Digitalisierung und Kompetenzorientierung – Konkurrenz oder Partnerschaft?

Digitalisierung und Kompetenzorientierung – Konkurrenz oder Partnerschaft?

12.10.17

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Eva Weyer war bei unserem Netzwerktreffen vom Hochschulforum Digitalisierung mit dabei und beschreibt in diesem Blogpost ihre inhaltlichen Eindrücke rund um das Thema Digitalisierung und Kompetenzorientierung. 

Akademische Kultur trifft Internetkultur, und diesmal treffen sie sich wirklich, das war mein erster Eindruck beim Netzwerktreffen vom Hochschulforum Digitalisierung.

Nach einigen akademischen Veranstaltungen zum Thema Digitalisierung, die ganz ohne die Nutzung neuer digitaler Medien auskommen – ein performativer Widerspruch – war das Netzwerktreffen erfreulich interaktiv. Digitalisierung wurde nicht nur besprochen, sondern gewinnbringend eingesetzt. Über Mattermost war eine parallele Diskussion möglich, über Twitter hatte ich mehr Gesprächspartner_innen als sonst bei akademischen Veranstaltungen und über pigeonhole konnten sich alle Teilnehmenden unkompliziert und effizient in die abschließende Podiumsdiskussion einbringen. Sogar ein kurzer Barcamp-Slot wurde in die Tagung eingebaut. Dadurch wurde die Veranstaltung nicht nur „digitaler“, sondern durch die zusätzlichen interaktiven Möglichkeiten auch kompetenzorientierter.

Digitale Lernwelten: „shift from teaching to learning“

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„In einer digitalen Welt, in der sich Wissen außerhalb der traditionellen Institutionen und Rollen generieren und abrufen lässt, müssen neue und pädagogisch anspruchsvollere Aufgaben gesucht werden.“ Zu diesem Schluss kommt Ayad Al-Ani in seiner Betrachtung über Lehren in digitalen Lernwelten. Hier stellt er einige Trends vor, die sich als internetgestützte Lernkultur entwickelt haben und an die Studierenden bereits gewöhnt sind – ob die Hochschulen sie anbieten oder nicht. Selbstgesteuertes Lernen mit frei verfügbaren Inhalten, vernetztes Peer-Lernen (z.B. über Social Media), problemorientiertes Lernen als Teil eines Produktionsprozesses – diese Lernformen haben sich außerhalb der Universitäten durchgesetzt und bewährt. Dabei haben sie sich intuitiv an dem ausgerichtet, was wir als „Kompetenzorientierung“ kennen. Der im Bereich der Lehre mit der Kompetenzorientierung verbundene „shift from teaching to learning“ ist hier an vielen Stellen bereits vollzogen. Selbststeuerung, Handlungsbezug, Vernetzung mit anderen, sowie mit den eigenen Erfahrungen sind Kennzeichen einer kompetenzorientierten Didaktik (vgl. Weyer 2017). Stärkere Immersion durch die Verbindung von verschiedenen Zugängen, die wir Menschen zu einem Thema oder Problem haben, führt zu nachhaltigerem Lernen. Daher sind in den gängigen Kompetenzmodellen neben Wissen und Fertigkeiten auch soziale und persönliche Kompetenzbereiche erfasst (vgl. z.B. AK DQR, 2011). Einen Vortrag zu hören und sich gleichzeitig über Twitter darüber auszutauschen ist nachhaltiger, als nur zuzuhören.

„Weder Digitalisierung noch Kompetenzorientierung können Selbstzweck sein.“

In meiner Erfahrung geht also gelebte Kompetenzorientierung mit gelebter Digitalisierung weitgehend zusammen. Beim Netzwerktreffen fanden sich in der Bar-Camp-Session „Kompetenzorientierung“ hingegen ganz andere Positionen. Von der Frage, ob man Kompetenzorientierung über die Digitalisierung in die Hochschulen „einschleusen“ könnte bis hin zum Statement, Digitalisierung und Kompetenzorientierung würden sich gegenseitig behindern, gab es ein breites Spektrum. Das illustriert, wie unterschiedlich Kompetenzorientierung und Digitalisierung jeweils verstanden und umgesetzt werden.

Ähnlich wie mancherorts die Digitalisierung hat die Kompetenzorientierung in der Hochschule bisher zu oft nur theoretisch Einzug gehalten. Nicht ganz selten ist nach dem Bologna-Prozess wenig mehr geschehen, als neben Inhalten auch Kompetenzen in den Modulbeschreibungen auszuweisen. Der Einfluss auf die Lernkultur der Hochschulen ist teilweise noch gering. Auch in diesem Bereich gibt es einen performativen Widerspruch, wenn bei akademischen Tagungen über Kompetenzorientierung gesprochen, sie aber nicht gelebt wird: Es kommt tatsächlich vor, dass in Vorträgen darüber informiert wird, dass Vorträge nicht das beste Lernformat sind.

Wenn Digitalisierung also bedeutet, eine überholte Didaktik mit neuen Medien umzusetzen, nützt sie uns wenig. Im Bereich e-learning wird also die Lehre nicht besser dadurch, wenn Vorträge künftig als Video verfügbar sind, aber keine Interaktivität vorgesehen wird. Weder Digitalisierung noch Kompetenzorientierung können Selbstzweck sein. Es reicht nicht, diese Themen durch Positionspapiere und Strategien an der Hochschule „abzuhaken“. Sie werden dann nützlich, wenn sie das Lernen und die Zusammenarbeit bereichern.

Lernen macht Spaß

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Dass Lernen Spaß macht, dass Austausch und Zusammenarbeit produktiv ist und dass wir gut zusammenarbeiten, wenn wir nicht ausschließlich ganz ernst mit einem Inhalt beschäftigt sind, sondern auch Raum ist für persönliche Beziehungen, für Witz, für Spinnereien und noch nicht zu Ende Gedachtes – eigentlich wissen wir das. Zum Beispiel aus der Erfahrung, dass bei einer Tagung das gemeinsame Abendessen und der Barbesuch mit den Kolleg_innen mindestens genauso produktiv war, wie die beiden Vorträge am Nachmittag, vielleicht produktiver.

Einen solchen Austausch auf Augenhöhe, in dem tatsächlich alle eingeladen sind mitzumachen, kenne ich aus verschiedenen sozialen Zusammenhängen im Internet. Christian Friedrich beschreibt Ähnliches von einer Konferenz des DML Research Hub an der UC Irvine in Kalifornien. Deutsche akademische Konferenzen sind meistens nicht so interaktiv bzw. kompetenzorientiert. Wie viele „Workshops“ in Wirklichkeit nur aus einem Vortrag bestehen, zu dem die Zuhörenden bestenfalls anschließend noch Fragen stellen können, will ich gar nicht erheben.

In der Lehre mit den Studierenden können wir das besser, heute schon. Wir wissen, dass Menschen besser lernen, wenn sie sich selbst mit Problemen auseinandersetzen und Lösungen entwickeln können, und zwar als ganze Menschen, nicht als reine Wissensmanager_innen. Es wird Zeit, dass sich die akademische Kultur hier verändert. Die Digitalisierung bietet hier viele Möglichkeiten, einen Beitrag zu leisten. Nicht, weil sie „natürlicherweise“ kompetenzorientierter sein muss. Aber weil sich mit ihr neben und außerhalb der Bildungssysteme eine Kultur entwickelt hat, die Innovation und Kompetenzen durch Vernetzung und Inklusion fördert. Diese Kultur können wir in der Hochschulbildung nutzen.

Das Netzwerktreffen des HFD war damit ein Schritt in die richtige Richtung. Es hat illustriert, wie gut Kompetenzorientierung und Digitalisierung zusammen gehen können.

 

Referenzen:

Al-Ani, Ayad (2016). Lehren in digitalen Lernwelten. Neue Rollen und Funktionen von Lehrenden. In Eva Cendon, Anita Mörth & Ada Pellert (Hrsg.), Theorie und Praxis verzahnen. Lebenslanges Lernen an Hochschulen. Ergebnisse der wissenschaftlichen Begleitung des Bund-Länder-Wettbewerbs „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen” (S. 247-257). Münster: Waxmann. Abgerufen von https://de.offene-hochschulen.de/fyls/2542/download_file_inline/

AK DQR – Arbeitskreis Deutscher Qualifikationsrahmen (2011). Deutscher Qualifikationsrahmen für lebenslanges Lernen. Abgerufen von https://www.dqr.de/media/content/Der_Deutsche_Qualifikationsrahmen_fue_lebenslanges_Lernen.pdf

Eva Weyer (2017). Kompetenzorientierte Didaktik konkret. In: Cendon, Donner, Elsholz et al.: Die Die kompetenzorientierte Hochschule. Kompetenzorientierung als Mainstreaming-Ansatz in der Hochschule. S. 56-62. Abgerufen von http://www.pedocs.de/frontdoor.php?source_opus=14563

Eva Weyer, Nina-Maria Wachendorf und Anita Mörth (2017)
Kompetenzorientierung, wie ist das gemeint?
In: Cendon, Donner, Elsholz et al.: Die Die kompetenzorientierte Hochschule. Kompetenzorientierung als Mainstreaming-Ansatz in der Hochschule. S. 6-12.
Abgerufen von http://www.pedocs.de/frontdoor.php?source_opus=14563

 

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