EdTech-Entwicklungszirkel – ein aufstrebender Zweig
EdTech-Entwicklungszirkel – ein aufstrebender Zweig
18.12.19Der EdTech-Entwicklungszirkel ist ein Pilot-Workshop des Hochschulforums Digitalisierung. Ziel ist es Potenziale von EdTech-Startups für die Hochschulentwicklung zu identifizieren und in einem kollaborativen Prozess gemeinsame Gestaltungsmöglichkeiten zu konkretisieren.
Das HFD hält eine Vielzahl von Geschichten zusammen, die sich tagtäglich mit leidenschaftlichen, innovativen Personen aus dem Team und der Community fortschreiben. Erst kürzlich kam mir wieder das Bild von einem Baum, aus dem kleine Zweige sprießen und parallel verlaufen. Im Kern führen sie über dickere Äste zusammen, vernetzen sich zu einer großen Geschichte und bilden einen üppigen Stamm. So auch der EdTech-Entwicklungszirkel – ein neues Format zur Auslotung und Sichtbarmachung von Potenzialen von Education-Startups und Innovator*innen für die Hochschulentwicklung und -lehre.
EdTech-Entwicklungszirkel
2019 startet für das HFD die Vertiefung dieser Geschichte. Und in der Tat ist sie eine Abzweigung eines bereits größer werdenden Asts, der sich im Bereich EdTech beim HFD gebildet hat. Neben dem Entwicklungszirkel schreiben sich auch weitere Innovations-Geschichten in diesem Herbst fort: Zum einen mit dem Hackathon-Format #HackYourCampus – in Zusammenarbeit mit StudySmarter an und mit Hochschulen in Deutschland – zum anderen mit dem EdTech-Kompass zum Recherchieren von Startups und etablierten Unternehmen im Bildungssegment. Doch bleiben wir beim Entwicklungszirkel: Es gibt klare Potenziale wie Hochschulen und EdTech-Startups zukünftig intensiver und auf Augenhöhe kollaborativ und ergebnisorientiert miteinander arbeiten können. Der Weg muss gemeinsam bestritten werden. Eine erste Hilfestellung bietet die Entwicklung eines gemeinsamen Verständnisses.
An manchen Ecken und Enden hakt es
Beim Gedanken an Startups und Hochschulen prallen zunächst zwei Welten aufeinander. Auf der einen Seite sind junge Unternehmen agil und darauf angewiesen schnell und früh erste Schritte zu machen. Anders sieht es bei den Hochschulen aus, die sich in ihren Entscheidungsprozessen etwas mehr Zeit lassen können und – je nach Ausmaß des angestrebten Veränderungsprozesses– auch mehrere Entscheidungsinstanzen einschalten müssen. Hier braucht es eine Sensibilisierung für die unterschiedlichen Organisationskulturen und-strukturen von Hochschulen und Startups.
An dieser Stelle kommt der EdTech-Entwicklungszirkel ins Spiel. Denn der Zirkel setzt sich zusammen aus Hochschulvertreter*innen auf Verwaltungsebene und aus der Lehre, Studierenden, Gründerinnen und Gründern von EdTech-Unternehmen und Intermediären, die die Rahmenbedingungen für diesen Dialog bieten.
Die Zielsetzung des Entwicklungszirkels ist es, die Potenziale von EdTech-Startups für die Hochschulentwicklung zu identifizieren und in einem kollaborativen Prozess gemeinsame Gestaltungsmöglichkeiten zu konkretisieren. Neueste Entwicklungen der Startup-Szene und ihre Anwendungsspielräume an Hochschulen lassen sich so sichtbar machen und ein offener Dialog wird aktiv durch den Entwicklungszirkel angestoßen und begleitet.
Erste Hürden überwinden
Mit dem Auftaktworkshop am 26. November 2019 in Berlin kamen wir erstmals zusammen. Das B-Part am Gleisdreieck diente uns als Coworking Space mit offener Atmosphäre als Ort des Kennenlernens. Die Startups stellten in kurzen Pitches ihre Produkte vor und richteten einen Schwerpunkt auf Herausforderungen aber auch Erfolge in der Zusammenarbeit mit Hochschulen. Der Tenor: Zwischen Erstgesprächen von Hochschulen mit Startups und Umsetzung können Jahre liegen; eine Herausforderung für die Entwicklung von neuen Innovationen. Auch herrsche in den Hochschulen vielerorts eine Mentalität von “Das können wir besser”; die Kosten einer Eigenentwicklung würden dabei häufig unterschätzt, so die Einschätzung anwesender Hochschulvertreter*innen und Gründer*innen.
Wie ließe sich diesen Vorbehalten entgegenwirken? Es braucht eine intensive Übersetzungsarbeit der Bedürfnisse von Hochschulen und EdTech-Startups. Die unterschiedlichen Organisationskulturen dürfen nicht als separate Silos betrachtet werden. Vielmehr müssen die Akteur*innen aufeinander zugehen und Innovationen kooperativ entwickeln. Auch Beratung und Weiterbildungen in Kombination mit der Einführung neuer Anwendungen haben sich schon als erfolgreiche Maßnahmen bewiesen.
Während des Workshops haben Impulse als Video-Liveschaltung von Svenia Busson (Learnspace, Frankreich) und Timo Kos (SURF, Niederlande) hilfreichende Einblicke in die Entwicklungen in den Nachbarländern gegeben. In den Niederlanden gibt es mit dem ICT Acceleration Plan und SURF bereits Strukturen, die Hochschulen in der Zusammenarbeit mit EdTech unterstützen.
Unseren Weg gehen
Eine Ableitung könnte jetzt sein: Wir brauchen den EdTech-Inkubator in Deutschland. Doch stoßen wir damit allzu schnell vor die Wand, wenn dieser nicht durch weitere Maßnahmen der organisationskulturellen Verständigung, dem Überdenken von Geschäftsmodellen im Bildungssektor, der Entwicklung von Weiterbildungs- und Beratungsangeboten für Hochschulen und durch eine breite Allianz von involvierten Akteuren flankiert wird.
Während des Workshops konnten wir in der Diskussion und einem How Might We Sprint eine Reihe von Key-Learnings und mögliche Arbeitsfelder identifizieren:
- Kooperative Entwicklung – von Innovationen mit externen Innovator*innen, Startups und Hochschulvertreter*innen um Ownership, Nutzer- und Bedarfszentrierung, Didaktikszenarien und strukturelle Implementierung zu ermöglichen
- Geschäftsmodelle – Evidenzbasierte Produkte und Dienstleistungen für die Hochschullehre und -infrastruktur entwickeln, bei denen Evaluation und Didaktikszenarien forschungsbasiert gemeinsam mit HS entwickelt werden; Digi-Buddies und Beratung als Angebote individueller, didaktischer und technischer Unterstützung neuer Lehrformate.
- Hochschul-Konsortien – gemeinsame Trägerschaft von Hochschulen für EdTech Innovationsförderung und -anwendung in eigener HS auch um Kosten und Risiken zu teilen und Unsicherheiten zu minimieren.
- Digitale Expertise & Weiterbildung – durch Fellowships und Train-the-Trainer-Formate nicht nur für die Hochschullehre, sondern notwendigerweise auch für die Hochschulverwaltung, Weiterbildungsmaßnahmen etablieren; Austausch zwischen Verwaltung & Digital Natives z.B. durch “Austauschprogramme” fördern.
- EdTech-Startup – experimentelle Erprobung einer gezielten Förderung des Austausches und gezielten Kooperationsunterstützung von Hochschulen und externen Innovator*innen; Ansprechpartner in Hochschulen für Test Beds identifizieren und zur Verfügung stellen (Fachcommunity involvieren); gemeinsame kollaborative, bedarfs- und nutzerzentrierte Entwicklung; Zugang zu Kapital / Finanzierung; Entrepreneurship Education & Gründungsberatung
- Intermediäre Akteure zur Vermittlung & Politik – Akzeptanz und Erkennen von gegenseitiger Relevanz ermöglichen; Förderung mit Beratung und Vernetzung kombinieren (Begleitung, Monitoring, Screening); Schnittstellenprogramme zwischen Wissenschafts- und Wirtschaftsministerien ermöglichen, um Hochschul- und Startup-Akteure gleichzeitig anzusprechen.
- Förderung von Unterstützungsangeboten innerhalb von/für Hochschulen – Innovations-Scouts, als interne Change-Management-Position, die Bedarfe innerhalb der Hochschule erkennt; Zusammenarbeit mit EdTech-Startup in Digitalisierungs-Strategieprozessen beleuchten.
Aus einem Zweig wird ein Ast
Doch wie trägt der Entwicklungszirkel denn nun zum Wachstum des Baums bei? Die Teilnehmer*innen wurden vor Ort Zeug*innen von den Potenzialen, die sich entfalten, wenn verschiedene Stakeholder an einen Tisch gebracht werden um gemeinsam Lösungen zu entwickeln. Der Gründer David Alejandro Montiel stellte seine Anwendung Beelinguapp vorvor. Die App ermöglicht es, Sprachen zu lernen, indem traditionelle Geschichten bilingual – also im Splitscreen – gelesen werden können. Gleiches gilt für Lieder, die so wie die Geschichten ebenfalls angehört werden können. Bislang hatte sich der Gründer wenig Gedanken zur Zusammenarbeit mit Hochschulen und dem Einsatz im Lehrkontext gemacht. Während seiner Präsentation gaben die Hochschulvertreter*innen wertvolle Hinweise zu potenziellen Einsatzszenarien. So könnten Universitätsbibliotheken durch ihren Schatz an Wissen und Büchern der App helfen, wirklich evidenzbasierte Übersetzungen anzubieten – eine aus finanziellen Gründen zunächst schwer realisierbare Aufgabe. Kollaborationen mit Sprachwissenschaftler*innen sind genauso denkbar, um das Lernenden-Verhalten zu untersuchen. Eine Kooperation würde so einen spannenden Beitrag zur Forschung leisten. Die App könnte sich auch der Barrierefreiheit für internationale Studierende dienlich erweisen. Montiel selbst berichtete nach dem Entwicklungszirkel euphorisiert, dass ihm die Augen geöffnet worden seien.
Wir schauen gespannt in das Jahr 2020 und arbeiten nun daran, die nächsten Schritte zu identifizieren!