions!

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