Bildung ist kein Softwarecode

Bildung ist kein Softwarecode

09.02.18

Markus Deimann rezensiert die Bücher „World Without Mind. The Existential Threat of Big Tech“ von Franklin Foer und „Reclaim Autonomy. Selbstermächtigung in der digitalen Weltordnung“, ein von Jakob Augstein herausgegebener Sammelband. Der Text erschien zuerst im Merton-Magazin des Stifterverbands. Dort findet man auch eine Audio-Version.

Ich möchte mich dieses Mal mit grundlegenden Fragen und Entwicklungen auseinandersetzen, die in der jüngeren Vergangenheit entstanden sind und unmittelbare Auswirkungen auf unsere Zukunft haben. Dabei helfen mir zwei vor Kurzem erschienene Bücher, die ich während der Weihnachtsfeiertage gelesen habe: World Without Mind. The Existential Threat of Big Tech von Franklin Foer und Reclaim Autonomy. Selbstermächtigung in der digitalen Weltordnung, ein von Jakob Augstein herausgegebener Sammelband.

Grat zwischen Euphorie und Dystopie

Beide Bücher stehen für eine Art zu denken, die – an manchen Stellen etwas alarmistisch – der Digitalisierung weder blindlings euphorisch noch dystopisch begegnet, sondern sich an den realen Entwicklungen orientiert. An vielen Debatten merke ich, wie sehr Digitalisierung zu einer Projektionsfläche für alle möglichen Hoffnungen und Ängste geworden ist, die oftmals jedoch unbegründet sind. So pumpt die Bildungspolitik seit Jahren viel Geld in Infrastruktur und Ausstattung, verbunden mit der Erwartung, Lehre und Lernen damit besser zu machen. Zuletzt konnten wir das bei der Debatte um den sogenannten Digitalpakt für Schulen sehen. Auf der anderen Seite formiert sich Widerstand gegen die Technik. Der reicht vom plumpen Verbot von Smartphones im Unterricht bis hin zur (subtilen) Propaganda. Ein Beispiel dafür ist das Bündnis für humane Bildung, ein Zusammenschluss von selbst ernannten Aufklärern über die Schrecken der Digitalisierung. Tatsächlich geht es hier weniger um Aufklärung als vielmehr um die Meinungsführerschaft, die jedoch nicht im Konsens, sondern durch Lautstärke erreicht wird. Ich selbst habe dieses „Schauspiel“ am eigenen Leib erfahren.

Was hier – und auch bei der Fraktion der digital Begeisterten – fehlt, ist eine sachliche Debatte, die auf der Grundlage gesellschaftlicher Wertvorstellungen kritisch Stellung nimmt. Genau das versuchen die beiden von mir erwähnten Bücher. World Without Mind verwebt eine persönliche Geschichte mit einer sachlichen und schafft es so – aber auch durch eine kluge historische Perspektive –, den viel beschworenen Mythos „Silicon Valley“ auf seine eigentlichen Prinzipien hin zu entschlüsseln.

So kann auch der beliebten Erzählung, dass das Silicon Valley das Mekka der Digitalität ist, und den daraus leichtfertig abgeleiteten Leitlinien entgegnet werden, die um Marketingfloskeln wie Innovation und Agilität kreisen. Zu welchen Auswüchsen eine solche blinde Übernahme von „Lösungen“ führen kann, zeigt sich beispielsweise an Konzepten wie „Curriculum 4.0“. Damit will ich nicht die Idee an sich kritisieren, das heißt den Versuch, bewährte pädagogische Modelle wie etwa das Curriculum weiterzuentwickeln. Mir geht es eher um die in meinen Augen krampfhafte und reflexhafte Orientierung an Denkmodellen, die aus einem ganz anderen Bereich kommen. Bildung lässt sich eben nicht in Form eines Softwarecodes darstellen. Auch ist Bildung etwas anderes als maschinelles Lernen und menschliche Intelligenz ist – trotz aller angestrengten und kostspieligen Versuche – immer noch nicht technisch modellierbar.

Von Chancen zu Ängsten

In seinem Buch zeigt Franklin Foer auf, durch welche oft profanen Umstände die Tech-Giganten Facebook, Amazon und Google zu dem geworden sind, was sie sind: Monopolisten für Informationsbeschaffung und Wissensproduktion. Gleichzeitig ist ihnen auch immer die tief verwurzelte, religiös konnotierte Überzeugung eigen, die Welt besser zu machen. Wie brüchig aber diese Selbstdarstellung ist, wenn man genauer hinschaut, wird bei der Lektüre von World Without Mind deutlich. Denn im Kern geht es weniger um Weltverbesserung als vielmehr um ökonomische Interessen. Das ist auch nicht verwerflich, dass Unternehmen profitorientiert arbeiten. Problematisch wird es für mich dadurch, dass sich der Kapitalismus immer tiefer in die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche wie Bildung und Kultur eingräbt und dabei Werte umcodiert. In World Without Mind wird dies für den Journalismus aufgezeigt; für den Bildungsbereich sieht es ähnlich aus.

Auch der Sammelband Reclaim Autonomy spannt einen ähnlich weiten Bogen auf und ordnet die Digitalisierung als „größte Grenzüberschreitung der Gegenwart“ ein. Ging es noch vor 20 Jahren um Befreiung und die Vergrößerung von Chancen für die Menschheit, so dreht es sich heute mehr um Ängste und die Bedrohung angesichts zunehmender Macht der Maschinen. Was das mit uns als Gesellschaft macht und was das für den einzelnen Menschen bedeutet, sind Fragen, die die Autoren beschäftigen. Dabei kommen nicht nur aktuelle Technologien wie Blockchain zur Sprache, sondern auch die dadurch angesprochenen sozialen Beziehungen, wie etwa Vertrauen als Grundlage menschlichen Zusammenlebens.

Ein anderer Teil des Buchs ist ebenso wie World Without Mind der Aufklärung über die Macht (-Verhältnisse) digitaler Großkonzerne gewidmet. Dabei geht es um die Suggestion von (digitaler) Freiheit, die jedoch nicht unbedingt ist, sondern stark von den Geschäfts­bedingungen der Unternehmen abhängt und auf eine Einschränkung der Privatsphäre hinausläuft. Ohne Preisgabe persönlicher Daten lassen sich die leistungsstarken Dienste, die uns so viel Komfort im Alltag bescheren, nicht nutzen. Dies führt dazu, dass Google, Facebook, Amazon und Co. immer mehr Daten erhalten und noch mächtiger werden. Ein Teufelskreis? Nicht zwangsläufig, da sich gesellschaftliche Werte wie Privatheit im Laufe der Zeit verändern und neu bestimmt werden. Wichtig dafür ist allerdings eine aufgeklärte gesellschaftliche Debatte, bei der wir über die Grundlagen und Auswirkungen digitaler Informationsbeschaffung, -sammlung, -bewertung und -verwendung informiert sind.

„Only the sky is the limit?“

Dies wird jedoch dadurch erschwert, dass die privatwirtschaftlichen Unternehmen ihre Strategien und Algorithmen nicht offenlegen. Was wir dagegen wissen, ist, dass sich das Silicon Valley nie mit dem bisher Erreichten zufriedengibt, sondern die ganz großen Herausforderungen der Menschheit, wie die Überwindung des Todes, zu lösen versucht. Damit vergrößert sich die Kluft weiter zwischen dem mitunter mühsam ausgehandelten gesellschaftlichen Konsens und den durch das digitale Oligopol angepriesenen Möglichkeiten.

Die Geschwindigkeit der Entwicklungen ist so rasant, dass gesellschaftliche Einigung über neue Entwicklungsstufen auf dem Weg in die Digitalisierung immer schwieriger wird, wie ich eingangs am Beispiel der Debatte um digitale Medien in der Schule gezeigt habe. Dadurch, dass die Digitalisierung immer stärker auch unseren Geist und unser Verhalten berührt, ist es wichtig, innezuhalten und über die Auswirkungen nachzudenken. Bei der Industrialisierung, die uns die körperliche Arbeit immer mehr abgenommen hat, war dies verhältnismäßig unkompliziert. Nun geht es jedoch immer stärker in Richtung des Kerns dessen, was uns als Menschen ausmacht.

Die Zeit, darüber nachzudenken, sollten wir uns nehmen.

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