E-Learning als Katalysator für einen lernenden Perspektivwechsel

E-Learning als Katalysator für einen lernenden Perspektivwechsel

13.05.20

Den Schock-Moment Corona kennen wahrscheinlich alle Lehrenden: Präsenz-Lehre wird es dieses Semester voraussichtlich nicht mehr geben; es wird auf E-Learning umgestellt. Was auf den Schockmoment folgt und wie er zum Katalysator für einen Perspektivwechsel führt, erklärt Prof. Dr. Ralph Sonntag (Gründungsschmiede HTW Dresden) in diesem Beitrag.

So dürfte es wohl ungefähr ausgesehen haben, der Keine-Präsenz-Lehre-Schock.

An allen Schulen, Hochschulen und Bildungseinrichtungen ist ein – zugegebenermaßen erzwungener – Schub an Digitalisierung im Sinne von E-Learning zu sehen. Digitale Formen werden jetzt plötzlich als reale Optionen der Gestaltung von Lehren und Lernen gesehen und umgesetzt.

Corona ist der Impuls für Veränderungen

In der Vergangenheit haben wir uns oft gefragt, wie die Notwendigkeit von Digitalisierung in der Hochschulbildung verdeutlicht werden kann, um Veränderung aufzuzeigen und zu initiieren. Im Sinne eines Change-Managements war immer klar, dass zu Beginn von Veränderungen ein Initial, ein Impuls, ein Schock stehen muss, damit sich Organisationen mit neuen Themen beschäftigen, Ideen entwickeln und integrativ abbilden:

Change-Management-Prozess in Anlehnung an Streich (1997).

 

Durch COVID-19 haben wir jetzt diesen Impuls: Seit Mitte März 2020 ist klar, dass die Präsenzlehre nicht stattfinden wird und dass Hochschulen alles tun müssen, damit die Studierenden trotzdem erfolgreich studieren können.

Der Digitale Raum mit seinen Möglichkeiten und auch Grenzen war ad-hoc das Mittel der Wahl. Es war kein intrinsisch gesteuerter Veränderungsprozess, aus der Organisation oder den Lehrenden heraus. Durch den externen Impuls fokussierte sich jede*r Hochschulangehörige darauf, was wichtig ist und was dem Studienerfolg nutzt. Wir haben gemerkt, es geht nicht primär um Change-Management, sondern um Change-Activities.

Für die Zukunft ist zu überlegen, welche Art von Veränderungen im Sinne von Change-Management entwickelt und begleitet werden können. Sind eventuell grundlegende und damit disruptive Veränderungen gar nicht durch einen klassischen Change-Prozess abbildbar, sondern warten sozusagen auf einen Schock-Moment oder Katalysator, damit Veränderung startet bzw. an nötigen Schwung gewinnt!?

#studierenfirst

Wir waren und sind auf einmal durch den Schock und Impuls in einem deutschlandweiten Digitalisierungstrend, sicherlich auch mit vielen Fragen, Restriktionen und Ängsten. Das Entscheidende aus meiner Sicht ist, dass das Lernen und damit ein „Gut Studieren“ in den Vordergrund gerückt sind. Nicht nur „Gute Lehre“ ist entscheidend, sondern dass die Studierenden gut lernen können, ist das vorrangige Ziel von Hochschulen und ihren Lehrenden. Bologna, Kompetenzorientierung, Constructive Alignment sind sachlich und Oder doch eher so?wissenschaftlich hergeleitet und wurden von vielen Lehrenden im Sinne von Early Adopters umgesetzt (s. Everett M. Rogers: Diffusion of Innovations). Diese Early Adopters agieren wiederum als Multiplikatoren für diese Hochschulentwicklungen und Innovationen, indem sie die Late Majority beeinflussen.

Jetzt sind die Change Activities (und nicht Change Management) und die Diffusionstheorie zusammengekommen, so dass wir in kürzester Zeit eine Beschäftigung mit und auch Akzeptanz von E-Learning erreichen.

Es ist jetzt eine Entwicklung in Gang gekommen, die bei jedem selbst von innen heraus kommt. Nicht eine Debatte von Technik oder Didaktik bestimmt die Entwicklung, nicht ein von der Organisation gesteuerter Change-Prozess, sondern der innere Antrieb des Lehrenden, der Grund, warum wir für Lehre brennen, ist ausschlaggebend.

Sieben nachhaltige Entwicklungen für die Bildung

Momentan konzentriert sich vieles auf das „Funktionieren von E-Learning“. In der akuten Situation mag dies verständlich sein. Für die Digitale Hochschulbildung bedeutet das aus meiner Sicht darüber hinaus, die Ermöglichung der folgenden sieben nachhaltigen Entwicklungen:

  1. Reflexion und Partizipation: Alle Lehrenden merken gerade, dass es nicht die eine Digitale Strategie gibt oder dass die eigene Hochschulleitung eine Strategie vorgibt. Der Lehrende und auch die/der Lernende wird den Lehr-/Lernprozess reflektieren und Ableitungen für sich und die Gestaltung des eigenen Lehrens und Lernens vornehmen. Ein Wandel entsteht bei einem selbst und damit wird aus jedem Mitglied der Hochschule, gerade auch in der Gruppe der Studierenden, ein Veränderer im Sinne eines gemeinsam getragenen partizipativen Prozesses im Zusammenhang mit Digitalisierung.
  2. Digitale und didaktische Kompetenzen: Die plötzliche Umstellung auf Online-Lehre hat jedem im Bildungsbereich vor Augen geführt, dass die Methodik der Wissensaneignung und des Kompetenzaufbaus durch Didaktik und auch digitalen Medien die Basis und der Ausgangspunkt jeglicher Lehre und Lernen ist. Zukünftig wird die Methodik der Wissensvermittlung und die Interaktion sowie der resultierende Kompetenzaufbau in Studiengängen gleichwertig mit der eigentlichen Lehrstoffvermittlung gesehen werden.
  3. Infrastruktur für das Lernen: Die Online-Lehre in diesem Semester hat uns gezeigt, wie wesentlich die Organisation von Lernen und die Infrastruktur für den Lehr- und Lernerfolg sind. Für die Präsenzlehre in der Zukunft bedeutet das, dass Aspekte des Lernens sich in der Raumgestaltung von physischen Lehr- und Lernräumen wiederfinden werden. Die Konzeption und Umsetzung flexibler Raumlösungen für unterschiedliche Lehr-/Lernkontexte und die Aneignung von Handlungskompetenzen der Studierenden werden so bei der Planung, Anpassung und Entwicklung von Räumen deutlicher als bisher berücksichtigt.
  4. Digitalisierung in den Studienangeboten: Nach einer Konzentrationsphase auf E-Learning mit einem starken Fokus auf Medientechnik kann so von den Fakultäten das Thema Digitalisierung mit dem Ziel zur Vorbereitung und Ausbildung von Studierenden für Arbeitswelten, die zunehmend durch Digitalisierung geprägt sind, verstanden und in den Studienangeboten abgebildet werden.
  5. Individualität von Kompetenzen: Studierende benötigen aufgrund ihrer Individualität ein individuelles Kompetenzset für zukünftige – von Multi- und Interdisziplinarität geprägte – Berufswelten. Dieses kann nur erreicht werden, wenn die Studienangebote derart gestaltet sind, dass flexible und die Diversifikation von Lernenden berücksichtigende Studienwege ermöglicht werden.
  6. Bildung gesamtheitlich denken: In einer von Digitalisierung durchdrungenen Berufswelt sind vielfältige Handlungskompetenzen notwendig. Kompetenzen aus den verschiedensten Disziplinen, inklusive Schlüsselkompetenzen, gewinnen an Bedeutung und machen eine gleichzeitige Betrachtung von Berufs- und Hochschulausbildung notwendig. Aus Sicht des Lernenden sind duale und triale Ausbildungswege genau solche Bildungsangebote, die der Flexibilität und Durchlässigkeit von Bildungswegen Rechnung tragen. Die Qualifikationsziele in beruflicher Ausbildung und wissenschaftsorientiertem Studium haben zum Teil eine hohe Schnittmenge, deren Synergie oft unzureichend genutzt wird.
  7. Basis für Lebenslanges Lernen: Zunehmende Komplexität, eine Vielfalt an Technologien und Unsicherheit werden die Berufswelt in der Zukunft prägen. Damit gewinnt „Lebenslanges Lernen“ nicht nur an Bedeutung, sondern ist die Basis einer jeglichen Unternehmensentwicklung und damit des Wohlstandes einer Volkswirtschaft. Durch die Umsetzung von Flexibilität hinsichtlich Raum, Zeit, Medien sowie Kompetenzbreite und -tiefe, sowie der Nutzung einer Vielzahl methodischer Instrumente, schaffen die Bildungsanbieter jetzt die Basis für die Ermöglichung von „Lebenslangem Lernen“.

Endlich lernen

Wir sind mitten im Change, wir alle sind Veränderer unseres Selbst, der Lehre und des Lernens und der Organisation Hochschule.

Hochschule entwickelt sich zunehmend
zur lernenden Organisation im doppelten Sinne.

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