Online-Konferenzen in Zeiten von Corona – Ein Erfahrungsbericht
Online-Konferenzen in Zeiten von Corona – Ein Erfahrungsbericht
10.08.20Die Ausnahmesituation des vergangenen Semesters zwang Hochschulen dazu, nach neuen Lösungen für die Online-Lehre zu suchen. Das galt auch für Konferenzen. Es wurden zunächst vielfach Online-Formate organisiert, die eine „normale“ Konferenz digital Schritt für Schritt zu replizieren versuchten. Die Übertragung physischer Formate auf digitale Räume ist jedoch nur ein stückweit möglich und erfordert vielmehr das Erproben neuer Modelle. Dr. Lars Schmeink hat als Organisator der erfolgreichen CyberPunk Culture Conference im Juli 2020 ein solches digitales Experiment gewagt und teilt seine Erfahrungen in diesem Blogbeitrag.
Anfang Juli hatte ich, Dr. Lars Schmeink, die Gelegenheit, eine „digital-only“ Konferenz mit ca. 35 Präsentierenden und 120 Teilnehmenden zu organisieren, mit der ich versuchte, akademische Konferenz neu für den digitalen Raum zu denken. Angesichts der positiven Evaluationen von Teilnehmer*innen scheint die CyberPunk Culture Conference 2020 erfolgreich gewesen zu sein. Daher möchte ich die Chance nutzen, ein paar Gedanken zu den Herausforderungen und Möglichkeiten einer digitalen Konferenz aufzuschreiben und an dieser Stelle zu teilen. Vorab sei dazu bemerkt, dass ein Thema wie ‚Cyberpunk Culture‘ sich naturgemäß besonders gut für eine Online-Konferenz eignet, und dass einige Teilnehmer*innen bereits Vorerfahrung mit den genutzten digitalen Werkzeugen hatten. Dennoch denke ich, dass die Konferenz ein Modell sein kann, da nicht alle Teilnehmenden ‚digital natives’ sind und ein Grundgedanke bei der Organisation war, eine möglichst niedrige technische Hürde für die Teilnahme zu haben.
Aufbau
Die grundlegende Planung der Konferenz funktionierte für mich wie bei einer physischen Konferenz. Ich erstellte mit Hilfe eines einfachen WordPress Theme (Event) eine Website, um dort den Call for Papers, Ankündigungen, Registrierung und Hinweise für Teilnehmer*innen zu posten. Die Registrierung erfolgte durch ein Plugin (The Events Calendar), das automatisch alle notwendigen Informationen verschickte und Daten in Listen zusammentrug. Den CfP teilte ich über Newsletter und Webseiten in der Wissenschaftsgemeinde und darüber hinaus auf Social Media wie Twitter, um auch außerhalb des Feldes Aufmerksamkeit zu generieren. Dadurch war es möglich, auch nicht-wissenschaftliche Teilnehmer*innen für die Konferenz zu gewinnen.
Grundsätzlich kann ich sagen, dass die Konferenz nur geringe Kosten aufgeworfen hat und von mir alleine organisiert werden konnte. Das liegt vor allem daran, dass hohe Kosten für die Anreise von Gästen, das Catering, oder auch die Saalmiete am Konferenzort komplett entfallen sind. Um die verbleibenden Kosten für Hosting, Software-Lizenzen, und Gebühren für grafische Details zu bezahlen, richtete ich einen Spendenaccount bei Ko-Fi.com ein. Dort konnten Teilnehmende auf freiwilliger Basis einen Kaffee kaufen (3 Euro) – wer finanziell nicht gesichert ist, konnte kostenlos an der Konferenz teilnehmen.
Präsentationen
Die Organisation der Präsentationen selbst erschien mir der wichtigste Punkt bei der Umsetzung auf digitale Formate. Zum einen stellt sich hier die Frage nach der hohen technologischen Hürde synchron abgehaltener Events mit Hilfe von Tools wie Zoom oder Skype. All diesen Apps liegt die Annahme zugrunde, dass Präsentierende wie auch das Publikum eine stabile und hochleistende Internetverbindung haben, die über eine relativ lange Zeit vorhanden sein muss, ebenso sowie Zugriff auf Kamera und Mikrofon. Angesichts der Erfahrungen im Home Schooling, einer niedrigen Verbreitung von schnellen Leitungen, der möglichen Pflege von Angehörigen und anderer Einschränkungen durch persönliche oder berufliche Situationen im Moment einer globalen Krise, scheint mir diese Annahme eher problematisch. Hinzu kommt, dass die Konferenz international ausgelegt war und Teilnehmende aus einem Zeitzonenbereich von über 12 Stunden vereinte. Eine vollständig auf synchrone „Live“-Übertragung ausgelegte Konferenz hätte einen Teil des Publikums ausgeschlossen. Die Lösung war für mich die Entkoppelung von Präsentation und Diskussion. Alle Präsentationen wurden bereits vor dem eigentlichen Termin der Konferenz veröffentlicht und standen über eine Woche zur asynchronen Nutzung bereit. Die Diskussion der einzelnen Beiträge war dann für die Zeit der Konferenz angesetzt, so dass ein direkter Kontakt mit den präsentierenden Wissenschaftler*innen möglich war.
Zum anderen stellt sich die Frage nach der technischen Befähigung der Präsentierenden, die zumeist von Organisatoren überschätzt wird. Nicht jeder hat Zugang zu technischem Support oder die Fertigkeiten, eigenständig ein Video zu produzieren. Um aber allen Präsentierenden gleichermaßen eine Chance zu geben, ihren Vortrag zu halten, habe ich zwei verschiedene Optionen angeboten. Einerseits konnten Präsentierende ein Video vorab aufnehmen und auf ihren eigenen YouTube oder Video-Kanal hochladen. Andererseits konnten Präsentierende sich auch für eine Text- und Bild-Lösung entscheiden und so ohne Technologie auskommen. Die eingereichten Beiträge variierten entsprechend von Bildern mit Textmanuskript, über Voice-Over Videos von PowerPoint, bis hin zu künstlerisch gestalteten Videoperformances. Die Vielfalt empfinde ich als Bereicherung, was auch in den Evaluationen bei Teilnehmenden ähnlich bewertet wurde. Ich lud alle Präsentationen auf der Konferenzwebseite hoch bzw. bettete sie dort ein, damit die Videos weiterhin im Zugriff der Präsentierenden liegen. Die Freigabe der Präsentationen erfolgte eine Woche vor der eigentlichen Konferenz.
Als weiteren Punkt möchte ich darauf hinweisen, dass die Aufmerksamkeit bei online präsentierten Vorträgen zu beachten ist, da stundenlange Videostrecken am Monitor deutlich ermüden können. Das bislang übliche Format von 20-minütigen Vorträgen und anschließender Diskussion erschien mir daher ungeeignet und den Anforderungen des neuen Mediums nicht zu genügen. Um also eine leichtere Nutzung der Präsentation zu erreichen, bat ich die Präsentierenden, sich an ein 10-Minuten Zeitlimit zu halten. In der abschließenden Evaluation haben Präsentierende zwar darauf verwiesen, dass das neue Format eine Herausforderung sei, die aber zugleich auch einen andere Schwerpunksetzung ermöglichte und als positiv empfunden wurde. Vor allem aber hat sich das Publikum in der Evaluation für das Format ausgesprochen. Die kurzen Präsentationen ließen sich in den hektischen und komplizierten Alltag besser einbauen. Dadurch war es möglich, mehr Präsentationen zu rezipieren und besser an der Konferenz teilzunehmen. Auch die Option, Vorträge anzuhalten, Fachbegriffe nachzuschlagen oder ein Argument ein zweites Mal nachzuvollziehen, wurden als sehr positiv bewertet. Insgesamt war dies ein wesentlicher Aspekt, der zum Erfolg der Konferenz beigetragen hat.
Diskussionen
Auch in Bezug auf die Diskussionen, war mir der einfache und asynchrone Zugang ein wichtiges Anliegen. Ich entschied mich daher gegen ein Video-Tool (Zoom, Skype, etc.) und stattdessen für einen textbasierten Chat-Server mit individuellen Kanälen für jede Präsentation. Im Rahmen der Konferenz setzte ich daher einen Discord-Server auf. Das Tool ist kostenlos, funktioniert auf allen Betriebssystemen und kann ohne Installation vom Browser betrieben werden. Die textbasierten Chats haben darüber hinaus einige Vorteile. Das Publikum kann auch mit geringer Bandbreite an der Diskussion teilnehmen, etwa per Mobiltelefon, und auch ohne zeitliche Einschränkungen. Präsentierende und Publikum standen in direktem Kontakt durch ein fixes Zeitfenster von 30 Minuten an den Konferenztagen, die speziell für die jeweilige Präsentation reserviert waren. Diese synchrone Einheit wurde durch die Möglichkeit ergänzt, jederzeit auf dem spezifischen Kanal Fragen und Kommentare zu hinterlassen. Die festen Zeitfenster waren somit zwar Ankerpunkte für die jeweiligen Präsentierenden, doch die einzelnen Kanäle wurden über die volle Zeit der Konferenz, teilweise sogar noch Tage danach genutzt, um die Konversation auszudehnen. So konnten auch Personen teilnehmen, die an den Konferenztagen verhindert waren oder durch andere Zeitzonen (wie Australien) nur schlecht Zugang zu den festen Zeitfenstern hatten.
Die Konzentration der Diskussionen auf die zwei Konferenztage und die lange Zeitspanne, die einer jeweiligen Diskussion zustand, wurden in den Evaluationen sowohl von Präsentierenden als auch Teilnehmenden positiv bewertet. Die Diskussionen entwickelten sich natürlich über einen langen Zeitraum, wechselten zwischen wissenschaftlich-formellen und umgangssprachlichem Ton und erzeugten insgesamt eine offene und zugängliche Atmosphäre. Die einzige Herausforderung des Chats bestand darin, einen Überblick zu behalten, wenn sich verschiedene Diskussionsstränge gleichzeitig entwickelten. Die Textform erfordert eine gewisse Konzentration und die nicht-linearen Abläufe können anfänglich chaotisch wirken. Auf der einen Seite musste ich also weniger erfahrenen Nutzer*innen hier mit Support zur Seite stehen und würde empfehlen, ausführliche Anleitungen bereit zu halten. Auf der anderen Seite ist die soziale Dynamik von Chat-Servern eine komplett andere als bei physischen Konferenzen. Text baut mögliche Barrieren, etwa in Form physischer oder vokaler Dominanz, ab. Alle Aussagen erreichen dasselbe Level an Aufmerksamkeit. Sollte aber Discord für ein bestimmtes Publikum als Tool zu komplex sein, könnte man die Diskussionen auch mittels Video-Tools durchführen.
Ein weiterer Vorteil textbasierter Diskussionen ist, dass diese ohne großen technischen Aufwand auf die Webseite übertragbar waren. Ich konnte also Fragen und Anmerkungen zu einer Präsentation (in editierter Form) als Teil der Proceedings gestalten, die automatisch auf der Webseite erhalten bleiben. So stehen die Vorträge nicht im luftleeren Raum, sondern sind eingebettet in den sich daraus entwickelnden wissenschaftlichen Diskurs. Der gesamte Ablauf eines Vortrages, mit Diskussionen und Ergänzungen, wird somit auf der Webseite sichtbar und kann als Modell für jüngere Wissenschaftler*innen oder Studierende fungieren.
Verbesserungen
Wie bei allen Experimenten, sind auch hier nicht alle Dinge ideal gelaufen. Ich nutzte die im Nachgang erhobenen Evaluationen dazu, einige Problembereiche zu identifizieren. Zum Beispiel möchte ich dringend auf die Notwendigkeit hinweisen, klar benannte Pausen und gemeinschaftliche Events einzuplanen. Die von mir organisierte Konferenz hatte zwar einige offene Sprachchat-Kanäle, diese wurden aber nur selten genutzt, da keine dezidierten Lücken im Programm einen gemeinschaftlichen Austausch jenseits der Präsentationen vorsahen. Ich denke, wir müssen hier noch nach idealen Werkzeugen suchen, die auch die freundschaftlichen Kaffeepausen und informellen Gespräche beim Abendessen ersetzen.
Darüber hinaus erscheint es mir wichtig, noch einmal deutlich hervorzuheben, dass technisches Wissen um digitale Werkzeuge und Online-Formate nicht so stark ausgeprägt ist, wie es vielleicht erscheinen mag. Wir brauchen alle dringend Support und Hilfestellungen, uns an die neuen Formate und Medien zu gewöhnen und diese als Teil unserer wissenschaftlichen Arbeit als „normal“ in den Alltag zu integrieren. Als Konferenzorganisator würde ich beim nächsten Mal noch detailliertere Anleitungen schreiben, die mit dem Umgang der ausgewählten Tools vertraut machen. Und ich würde auf den Support der Institutionen hoffen, so dass wir alle besser mit den digitalen Tools umgehen lernen.
Ganz grundsätzlich möchte ich noch einmal darauf hinweisen, dass es kein ideales Format geben wird, dass für alle Konferenzen (oder andere Events) gleichermaßen gilt. Viel eher plädiere ich für das Experiment und das Ausprobieren verschiedenen Tools. Nur so werden wir herausfinden, was tatsächlich als „Best Practice“ in dieser neuen Welt funktioniert. Nur so werden digitale Konferenzen ein normaler und zusätzlicher Bestandteil der wissenschaftlichen Realität werden. Das ist nicht nur angesichts der Corona-Krise zu begrüßen, sondern auch, weil mit dem Klimawandel ein weiterer radikaler Moment der Veränderung auf uns zukommt.