Online-Tagungen organisieren – Formate und Best Practices

Online-Tagungen organisieren – Formate und Best Practices

03.04.20

Online-Tagungen organisieren - aber nicht ohne Kaffeeklatsch

Wissenschaftler*innen experimentieren seit mehreren Jahren mit virtuellen Konferenzen. In Zeiten von COVID-19 kann die Wissenschaft auf diesen Erfahrungen aufbauen. Bei der Organisation von Online-Konferenzen sollte die Förderung von Interaktion im Mittelpunkt stehen. Im besten Fall ermöglichen Online-Tagungen damit einen vergleichbaren fachlichen und persönlichen Austausch wie ein Vor-Ort-Event, sind dabei aber nachhaltiger und diverser: Per Video-Schalte lassen sich viele Flugmeilen einsparen, außerdem erreichen sie Wissenschaftler*innen, die z.B. kein Visum bekommen oder Kinder betreuen müssen. Studierende profitieren ebenfalls von der virtuellen Teilnahmemöglichkeit, die fast immer unentgeltlich ist.  

Online-Tagungen organisieren

Online-Tagungen organisieren

Das Thema Nachhaltigkeit im Kontext wissenschaftlicher Konferenzen beschäftigt mich seit letztem Herbst im Rahmen meiner medienanthropologischen Abschlussarbeit. In diesem Blogartikel fasse ich zusammen, auf welche Formate und Empfehlungen ich bereits gestoßen bin und wo noch Experimentiergeist gefragt ist. Ergänzende Kommentare sind sehr willkommen!

Bei den verlinkten Beispielen geht es mir stets um das organisatorische Know-How, nicht jedoch um die konkrete Software, die in einigen Fällen keinen ausreichenden Datenschutz leistet. Freie Software bietet Alternativen, die bisher wenig genutzt werden. Eine Entscheidungshilfe für geeignete Open-Source-Tools finden Sie bei der Initiative #gnuHU, zudem gibt es eine Übersichtstabelle von „Bits und Bäume.

Online Tagungen organisieren

Online, offline oder beides

Wenn Sie eine (Online-)Konferenz organisieren wollen, stehen verschiedenste Formate zur Wahl. In der aktuellen Corona-Krise sind Sie freilich auf Symposien beschränkt, die komplett online stattfinden: Während viele andere Konferenzen ausfallen, können Tagungen wie die neunte Computer Science Online Conference oder die CLIMATE2020 wie geplant stattfinden. 

Als Notlösung mag die Konferenz per Mausklick praktisch sein, doch Geselligkeit und fruchtbare Gespräche kommen meist noch zu kurz. Allerdings hängt es auch von den Organisator*innen ab, wie interaktiv sich die Online-Teilnahme gestaltet; dazu gleich mehr.

Unter normalen Umständen bieten auch gemischte offline-online-Formate vielversprechende Ansätze für nachhaltige, internationale Konferenzen. Das beginnt schon damit, dass auf einer Offline-Veranstaltung einzelne, besonders weit entfernte Speaker*innen per Video zugeschaltet werden. Tipps für solche Vorträge hat Sarah E. Eaton anschaulich zusammengefasst. Die CET Beyond Oil Conference in Norwegen setzte neben virtuellen Panel-Vorträgen sogar weitere Klimaschutzmaßnahmen um, zum Beispiel ein für Konferenzgäste reserviertes Zugabteil als Alternative zu Inlandsflügen.

Seit 2018 – frühere Beispiele sind mir zumindest nicht bekannt – macht das sogenannte Multi-Hub-Modell Schule. Hierbei organisieren Wissenschaftler*innen an unterschiedlichen Standorten ein gemeinsames Konferenzprogramm: Für die ESCOM 2018 waren vier Universitäten auf vier verschiedenen Kontinenten miteinander verbunden. Die CARE Conference Reihe und das Photonics Online Meetup bestehen hingegen aus zahlreichen kleineren Hubs, in denen man sich bei einem selbstorganisierten Buffet zum gemeinsamen Anschauen des Konferenz-Livestreams trifft.

Drei technische Grund-Modi

Egal ob ausschließlich online oder gemischt: Für jede Konferenz, die eine Online-Teilnahme ermöglicht, stellt sich die Frage, wie der internationale Austausch auf fachlicher und auch informeller Ebene gefördert werden kann. Je nachdem, welchen technischen Grundmodus Sie wählen – Videoconferencing, Livestream oder Prerecordings – haben die Zuschauer*innen unterschiedliche Möglichkeiten, mit dem Geschehen zu interagieren.

Diese drei Elemente werden zum Teil auch kombiniert und/oder durch weitere Tools ergänzt.

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Videoconferencing

Gesprächssituationen wie Paneldiscussions oder Workshops lassen sich nur über Video- oder Telefonconferencing realisieren. Hierbei ist eine gute Moderation wichtig, etwa um Sprecher*innen Feedback zur Tonqualität zu geben, um Redelisten zu führen, Fragen aus dem Chat vorzulesen oder für Applaus und Lob zu sorgen.

In Videoconferencing-Tools kann der/die Sprecher*in üblicherweise ihren Bildschirm teilen, sodass ihre Folien und erläuternde Cursor-Bewegungen sichtbar sind. Eine Tonübertragung reicht dabei in vielen Fällen aus, insbesondere wenn der/die Sprecher*in ein „Profil“-Foto hinterlegt. 

Für Gruppen-Sessions oder auf kleineren Symposien können die Teilnehmenden direkt in der Video- bzw. Telefonkonferenz zugeschaltet sein. Ob sie Ton und Bild aktivieren dürfen, kann der Host meist von vornherein einstellen. Manche Tools erlauben 100 oder mehr Teilnehmende, wie z.B. Adobe Connect, das viele Hochschulen bundesweit vom Deutschen Forschungsnetz (DFN) beziehen.

Für ein größeres Publikum bietet es sich an, die Videokonferenz per Livestream zugänglich machen.

Livestreaming

Ein Livestream überträgt die Veranstaltung mit einem Zeitversatz von wenigen Minuten an eine große Zahl von Zuschauenden. Wenn Ihre Hochschule zum Beispiel DFN-Conf nutzt, dann können Sie Ihre Videokonferenz von dort aus per Streaming-Funktion an ein größeres Publikum ausstrahlen.

Live-Streaming findet oft über Social-Media-Plattformen, wie YouTube und Facebook statt, die datenschutzrechtlich bedenklich sind und zudem für Kommentare und Fragen einen eigenen Account voraussetzen. Daher sollte das von Ihrer Hochschule genutzte Tool am besten eine eigene Streaming-Funktion bieten, sodass der interne Q&A-Chat genutzt werden kann.

Ein Beispiel für ein solches Format ist das schon erwähnte Photonics Online Meetup 2020 – eine fünfstündige internationale Videokonferenz mit über 1000 Teilnehmenden und mit Poster-Sessions auf Twitter. Hier finden Sie die Learned Lessons der Organisator*innen.

Prerecorded Content

Aufgezeichnete Videos oder Podcasts können eine Lösung sein, wenn die Internetverbindung der Vortragenden unsicher ist. Es gibt ganze Konferenzen, die vor allem oder ausschließlich auf vorab aufgezeichneten Beiträgen beruhen. Der größte Vorteil ist, dass Teilnehmer*innen in jeder Zeitzone selbst entscheiden, was sie wann sehen wollen.

Ken Hiltner hat 2016 einen detaillierten Leitfaden für ein sogenanntes Nearly Carbon-Neutral Conference Model verfasst. Diese Konferenz besteht aus vorgefertigten Videos, zu denen die Teilnehmenden per Live-Chat Fragen stellen können. Zudem hat sich Hiltner mit der Barrierefreiheit von Online-Konferenzen auseinandergesetzt. 

Auf dem anthropologischen Online-Filmfestival #displace18 wurde damit experimentiert, wie vorab aufgenommene Inhalte durch Diskussionen und Workshops in dezentralen Hubs und auf Social Media lebendiger werden können: Anand Pandian hat diese Erfahrungen ausführlich festgehalten

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Austausch und Vernetzung besser fördern

Wissenschaftliche Online-Konferenzen machen es den Teilnehmenden bisher schwer, neue Bekanntschaften zu schließen und langfristig in Kontakt zu bleiben. Diese Erfahrung habe ich im Selbstversuch auch gemacht: Wenn Videoconferencing recht neu für mich ist, dann ist mir nicht unbedingt klar, dass ich im Chat auch private Nachrichten an andere Teilnehmer*innen schreiben kann. Auch fehlt der Vorwand, um einfach eine beliebige Person anzuschreiben. Ich sehe nur die Namensschilder meiner digitalen “Sitznachbar*innen”. Zwar kann ich im Netz nach ihren Forschungsinteressen suchen, finde aber nicht zu jedem Namen verlässliche Informationen. Habe ich schließlich doch noch in den letzten Minuten der Kaffeepause einen interessanten Chat angefangen, lasse ich mich dadurch leicht vom nächsten Vortrag ablenken. Und schließlich darf ich vor dem Ende der Konferenz nicht vergessen, nach der Mailadresse zu fragen oder mir den Namen zu notieren. Online-Tagungen organisieren - aber nicht ohne Kaffeeklatsch

Hier können Organisator*innen mehr Unterstützung bieten!

Ein recht beliebtes Mittel dafür sind Social Media. Oben habe ich bereits das Beispiel der Poster-Sessions auf Twitter erwähnt – aber auch ganze Konferenzen finden auf dieser Plattform statt. Auf der #ASEH Twitter Conference stellen Forschende ihr neustes Paper kurz und unterhaltsam vor, wie im Presenters‘ Guide nachzulesen ist. Übrigens bietet Mastodon eine sehr gute Open-Source-Alternative zu Twitter. 

Grundsätzlich haben Social Media den Vorteil, dass sich die Teilnehmer*innen langfristig gegenseitig folgen können und so zum Beispiel Informationen über Stellen oder Publikationen erhalten. Es kann aber nicht verlangt werden, dass sich alle Teilnehmer*innen für die Konferenz auf einer bestimmten Social-Media-Plattform anmelden.

Alternativ gibt es Anwendungen, die auf Konferenz-Teilnehmer*innen beschränkt sind. Sie bieten ähnliche Funktionen: Dazu gehören Profile und Kontaktmöglichkeiten sowie ein Infostream bzw. Forum, worin Fotos, Zitate und Höhepunkte der Konferenz geteilt, geliked und kommentiert werden können. Solche Funktionen erleichtern es den User*innen, sich zu vernetzen, sich interessante Kontakte zu merken und gegenseitig Anerkennung auszudrücken. Kommerzielle Apps existieren bereits, es wird auch mit Speeddating-ähnlichen Chat-Formaten experimentiert, um die Teilnehmenden in Kontakt zu bringen.

Im Grunde kommt es jedoch nicht darauf an, die neuste App einzusetzen. Vielmehr geht es darum, neue Gewohnheiten zu prägen. Schaffen Sie Zeit und Raum für zwanglosen Austausch, z.B. durch einen „Kaffeeklatsch“ vor dem offiziellen Beginn. Vielleicht genügt es schon am Anfang der Pausen dazu aufrufen die private Chatfunktion zu nutzen. Auch altbekannte Kennenlernspiele, wie beispielsweise ein Bingo lassen sich auf Online-Settings übertragen. Mit etwas mehr technischem Aufwand könnten Sie Breakout-Sessions organisieren, in denen kleine Gruppen von online- (und ggf. offline-)Teilnehmenden per Videoconferencing über derzeitige Forschungsprojekte sprechen.

Durch solche Rahmenangebote und wiederholte Aufforderungen schaffen Sie Verbindlichkeit. Mit der Zeit werden Teilnehmer*innen sicherlich routinierter. Zwar fühlen sich Online-Konferenzen im Moment manchmal noch holprig, befremdlich und künstlich an doch auch technisch vermittelte Kommunikation kann uns in Fleisch und Blut übergehen: Denken Sie noch bewusst übers Telefonieren nach, wenn Sie den Hörer abheben?

 

Ich danke Roland Hummel und Pacari Ponton für ihre Denkanstöße zu diesem Artikel. Zum Weiterlesen empfehle ich den Academic-Flying-Blog.

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