Die Chancen der Digitalisierung im Wissenschaftsbereich nutzen – Digitales Lernen fördern statt ignorieren

Die Chancen der Digitalisierung im Wissenschaftsbereich nutzen – Digitales Lernen fördern statt ignorieren

02.12.15

Am 18.11.2015 fand im Düsseldorfer Landtag vor dem Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung eine öffentliche Anhörung zur Digitalisierung im Wissenschaftsbereich statt. Anlass war ein Antrag der CDU-Fraktion zu „Die Chancen der Digitalisierung im Wissenschaftsbereich nutzen – Digitales Lernen fördern statt ignorieren“. Zwei der geladenen Expertinnen und Experten, Barbara Getto von der Universität Duisburg-Essen und Markus Deimann von der FernUniversität in Hagen, sind von Heike Brand, FernUniversität in Hagen, in einem zeitlich gestuften Emailverfahren für diesen HFD-Blog zu ihren Eindrücken im Hearing befragt worden.

Links zum Antrag der CDU-Fraktion und zu allen Stellungnahmen finden sich am Ende dieses Beitrags.

Heike Brand: Was war der allgemeine Tenor im Hearing? Gab es Übereinstimmung in den Beiträgen? Welche?

Markus Deimann: Der allgemeine Tenor war meiner Meinung nach, dass der Antrag das Thema digitales Lernen verkürzt darstellt, mit starkem Fokus auf den MOOCs.
Alle Expertinnen und Experten machten in ihren Stellungnahmen und Kurzreferaten deutlich, dass es eine längere Historie elektronisch gestützter Lehre an Hochschulen in NRW gibt, die mehr Berücksichtigung finden sollte. Damit wollten wir dem Eindruck vorbeugen, mit dem Antrag werde Neuland betreten. Einigkeit bestand weiterhin in der Aussage, Digitalisierung ist kein Sparmodell, sondern erfordert mehr und andere Ressourcen als bisher. Auch traf die These, dass Digitalisierung an Hochschulen strategisch angegangen werden sollte, Konsens.

Barbara Getto: Die Initiative, also dass sich das Land dem Thema Digitalisierung annimmt, wurde durchweg positiv kommentiert. Wir können alle froh sein, dass das Thema gerade so enorm an Öffentlichkeit gewinnt.

Allerdings lag der Schwerpunkt des Antrags dann eher auf der Rolle der MOOCs als Gegenmittel für allerlei Probleme an Hochschulen. Das griff allen zu kurz. Die Forderung nach einem reflektierten Umgang und eine kritische Betrachtung der Potenziale und Einsatzmöglichkeiten von MOOCs in der universitären Lehre war unter den Anwesenden mehr oder weniger Konsens. MOOCs sind ein Geschäftsmodell. Sie sparen keine Kosten und reduzieren nicht den Betreuungsaufwand. Sie erfordern ein kluges didaktisches Konzept und ein reflektiertes Vorgehen. Darin waren sich alle einig.

Heike Brand: Worin lagen die größten Unterschiede?

Markus Deimann: Große Unterschiede habe ich nicht ausgemacht, sondern eher in unterschiedlicher Schwerpunktsetzung bei den Expertinnen und Experten. Dies ist auch nachvollziehbar, da das Thema Digitalisierung komplex ist und es daher keinen „Masterplan“ gibt, sondern nur im gemeinsamen Aushandeln und Diskutieren erarbeitet werden kann.

Barbara Getto: Unterschiede habe ich am ehesten in der Erwartung an die Rolle der Landesregierung wahrgenommen. Im Gespräch waren u.a. mehr oder weniger zentralistische Ansätze, Modelle freiwilliger Partizipation und die Forderung nach Zielvereinbarungen, in deren Ausgestaltung die Hochschulen dann aber frei sein sollten.

Heike Brand: Was war für Dich eine neue Erkenntnis?

Markus Deimann: Neue Erkenntnisse gab es für mich nicht, sondern die Einsicht, dass vieles schon ausprobiert und auf den Weg gebracht wurde in Punkto E-Learning in NRW. Es gibt aber (noch) kein gesichertes Wissen darüber, etwa so wie in einem Wikipedia-Artikel, sondern viele AktuerInnen erfinden das Rad oft neu. Hier müssen wir weiter daran arbeiten, durch Austausch und Kommunikation die bisherigen Erfahrungen wieder erfahrbar zu machen, so dass wir auf eine neue Entwicklungsstufe kommen.

Barbara Getto: Nein, wirklich neu war mir da jetzt auch nichts. Aber es war interessant die unterschiedlichen Ansichten der Kolleginnen und Kollegen speziell auf die Situation in NRW bezogen zu hören. Da kannte ich dann doch noch nicht alle Einschätzungen. Eine Erkenntnis, wenn man so will, war zu sehen, hören und verstehen welchen Blick die VertreterInnen der Landesregierung auf E-Learning in NRW haben. Wie sie das so wahrnehmen… 

Heike Brand: Welche im Hearing vertretene Ansicht siehst Du total anders?

Markus Deimann: „total anders“ ist ein starker Begriff, ich schwäche es etwas ab und kann dann unterschiedliche Wahrnehmung zum generellen Eindruck zum Antrag feststellen. Für mich ist er deutlich zu kurz gegriffen und zu stark auf MOOCs bezogen. Hier gab es abweichende Meinungen, die es weniger kritisch als ich sahen.

Barbara Getto: Da würde ich mich Markus anschließen. Dem Antrag fehlte es an Tiefe. Für den Einstieg in die Diskussion vielleicht ok, aber den starken Fokus auf MOOCs sehe ich in dem Kontext ebenfalls kritisch.

Heike Brand: Wie wurden Eure Beiträge beachtet?

Barbara Getto: Die eingeladenen ExpertInnen haben allesamt ihre Statements (freiwillig) vorher zur Verfügung gestellt und sie standen online verfügbar. Man durfte also unterstellen, dass sie bereits vor der Anhörung auch gelesen und beachtet wurden. Ich fand es wichtig explizit darauf hinzuweisen, dass wir in NRW schon auf eine gewisse Tradition an E-Learning-Förderungen zurückblicken können. An vielen Hochschulen in NRW ist E-Learning bereits ein fester Bestandteil der Lehre und wir fangen ganz sicher nicht bei null an. Es gibt mit den verschiedenen Projekten und Maßnahmen wie E-Learning NRW, E-Assessment NRW oder auch dem DV-ISA etc. ja auch bereits einige hochschulübergreifende Initiativen zur Förderung digitaler Hochschullehre. Ich hatte den Eindruck, das war nicht unbedingt bekannt. Aber dafür ist so ein Termin dann auch gut: einmal zu kommunizieren was gibt es schon, was wurde schon ausprobiert, welche Erfahrungen schon gemacht wurden (gute wie schlechte…).

Gerade wegen dieses bereits erwähnten starken Fokus auf MOOCs in dem vorliegenden Antrag war es mir außerdem ein Anliegen darauf hinzuweisen, dass die Durchdringung der Lehre mit E-Learning mit einem Wandel der Lehr-Lernkultur einhergeht, der wesentlich komplexer ist als die Bereitstellung digitaler Lehr-Lerncontents. Wir brauchen E-Learning, um besser lehren und lernen zu können, um den Studierenden in ihren Erwartungen gerecht zu werden und um sie auf die digitale Gesellschaft vorzubereiten.

Markus Deimann: Ich hatte auch den Eindruck, dass die Stellungnahmen vorab studiert wurden. Erfreut haben mich dann die detaillierten Nachfragen zu unseren Impulsen. Es kam tatsächlich jeder dran und man kann grob von einer Gleichverteilung sprechen. Bei mir ging es – erwartungskonform – um das Thema Open Educational Resources und das Bildungsverständnis im digitalen Zeitalter. Zu beiden Aspekten habe ich ausführlich Stellung genommen und hoffe, es findet bei der Politik Gehör.

Heike Brand: Was ist davon am stärksten bei den Adressaten angekommen?

Barbara Getto: Was am stärksten angekommen ist kann ich nur erraten. Zwei thematische Frageblöcke sind mir sehr stark vorgekommen: Zum einen die Frage nach konkreten Handlungsempfehlungen, also was brauchen die Hochschulen jetzt? Und da würde ich sagen ein wichtiges Thema ist da das „Empowerment“, also die Befähigung der Hochschulen sich im Bereich der Digitalisierung gut aufzustellen. Das umfasst zum Beispiel die Akteure an Hochschulen zu befähigen, die entsprechenden Strategien für ihre Hochschule zu entwickeln sowie ihre Lehrenden zu unterstützen und zu beraten.

Zum anderen die Frage nach der Rolle des Ministeriums im gesamten Digitalisierungsprozess: steuernd, koordinierend oder eher zurückhaltend. Nach den Erfahrungen mit verschiedenen hochschulübergreifenden Projekten in NRW würde ich sagen, dass es weder der Kultur von Hochschulen noch der von NRW entspricht einen zentralistischen Ansatz zu fahren. Gemeinsame, kooperative Ansätze, bei der die Beteiligung auf Freiwilligkeit basiert, sind hier vielversprechender.

Markus Deimann: Meiner Meinung nach ging es dabei um konkrete, handlungsbezogene Aspekte und weniger um eine generelle strategische Ausrichtung. Die Politik suchte nach Bestätigung und verknüpfte das mit ihren Fragen an die jeweiligen Personen. Ich selbst habe bei meinen Antworten auch eine bestimmte politische Partei adressiert, in der Hoffnung auf Gehör. Mir war dabei wichtig, einen grundlegenden Reflexionsprozess anzuregen: Was ist die Idee der Hochschule im 21. Jahrhundert? Humboldt hat uns zu Beginn des 19. Jahrhunderts gezeigt, wie eine Universität philosophisch begründet werden kann. Doch die Zeiten haben sich so massiv verändert, dass wir nicht einfach Humboldt „reloaden“ können, sondern wir brauchen eine Revitalisierung der Idee von Hochschule.

Heike Brand: Welche Folgerungen sollte der Ausschuss für Innovation, Wissenschaft und Forschung aus dem Hearing ziehen?

Markus Deimann: Mir wäre wichtig, dass der Ausschuss für die bisherige Tradition des E-Learning in NRW sensibilisiert ist und sich z.B. weniger stark auf MOOCs bezieht. Es sollte auch ein breiter Reflexionsprozess initiiert werden, was wir unter digitaler Bildung überhaupt verstehen. Mit der angekündigten Fachkonferenz am 11.März im Rahmen der NRW-Plattform „Lernen im digitalen Wandel – Bildung 4.0“ scheint es auch tatsächlich in diese Richtung zu gehen.

Barbara Getto: Was das Hearing an Ergebnissen bringt, werden wir sehen. Der Ausschuss sollte sich die aktuelle Situation in NRW genau anschauen und die Bedarfe an den Hochschulen differenziert analysieren. Dazu gehören auch deren Vielfalt und die unterschiedlichen Status der E-Readiness an den Hochschulen zu berücksichtigen. Ich hoffe, die Beiträge der ExpertInnen konnten insgesamt zu Aufklärung beitragen und für die Vielschichtigkeit der Thematik sensibilisieren.

Heike Brand: Was ist Euch noch wichtig, über das Hearing zu erwähnen?

Markus Deimann: Die fundierten Diskussionen und die gut vorbereiteten PolitikerInnen haben mich in der Erkenntnis bestärkt, dass es noch ein weiter, aber spannender Weg ist. Es liegt an uns allen, uns weiter einzumischen und Digitalisierung in der Bildung mitgestalten.

Barbara Getto: Es war eine interessante Erfahrung Einblicke in die Diskussionsprozesse der politischen EntscheiderInnen zu bekommen. Ein bisschen schade finde ich, dass das Format nicht wirklich Möglichkeit zum Dialog und Austausch bietet. Dafür ist die Diskussion zu formalisiert. 

Heike Brand: Welches Zukunftsbild zu Digitalisierung in der Hochschulbildung in NRW ist vor Eurem geistigen Auge entstanden?

Markus Deimann: Kein konkretes, da wir erst am Anfang eines langen, komplexen Prozesses sind. Was ich mir wünsche, ist eine breite Debatte, an der sich Interessierte auf vielfältige Weise einbringen können. In NRW geht man mit der Plattform bildungviernull diesen Weg des Bürgerdialogs. Es bleibt zu hoffen, dass es nicht bei einer anfänglichen Euphorie bleibt, sondern ein kontinuierlicher Austausch. Wir können alle mitgestalten, das erfordert aber Wille und Plattformen.

Barbara Getto: Ob wir es mit Bildung 4.0 wirklich gemeinsam schaffen ein Leitbild, eine Vision für die Digitalisierung zu schaffen, bleibt abzuwarten. Toll finde ich den partizipativen Charakter der Sache, daher beteilige ich mich auch. Ich denke es entspricht der Kultur an Hochschulen, dass so ein wichtiger Schritt gemeinsam mit den Akteuren begangen wird.

Heike Brand: Danke für Eure Eindrücke. Ich finde Eure Rückmeldungen sehr interessant. Sie verweisen auf die Bandbreite, mit der Digitalisierung im NRW Hochschulbereich bereits existiert und geben Hinweise auf den Rahmen, in dem eine Weiterentwicklung vorangetrieben werden kann. Wichtig erscheint mir auch der Ausblick, dass mit der NRW-Regierungsinitiative „Lernen im Wandel – Bildung 4.0“ ein partizipativer Schritt in diese Richtung erfolgt.

Links

Antrag der Fraktion der CDU: http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument?typ=P&Id=MMD16/8646&quelle=alle&wm=1&action=anzeigen

Übersicht der Stellungnahmen: http://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/Webmaster/GB_I/I.1/aktuelle_drucksachen/aktuelle_Dokumente.jsp?docTyp=ST&wp=15&dokNum=Drs+16%2F8646&searchDru=suchen

Bild: Tekniska museet „44197CC-BY 2.0 via flickr.com

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