KI und Hochschule, eine Hochzeit im Himmel

KI und Hochschule, eine Hochzeit im Himmel

19.04.21

Bild: Abbildung von Gehirn auf rosa Hintergrund. Text: Blogbeitrag. Kurzweil und Langeweile in der Cloud. Ein nicht zu ernst gemeinter Kommentar.

Künstliche Intelligenz als Bedrohung für die Menschheit oder bald ebenbürtige Gesprächspartnerin im Studium? In diesem Blogbeitrag räumt Reinhard Karger mit einigen Irrtümern auf und teilt seine Sicht auf die Beziehung von KI und Hochschule.

 

Hochschulen sind Orte des Wissens, der Wissensvermittlung und des menschlichen Lernens. Künstliche Intelligenz ist die Digitalisierung menschlicher Wissensfähigkeiten. Klingt wie eine Hochzeit im Himmel. Das ist korrekt. Bedarf aber einer Analyse.

In den Hochschulen ist viel Platz für Wissenschaft, aber nicht für Magie. Maschinen können beim Nutzenden zwar eine magische Wirkung entfalten, haben aber keine. Damit sind wir bei Künstlicher Intelligenz. Bei KI geht es um leistungsfähige maschinelle Wissensverarbeitung und Werkzeuge. Das ist offensichtlich so, gerät aber durch übergriffige Schlagzeilen, Marketing-Aussagen und fiktionale Inszenierungen in den Hintergrund. Befördert werden illusorische Erwartungen, unrealistische Leistungshoffnungen. Behindert wird Werkzeugrealismus. Da ist keine Zauberei in der Maschine.

Das gesellschaftliche Resultat der medialen Überpointierung von KI-Erfolgen ist insofern bedenklich, als es die Maschine stark und den Mensch schwach erscheinen lässt.

Das hat Konsequenzen, weil es existentielle Verunsicherung, gesellschaftliche Resignation und Zukunftsskepsis befördert und nicht eine offene Haltung stärkt, die geprägt ist durch Innovationsaffinität und tätiger persönlicher Urteilsbefähigung. Die wichtigste Kulturtechnik des 21sten Jahrhunderts ist die Schaffung und Erhaltung der eigenen intellektuellen Plastizität, die Erarbeitung und Anpassung an hochdynamische technische Entwicklungen, die innerhalb einer kurzen Zeit den Gegenstandsbereich oder die Grenzen des Faches, das man studiert hat, beeinflussen oder grundsätzlich verändern. Dramatisch ist, dass wir die ausgestreckte Hand der Aufklärung nicht ergreifen. Das Selberdenken als Fundament der wissenschaftlichen Methode verliert an Ausstrahlungskraft und Wirksamkeit, weil suggeriert wird, dass Maschinen, wenn nicht heute, dann doch bestimmt spätestens morgen, den Menschen überflügeln werden.

Das stimmt durchaus in vielen relevanten, aber nicht in den wesentlichen Dimensionen. Pipettierroboter sind essentiell für die Genanalyse, für die Durchführung von Reihenuntersuchungen. Sie sind schneller und präziser als Menschen, sollen das auch sein. Die Prozesse laufen 24/7, sind überaus monoton. Wenn Maschinen diese Aufgaben übernehmen, ist das gut für das Ergebnis und wunderbar für die Menschen, die in kürzerer Zeit von besseren Medikamenten profitieren können.

Aber es ist keine Gefahr für die Menschheit oder die Menschlichkeit. KI ist eine Gefahr für den Menschen, der sich selbst nur als Funktion versteht. Menschliche Intelligenz ist multidimensional, zeigt sich in sensomotorischen, kognitiven, emotionalen und sozialen Fähigkeiten. Menschen setzen Wissensfähigkeiten ein beim Erkennen und Benennen von Objekten, beim Verstehen von Sprache, bei der Produktion von Sätzen, Texten, Geschichten oder beim „Lesen zwischen den Zeilen“. Aber auch das Geben und Greifen, das Gehen und Ausweichen sind intelligente menschliche Fähigkeiten, bei denen Ziel und Plan, Aktion und Kontext berücksichtigt werden. In den meisten dieser Dimensionen sind Menschen den Maschinen überlegen, allerdings sind die KI-Fortschritte der vergangenen zehn Jahre erfreulicherweise bemerkenswert. 

Der größte Irrtum im aktuellen Diskurs über KI ist die Unterstellung, dass der nächste logische Schritt die sich selbst bewusste Maschine sein wird. Wenn der Unterschied verschleiert wird zwischen „allgemeiner künstlicher Intelligenz“ und „künstlicher allgemeiner Intelligenz“.

Das Erste, die „allgemeine künstliche Intelligenz“, ist die Hoffnung. KI als Baukasten und Universalwerkzeug. Das Zweite ist Fiktion, die „künstliche allgemeine Intelligenz“, die sich nur denken lässt als eine Maschine mit Motiven, einem eigenen Willen und Vorstellungen, mit eigenen Zielen und Plänen. Ganz bestimmt ist die Wünschbarkeit einer solchen uns dann vollkommen unbekannten künstlichen Daseinsform mindestens zweifelhaft. Sie ist aktuell nicht existent, mittelfristig nicht erwartbar. Eine Maschine hat keine produktive Einbildungskraft, keine Selbstwirksamkeit, keine Leidensfähigkeit, insofern sollten wir uns nicht von Blockbustern und Bestsellern hypnotisieren lassen, sondern die vorhandenen Werkzeuge befähigen und die zukünftigen entwickeln, so dass wir schneller schlauer sind und Probleme besser lösen.

Hochschulen und Studierende haben dieselben Ziele. Das Studium soll die Studierenden in die Lage versetzen, einen für die Gemeinschaft konstruktiven und volkswirtschaftlich produktiven Beitrag zu leisten, so dass sie ein erfülltes und glückliches Leben führen können, in dem sie Beruf und Familie vereinbaren und die gesellschaftliche Entwicklung kreativ befördern. Damit sind alle Disziplinen und Fachrichtungen gemeint. Was kann KI und wie kann KI auf diesen Wegen und für die Zielerreichung helfen? 

KI beschleunigt den Weg zur Erkenntnis – das sind die Flitterwochen – für die, die auf diesem Weg sind, die etwas verstehen wollen, die Fragen haben, die das Wissen und die Wissenschaft suchen, um Fortschritte zu machen. Bildung ist diskursiv, und die Hochschule ist der Raum für das Gespräch. KI ersetzt nicht den Gesprächspartner. KI verbessert die Recherche, verbessert die Vorbereitung für die Lehrenden und die Nachbereitung für die Lernenden, automatisiert aber nicht das Verstehen. Das muss jeder selber leisten. Der Groschen fällt nur im eigenen Kopf. Auch behalten muss man das Verstandene immer noch selber. Wie kann KI das Verstehen beschleunigen? Indem beliebige Fragen beantwortet werden. Und zwar zügig und zu jeder Zeit. Wir sollten deshalb in Deutschland KI weiterentwickeln, um Wissensdialoge mit Wikipedia zu ermöglichen. Dabei geht es nicht um die Fragen nach Fakten, Orten, Daten, sondern um einen Mensch-Maschine-Dialog, um Positionen und Zusammenhänge, um die Abwägung von Wirkungen und Folgen auf der Basis der Auswertung der verfügbaren übergroßen Wissensräume und in Kenntnis der Ursachen und Gründe.

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