Education, formación, sivistys – Europa hat viele Wörter für Bildung

Education, formación, sivistys – Europa hat viele Wörter für Bildung

18.10.19

So viele Sprachen wie es in Europa gibt, so viele Begriffe für „Bildung“ gibt es. Meinen wir dabei eigentlich dasselbe? Und was bedeutet „digital“ in diesem Kontext? Diesen Fragen ist die Ad-hoc-AG „Hochschulbildung für das digitale Zeitalter im europäischen Kontext” nachgegangen. Ihre Ergebnisse werden im Arbeitspapier 49 des Hochschulforums Digitalisierung „Bildungsverständnis im europaweiten Vergleich“ präsentiert. 

Digitale Bildung oder Bildung für das digitale Zeitalter?

Bildungsverständnis im europaweiten Vergleich: So bunt und verschieden wie die Flaggen europäischer Länder?Bei der Erörterung der Frage, was „digitale Bildung“ oder „Bildung für das digitale Zeitalter“ ist, stehen sich – zumindest im deutschen Bildungsdiskurs – im Wesentlichen drei Positionen gegenüber: In der ersten Gruppe wird betont, dass digitale Bildung sich auf das klassische deutsche Bildungsverständnis berufen kann und muss. In der zweiten Gruppe wird eine digitale Bildung skizziert, die prinzipiell auf einen solchen Bezug verzichtet und unter Bildung letztlich den Erwerb von Informationskompetenz versteht. In der dritten Gruppe wird ein Verständnis von Bildung deutlich, das von einer bereits alle Lebensbereiche der Gesellschaft durchdringenden „Digitalität“ ausgeht und Bildung – zunächst vereinfacht gesagt – als kreative, gestaltende und auf Veränderung angelegte Auseinandersetzung der Digitalität sieht.

Während sich auf diskursiver Ebene die hier umrissenen Standpunkte klar voneinander abgrenzen lassen, verschwimmen die Grenzen auf praktischer Ebene. Neben primär technischen Fähigkeiten, wie sie etwa unter dem Begriff „Numeracy“ subsummiert werden, gewinnen auch digitale Medienkompetenzen an Bedeutung. Das Wissen um den planvollen Umgang mit Daten und deren kontextualisierende Einordnung („Data Literacy“) gehört zu den zentralen Qualifikationen in einer digitalisierten Arbeits-, Forschungs- und Lebenswelt. Vor dem Hintergrund dieser Entwicklungen sind die Hochschulen bereits an zahlreichen Stellen mit der Entwicklung und Ausgestaltung von Studieninhalten und Curricula befasst, die dem digitalen Wandel Rechnung tragen und im Hinblick auf oben genannte Positionen durchaus hybride Ansätze aufweisen. Dabei gibt es große Unterschiede zwischen einzelnen Hochschultypen ebenso wie zwischen den Mitgliedsstaaten der EU, die digitale Entwicklungen auf unterschiedliche Weise in die Hochschulbildung zu integrieren versuchen. 

Bildung als europäisches Thema

Auf unterschiedlichen Ebenen lassen sich in der europäischen Hochschullandschaft Veränderungen hinsichtlich Anforderungen, Ausgestaltung und Auffassung von Hochschulbildung beobachten. Dabei liegt die Vermutung nahe, dass diese Entwicklungen durch die fortschreitende Digitalisierung katalysiert, zumindest aber beeinflusst werden. Das Thema „Hochschulbildung für das digitale Zeitalter“ ist für einzelne Fachdisziplinen, Hochschulen aber auch nationale wie internationale Bildungspolitik relevant. Dennoch fehlte es bislang an einer systematischen Untersuchung der skizzierten Prozesse, deren vergleichende Betrachtung wichtige Erkenntnisse für die weitere Gestaltung, vor allem hinsichtlich möglicher Abstimmungen zur Verstärkung von Kooperationen in Forschung und Lehre, erwarten lässt. Diese Lücke haben Dr. Maren Lübcke und  Dr. Klaus Wannemacher, beide HIS-Institut für Hochschulentwicklung e.V., im Auftrag der Ad-hoc-AG „Hochschulbildung für das digitale Zeitalter im europäischen Kontext” nun mit ihrer Studie „Bildungsverständnis im europaweiten Vergleich. Analyse von Konzeptionen und Narrativen der EU-Kommission und ausgewählter EU-Länder” erfolgreich schließen können. 

Wie wird „Bildung“ verstanden? Bildungsverständnis im europaweiten Vergleich

In einem exemplarischen Vergleich europäischer Begriffstraditionen und Bildungsinstitutionen hat die Studie gezeigt, dass jedes Land eine andere Schwerpunktsetzung aufweist, auch wenn es derzeit einen politisch koordinierten Trend zur Vereinheitlichung gebe. Sehr unterschiedlich sei die Auffassung beispielsweise im Hinblick auf den Anteil von Forschung in der Hochschullehre. Beispielsweise findet in Frankreich Forschung fast ausschließlich an externen Einrichtungen statt, sodass Hochschulen in erster Linie Lehreinrichtungen sind. In Deutschland gebe es traditionell eine starke Verbindung zwischen Forschung und Lehre. Durch die Stärke des dualen Ausbildungssystems habe hier wiederum traditionell die Ausbildung an Hochschulen im Vergleich zu anderen europäischen Ländern nie stark im Vordergrund gestanden. Stattdessen stelle die Exzellenzinitiative den Versuch dar, nicht nur die Integration in den europäischen Hochschulraum voranzutreiben, sondern auch internationale Wettbewerbsfähigkeit im Hochschulsektor aufzubauen. Dazu würden klassische Steuerungsprinzipien aufgegeben und teilweise auf marktähnliche Steuerungsmechanismen umgestellt. Eine generell stärkere Marktorientierung der Hochschulbildung lasse sich in einigen anderen Ländern beobachten, Irland oder Spanien ließen sich hier als Beispiele anführen.

Wie wirkt sich die Digitalisierung auf den Umgang mit Hochschulbildung aus?

In ihrer Studie arbeiten Wannemacher und Lübcke heraus, dass sich für eine digitalisierte Welt die Frage nach dem Hochschulzugang insbesondere im Hinblick auf die veränderten Anforderungen des Arbeitsmarktes stellen wird. Sie betonen, dass die Digitalisierung das Bildungsverständnis dahingehend verändere, dass Hochschulbildung ein universeller Faktor werde, der gesellschaftliche Teilhabe ermögliche. In diese Richtung deuteten auch die jüngeren Papiere der EU-Kommission. Da mit der Digitalisierung stets ein permanenter Wandel verbunden sei, der dafür sorge, dass Erwerbsbiografien mit häufigeren Wechseln, Brüchen und Neuanfängen verbunden seien, müsse auch ein Wiedereinstieg und eine Neuorientierung für ältere Arbeitnehmende im Rahmen der Hochschulbildung ermöglicht werden. Vermittelt werden müsse dabei vor allem der Umgang mit Wandel und die Bereitschaft, Wandel zu akzeptieren und mitzugestalten. Forschung sei ein zentraler Anker. Hochschulsysteme, die Forschung und Lehre zusammendenken und die Lernenden in den Forschungsprozess einbeziehen, verfügten über eine gute Basis. Als Ergebnis der umfassenden Untersuchung lässt sich festhalten: Die Komplexität der durch die Digitalisierung ausgelösten Entwicklungen kann nur durch eine offene, internationale Ausrichtung erfolgen, die Bildung dann in regionale Zusammenhänge setzt.

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