Corona als Lernauslöser im Bildungssektor. Interview mit Prof. Dr. Ada Pellert

Corona als Lernauslöser im Bildungssektor. Interview mit Prof. Dr. Ada Pellert

06.04.20

Ada Pellert

Welche Herausforderungen hat eine Fernuniveristät in Zeiten von Corona? Fakt ist: Die FernUniversität in Hagen hat den Semesterstart nicht verschoben, sondern ist regulär am 1. April 2020 ins neue Semester gestartet. Im Interview mit Prof. Dr. Ada Pellert, Rektorin der FernUniversität in Hagen und Mitglied des Digitalrates der Bundesregierung, konnten wir erfahren wie Lehrende und Studierende auf die jetzige Situation gut vorbereitet werden können und wie die Vernetzung der Hochschulen in NRW funktioniert. 

Ada Pellert

Interview mit Ada Pellert zum Coronasemester

Hochschulforum Digitalisierung: Universitäten, die bisher hauptsächlich auf Präsenzlehre gesetzt haben, müssen jetzt auf digitale Lehrformate umsteigen. Welche Herausforderungen sehen Sie an den Hochschulen in dieser Situation und was halten Sie für praktikable Lösungen in der Krisensituation?

Prof. Dr. Ada Pellert: Zum einen ist es schwierig das vorhandene Präsenzlehrkonzept einfach über Nacht zu digitalisieren. Das ist kein Erfolgsrezept. Ich würde deshalb eher empfehlen, dass man kurz innehält und sich fragt, worum es geht. Im Grunde muss man überlegen, wie man einen Lernenden, der nicht vor Ort ist, bestmöglichst unterstützen kann. Ich muss also den Schalter ein Stück weit umlegen und sagen: “Ok, der/die ist jetzt in einer ganz anderen Umgebung. Was kann ich organisieren an Unterlagen und Unterstützung, um das Lernen zu Hause zu ermöglichen?” Das ist ein anderes Denken als einfach die Präsenzlehre in ein digitales Gefäß zu gießen.
Aber es ist natürlich herausfordernd, denn man braucht für diese mediendidaktische Umstellung eigentlich Zeit. Im Moment werden die Präsenzuniversitäten Corona-bedingt gezwungen, das über Nacht zu machen. Das löst natürlich viel Stress und Hektik aus.

 

HFD: Wie schätzen Sie die Rolle der FernUniversität in Hagen in der aktuellen Situation und mittelfristig bzw. langfristig ein? Welche Unterstützung kann die FernUniverisät den Präsenzhochschulen in Deutschland bieten?

Prof. Dr. Ada Pellert: Ganz kurzfristig haben wir begonnen, das was wir an mediendidaktischer Weiterbildung auf verschiedensten Kanälen haben, z.B. Selbstlernkurse, Videos oder Showrooms guter Praxis, den anderen Hochschulen ganz schnell und niedrigschwellig zur Verfügung zu stellen. Und auch unsere Experten und Expertinnen im Bereich E-Learning und Mediendidaktik werden ganz gut angenommen. Das passiert vor allem kurzfristig, weil unsere Kollegen und Kolleginnen der anderen Hochschulen JETZT Unterstützung brauchen. Wir haben dazu gemeinsam mit dem Hochschulforum Digitalisierung die Community of Practice „Starthilfe für das Corona-Semester – FernUni-Expert*innen unterstützen“ initiiert, die am 8.4. losgeht. Parallel, glaube ich, sind wir im Moment in einem großen realen Labor: Digitale Bildung – was heißt das für Lehre und Lernen,  wie können wir die Erfahrungen sichern, die wir im Moment machen, und wie können wir uns in diesem Bereich insgesamt noch einmal stärker aufstellen. Da sollte man die Erfahrungen einer Fernuniversität, die schon viele Jahrzehnte ein orts- und zeitunabhängiges Studium organisiert, aufnehmen und verarbeiten.

 

HFD: Die Umstellungen auf die digitale Lehre an den Universitäten muss jetzt vor allem schnell gehen – wie lässt sich dennoch gewährleisten, dass aktuelle Bemühungen die Lehre an Hochschulen nachhaltig positiv prägen?

Prof. Dr. Ada Pellert: Zwei Ebenen sind dabei wichtig. Hier in NRW haben wir z.B. die gemeinsame Einrichtung Digitale Hochschule NRW. Alle 42 Hochschulen nutzen diese Plattform, um zu sammeln was die dringendsten Bedarfe sind und was die Hochschulen brauchen, um das jetzige Learning-by-doing nachhaltig unterstützen zu können. Das wird technische, kompetenzmäßige, personelle Unterstützungsbedarfe nach sich ziehen. Man sollte also im engen Austausch bleiben, damit nicht jede Hochschule, neben vielen anderen Herausforderungen, alleine kämpfen muss. Und das zweite, was ich wichtig fände – und wir haben schon damit begonnen – ist angewandte Begleitforschung. Einfach auch forscherisch drauf zu schauen, was gerade passiert, welche Erfahrungen gemacht werden und wie man diese Erfahrungen sammeln, sichten und auswerten kann. Das ist eine interessante Forschungsaufgabe.

 

HFD: Können Sie aus Ihrer jahrelangen Erfahrung ein Beispiel für besonders erfolgreiche digitale Lehr-/Lernformate geben?

Prof. Dr. Ada Pellert: Ich denke immer dann, wenn man sich zunächst die Frage stellt, was gutes Lernen ausmacht und erst im zweiten Schritt die passende technische Lösungen sucht, ist das wesentlich mehr von Erfolg gekrönt als anders herum – anstatt sich z.B. durch technische Möglichkeiten verführen zu lassen.
Ich bin eine Anhängerin von Blended-Learning und finde es wirklich wichtig zu überlegen, welchen Inhalt man in welchem Format transportieren kann. Wenn man sich mit dieser Frage beschäftigt, entstehen immer ganz besonders gute Lernarrangements.

Fernuniversität Hagen

 

HFD: In einem Statement zur aktuellen Situation schreiben Sie “Für die Umsetzung sind nationale Förderprogramme und länderübergreifende Kooperationen notwendig. Die aktuelle Situation zeigt nur zu deutlich, wie hinderlich und ineffizient das Kleinklein der Einzellösungen ist. In der Zusammenarbeit ist die Politik genauso gefragt wie die einzelnen Bildungseinrichtungen.” Wie funktioniert die länder- und hochschulübergreifende Kommunikation und Kooperation im Moment? Was muss sich ändern und welche Schritte/Maßnahmen schlagen Sie vor?

Prof. Dr. Ada Pellert: Ich komme wieder auf das Beispiel der Digitalen Hochschule NRW zurück: Es ist sehr hilfreich auf der Ebene eines großen Bundeslandes zunächst einmal Kooperationsstrukturen zu entwickeln. Das funktioniert dann, wenn alle verstehen, dass die Herausforderungen so groß sind, dass man durch Kooperation mehr gewinnen als verlieren kann. Diese Einsicht spüre ich aber aufgrund dieser massiven Herausforderungen auf Hochschulseite. Ich glaube daher, dass jetzt ein guter Moment wäre, um uns ausgehend von diesen Länderinitiativen, in denen wir diese Kooperationserfahrungen sammlen, auch ein Stück weiter zu trauen und uns zu fragen, wie eine intelligente Form der Kooperation auf Bundesebene aussehen sollte. Da muss man sich vor allem moderne Steuerungsformen überlegen und wie diese den Mehrwert der Kooperation schnell für alle zeigen.

 

HFD: Student*innen unserer Zukunfts-AG DigitalChangeMaker haben in ihrem Blogbeitrag auf unserer Homepage folgenden Wunsch geäußert: “Eine andere Möglichkeit ist, dass MOOCs von Hochschulen anerkannt werden und Fernhochschul-Kurse als auch MOOCs kostenlos absolviert werden können. Für uns Studierende gilt: Wir wollen gute digitale Lehre. Deswegen lieber “fremde” gute Lehre als schlechte Lehre der eigenen Hochschule.” Können Sie dem zustimmen? Haben Sie Pläne, solche Kooperationen mit Hochschulen einzugehen und die FernUni Hagen für andere Student*innen zu öffnen?

Prof. Dr. Ada Pellert: Ja, natürlich! Wir haben z.B. ein Angebot des Akademiestudiums, auch für alle Studierenden, die mal in ein Fernstudium reinschnuppern wollen. Da sind jetzt schon 5000 Menschen unterwegs, die einfach mal Teile eines Studiums ausprobieren wollen. Es können einzelne Kurse oder Module in verschiedenen fachlichen Richtungen gemacht werden und diese kann man sowohl auf die Bachelor- und Masterprogramme bei uns anrechnen lassen als auch bei anderen Hochschulen. Ich denke wir haben durch die ETCS-Logik des Bologna-Systems eine wunderbare Währung für solche Anrechnungen.
Der Gedanke, dass man auch woanders was lernen kann, das in der eigenen Hochschule angerechnet wird, ist kein neuer – er wird jetzt nur durch die Digitalisierung beschleunigt. Die Lehre wird durch die Digitalisierung ein Stück transparenter – ich kann mir jetzt einen MOOC des MIT ansehen und ich fange an als Student*in zu vergleichen. Lehre wird sozusagen durchsichtiger und ich glaube wir tun gut daran stärker über Anrechnung nachzudenken.
Das Profil der eigenen Universität erhalte ich dadurch, indem ich die Qualitätskriterien bestimme. Dann spricht nichts dagegen, dass man sich die Fülle, die sich durch digitale Lehre jetzt ergibt, für die eigene Einrichtung erschließt.

 

HFD: Wie funktioniert das Onboarding neuer Lehrender bei Ihnen, die zuvor in der Präsenzlehre gearbeitet haben? Welches Know-how geben Sie ihnen mit auf den Weg? 

Prof. Dr. Ada Pellert: Das ist ganz wichtig. Die FernUniversität ist in ihrer Forschungsfunktion eine ganz traditionelle Universität, aber das Studienmodell ist eben ein anderes. Wenn jemand von einer Präsenzuniversität kommt, nehmen wir uns am Anfang Zeit in der Heranführung. Allein unsere Supporteinrichtungen, unser Logistikzentrum, unser Videostudio, wie werden die Studienbriefe produziert, welche Lernplattformen gibt es,….
Es gibt für jeden neuen Professor und für jede neue Professorin ein sehr individuelles Onboarding und natürlich auch eine Reihe von Supporteinrichtungen, die gerade am Anfang dabei helfen, die frischen neuen Ideen zu unterstützen, aber diese auch gleichzeitig in unsere Formate zu bringen. Das läuft nur über guten Service und die meisten Lehrenden sind da sehr neugierig, offen und auch froh, wenn sie diese Unterstützung bekommen. Dann gibt es für z.B. wissenschaftliche Mitarbeiter*innen, die sich längerfristig in dem Bereich qualifizieren wollen, auch unser E-teaching-Zertifikat. Da kann ich neben einzelnen Kursen auch in meine eigene Qualifizierung, über die sich dann auch jede anderen Universität freut, investieren.

 

HFD: Wie bewerten Sie die Reaktion der Politik & Wissenschaft auf die Corona-Krise in Bezug auf die Hochschulen? Empfinden Sie die Maßnahmen als ausreichend? Was würden Sie sich zusätzlich noch an Unterstützung wünschen?

Prof. Dr. Ada Pellert: Ich komme wieder auf NRW sprechen, da haben wir das Glück, dass wir die Kooperationsplattform Digitale Hochschule NRW geschaffen haben und damit eben auch einen Bündelungspunkt haben, der mit der Politik schneller etwas klären kann, als 42 Hochschulen alleine. Es ist ein großes Ziel, die Hochschulen bei der Digitalisierung zu unterstützen. Die Politik hat auch erkannt, dass Corona eine Art Lernauslöser ist, den man aber auch mit Ressourcen unterstützen muss. Ich bin hoffnungsfroh, dass dies möglich ist. Die NRW-Wissenschaftsministerin Isabel Pfeiffer-Poensgen hat schon in Aussicht gestellt einen „Corona-Topf“ für die digitale Lehre zur Verfügung zu stellen, damit die Erfahrungen, die jetzt alle machen, eben nicht verpuffen, sondern das Tun unterstützt werden kann.

 

HFD: Es sind also vor allem finanzielle Aspekte, die Sie in dieser Situation als unterstützend empfinden und die Sie brauchen?

Prof. Dr. Ada Pellert: Das eine sind natürlich die Ressourcen, aber das andere sind die Rahmenbedingungen, insbesondere auch die rechtlichen Rahmenbedingungen, z.B. im Bereich der Prüfungen. Ich denke das Problem haben jetzt alle – übrigens auch wir: Wie stellt man Prüfungen in digitaler Form? Gerade beim Thema Prüfungen werden jetzt alle damit konfrontiert, dass es rechtlich nicht so einfach ist auf digitale Formen umzustellen. Da werden wir sehr rasch einen großen Schritt nach vorne tun müssen – miteinander– und dafür brauchen wir natürlich die Politik.

Fernuniversität in Hagen

 

HFD: Vernetzung und Austausch ist in dieser Zeit besonders wichtig: Welche Kooperationen haben Sie jüngst angestoßen? 

Prof. Dr. Ada Pellert: Wir als Fernuniversität sind sehr eng im Verbund der Europäischen Fernuniversitäten (EADTU) kurzgeschlossen.

 

HFD: Sie kooperieren z.B. auch mit dem Hochschulforum Digitalisierung. Die Kooperation läuft unter dem Titel Community of Practice – Starthilfe für das Corona-Semester – FernUni-Expert*innen. Können Sie uns beschreiben, wie die Zusammenarbeit aussehen wird und in welchem Bereich Ihre Expertise vor allem gefragt ist?

Prof. Dr. Ada Pellert: Es geht da, wie der Name schon sagt, um einen gemeinschaftlichen Austausch über Erfahrungen in der digitalen Lehre. Ziel ist es schnell eine Gemeinschaft, eine Community-of-practice aufzubauen, um rasch Beispiele guter Praxis zu bekommen. Da sind unsere Medien- und Fachmediendidaktiker*innen sehr gefragt. Wir haben z.B. mit den Fachmediendidaktiker*innen ausgesprochen gute Erfahrungen gemacht, weil sie sowohl den fachlichen Hintergrund haben als auch den Kolleg*innen, die sonst nur die Präsenzlehre kennen, mediendidaktische Tipps geben können. Ich denke, wenn wir schnell Communities bilden, sollte das ein Weg sein, auf dem man sehr niedrigschwellig und fachlich konkrete Unterstützung für seine Lehre oder die Umstellung seiner Lehre bekommt. Daher die Idee, das auch gemeinsam mit dem Hochschulforum Digitalisierung zu machen.

 

HFD: Welche Herausforderungen hat die FernUniversität in Hagen in der aktuellen Situation? Wie begegnen Sie diesen Herausforderungen?

Prof. Dr. Ada Pellert: Wir sind natürlich eine große Einrichtung mit vielen Mitarbeiter*innen. Auf unserem Campus in Hagen sind 1.800 Menschen beschäftigt, von denen die meisten im Moment nicht dort arbeiten können, sondern im Homeoffice sitzen oder sitzen sollten. Wir haben also gescreent, welches die betriebskritischen Prozesse sind, damit die Betreuung der Studierenden trotz des minimalen Präsenzbetriebes weiter geht. Da haben wir ähnliche Probleme wie alle anderen Hochschulen.

Und natürlich gibt es dort Herausforderungen, wo das Studium Präsenzanteile hat, wie z.B. bei den Präsenzprüfungen. Da müssen wir natürlich auch verschieben und reagieren und schauen, dass man Härtefälle vermiedet. Aber das Sommersemester wird bei uns regulär am 1. April 2020 starten, da die erste Phase eine Phase des Selbststudiums und der Online-Vernetzung ist.

HFD: Vielen Dank für das Interview!

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